Brasiliens Kampf gegen Schattenseiten von Biosprit
Die Herstellung von Kraftstoffen aus Pflanzen wird oft für die Verschärfung des Hungerproblems verantwortlich gemacht. Brasilien versucht seit zehn Jahren, den Hunger zu reduzieren und die Produktion von Biotreibstoffen zu erhöhen – ein Balanceakt.
Brasilien gehört in Sachen Biotreibstoffe zu den Pionieren: Seit rund 40 Jahren fahren dort Autos und Lastwagen mit Zuckerrohr und Soja, sprich Ethanol und Biodiesel im Tank. Kein Land produziert mehr Ethanol als die neue Wirtschaftsmacht Südamerikas, beim Biodiesel ist sie die Nummer drei.
In der schwierigen Gleichung, die Anbauflächen für die pflanzlichen Rohstoffe zu vergrössern und gleichzeitig die arme Landbevölkerung und die Umwelt zu schützen, setzt die Regierung Brasiliens auf technologische Innovation, die Modernisierung von Produktions- und Arbeitsbedingungen sowie Förderprogramme für kleine Produzenten.
Herzstück dieses sozial-ökonomischen Balanceaktes ist das nationale Programm für Produktion und Verwendung von Biodiesel (PNPB). Es schreibt vor, dass dem herkömmlichen Diesel aus Erdöl Biodiesel aus Kleinproduktion beigemischt werden muss. Dabei wird der Anteil schrittweise erhöht.
Momentan liegt dieser bei fünf Prozent. In absoluten Zahlen beträgt der Biodiesel-Zusatz 2,6 Mrd. Liter. Das ist gegenüber 2007 eine Steigerung von knapp 130%. Grösster Abnehmer ist Petrobras Biocombustibles (PBio). Die Gründung des Unternehmens geht auf Brasiliens Ex-Präsidenten Lula da Silva zurück.
Die Kampagne zeigt zwar Auswirkungen in allen Bundesstaaten des riesigen Landes. Die Verteilung aber ist ungleich geblieben, ist doch der Süden weiterhin Hauptlieferant von Soja. Gemäss Regierung ist aber die Produktion von ölhaltigen Pflanzen wie Sonnenblume, Rizinus und Ölpalme auf dem Vormarsch.
Label «Sozialer Treibstoff»
Die nationale Agentur für Erdöl, Erdgas und Biotreibstoffe (ANP) hat im PNPB-Programm einen weiteren Passus verankert, um die Integration der kleinen Hersteller in die Produktionskette sicherzustellen: An den Versteigerungen, welche die ANP für Kraftstoffhersteller organisiert, sind nur Unternehmen zugelassen, die das Label «Sozialer Treibstoff» führen dürfen. Das Zertifikat erhalten Unternehmen nur, wenn sie mindestens 30% der Rohstoffeinkäufe bei Kooperativen von kleinen Bauern tätigen, die bei der Regierung registriert sind.
Ende 2010 waren die Familien von knapp 110’000 Bauern im ganzen Land registriert, die an den Erlösen aus den Auktionen partizipieren konnten. Aber auch hier zeigt sich immer noch das alte Nord-Süd-Gefälle: knapp 60% gingen an Familien im Süden, während nur 0,4% in den Norden flossen.
«Biotreibstoffe bieten die Chance, die Energievorräte Brasiliens und der Welt zu diversifizieren. Darüber hinaus ermöglichen sie Menschen auf dem Land Beschäftigung und Einkommen», sagt Miguel Rossetto, Präsident von PBio.
Der ehemalige brasilianische Minister für Agrarentwicklung räumt aber ein, dass die soziale Komponente des PNPB-Programms noch ausbaufähig sei.
Der Treibstoffhersteller plant deshalb, bis 2016 Investitionen von knapp 700 Mio. Dollar in die Produktion von Biodiesel zu stecken. 2015 soll zudem ein neuer Betrieb im Bundesstaat Pará die Produktion im Norden anschieben.
Historische Vorreiterrolle
Bei der Herstellung von Ethanol aus Zuckerrohr hat Brasilien eine historische Führungsrolle inne, die aus den Tagen der Diktatur datiert. In den 1970er-Jahren investierte das damalige Militärregime gross in die Entwicklung von alternativen Energiequellen, um die Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern.
Aktuell werden weltweit schätzungsweise 40 Mrd. Liter Ethanol hergestellt, davon allein 15 Mrd. in Brasilien. Es ist das einzige Land, in dem Autofahrer ihre Motoren mit Ethanol betanken. In den USA, Japan, Mexiko, Argentinien und Kolumbien wird Ethanol immerhin dem Benzin beigemischt. Ebenfalls in Deutschland, als Bestandteil des umstrittenen Kraftstoffs E10.
Alte und neue Probleme
Aus den Tagen der Diktatur ist der grossflächige Anbau von Zuckerrohr mit dem Militär und der Arbeit unter Zwang assoziiert. Dieses Bild ändert sich nur langsam. Dazu helfen die Mechanisierung der Ernten und die Interventionen der Bundespolizei gegen ausbeuterische Arbeitsbedingungen.
Laut der Nichtregierungs-Organisation (NGO) Repórter Brasil kommt es im Nordosten zu einer forcierten Migration, direktem Kontakt der Arbeiter mit chemischen Produkten und überlangen Arbeitstagen. «Es gibt Arbeiter, die im Monat über zehn Tonnen Zuckerrohr schneiden», berichtet Raimundo Nonato Moura, Gewerkschaftsführer im Bundesstaat Piauí.
Zu den alten gesellen sich aber auch neue Probleme, insbesondere die explosionsartige Ausbreitung des Crack-Konsums unter den Zuckerrohr-Erntearbeitern.
Den NGO machen aber nicht nur die Arbeitsbedingungen Sorgen, sondern auch die Umwelt. Sie fürchten, dass sich die «Grenzen des Zuckerrohrs» allmählich in die Regenwälder Amazoniens verschieben. Umweltaktivisten kämpfen auch gegen die Brandrodungen, die das Land freimachen für den Anbau von Zuckerrohr. So wird nicht nur wertvoller Urwald zerstört, sondern auch die Umwelt massiv geschädigt, indem riesige Mengen an Treibhausgasen, vor allem CO2, freigesetzt werden.
Biodiesel sorgt für 57% weniger Treibhausgase als herkömmlicher Diesel aus Erdöl, wie eine Studie der Stiftung Fondation Getúlio Vargas (FGV) zeigt.
Die Beimischung von 5% Biodiesel zum normalen Diesel aus fossilen Brennstoffen verhinderte laut den Autoren knapp 13’000 Hospitalisierungen und 1838 Todesfälle aufgrund von Atemwegerkrankungen.
Dies sind Treibstoffe, die aus Biomasse oder biologisch abbaubaren organischen Stoffen gewonnen werden. In den USA und Europa werden sie oft mit 5 – 10% anderer Brennstoffe vermischt.
Die meist verwendeten sind Bioethanol auf der Basis von Mais, Zuckerrohr, Zuckerrübe, etc. sowie Biodiesel, das aus Pflanzenölen (Soya, Raps, Sonnenblume, Kokospalme) erzeugt wird.
Die erste Generation verwendet wegen des hohen Gehalts an Stärke, Zucker und Öl pflanzliche Lebensmittel.
Die zweite Generation verwertet Abfälle aus der Land- und Forstwirtschaft wie Bagasse des Zuckerrohrs, Maisstoppeln und dürre Äste, steckt aber noch in den Kinderschuhen.
2011 ernteten die USA erstmals mehr Mais für Biotreibstoffe als für Ernährung. Europa verwendete die Hälfte der Maisstoppeln zum gleichen Zweck.
Quelle: Weltvereinigung für erneuerbare Treibstoffe
(Übertragung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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