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Bringt Staatsstreich Kirgistan endlich Reformen?

Auf in eine bessere Zukunft oder in ein Chaos? Zwei Frauen räumen in Bischkek eingeschlagene Schaufenster auf. Keystone

Vertreter der kirgisischen Übergangsregierung haben in der Hauptstadt Bischkek versprochen, in einem halben Jahr Wahlen abzuhalten. Zentralasien-Experte Mohammad-Reza Djalili ist bezüglich Reformen aber skeptisch.

Es bestehe wenig Hoffnung, dass der Sturz der autoritären Regierung Bakjiew zu demokratischen Reformen und besseren Lebensbedingungen für die verarmte Bevölkerung führten, glaubt Djalili, der am Genfer Institut für Internationale Studien und Entwicklung unterrichtet.

Vom gestürzten Präsidenten Bakjiew hiess es, er halte sich im Süden des Landes auf. Er werde trotz seiner Flucht aus der Hauptstadt Bischkek nicht von seinem Amt zurücktreten, erklärte Bakijew zwei Tage nach dem Umsturz.

Oppositionsführerin und Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa kündigte am Donnerstag eine neue Verfassung und Präsidentenwahlen an. Aber es würde sechs Monate dauern, diese vorzubereiten, damit der Urnengang «allen Regeln der Demokratie» entspräche.

Mit denselben Versprechen sei schon Bakjiew angetreten, und gescheitert, sagt Djalili im Gespräch mit swissinfo.ch. Nach wie vor grassierten Korruption und Vetternwirtschaft, und von Demokratie könne keine Rede sein.

swissinfo.ch: Hier wissen wohl nur wenige Bescheid über Kirgistan. Wie charakterisieren Sie das Land?

Mohammad-Reza Djalili: Es ist sehr arm und sehr klein. Es ist aber das einzige Land, in dem es in nächster Nähe eine russische und amerikanische Militärbasis gibt. Beide befinden sich nahe der Grenze zu China.

Die Militärbasen gehören zu den wenigen Einkommensquellen des Landes, denn sonst gibt es weder Gas noch Öl. Von der Basis in Manas fliegen die US-Streitkräfte Einsätze in Afghanistan.

swissinfo.ch: Wie wirkt sich die Präsenz der beiden Grossmächte für die Region aus?

M.R.: Russland bot Kirgistan zwei Milliarden Dollar an, die US-Basis in Manas zu schliessen. Aber die Regierung in Bischkek trat nicht darauf ein.

Weil das Land so arm ist, ist es auf die Hilfe der USA angewiesen. Das führte zu einer Verschlechterung der Beziehungen zum Kreml.

Das Problem nach dem Sturz der Regierung liegt aber in China. Peking fürchtet sich vor Veränderungen in Bischkek, insbesondere vor einer Revolution oder Demokratisierung.

swissinfo.ch: Drohen die Interessen Chinas die Region zu destabilisieren?

M.R.: Das halte ich für weniger wahrscheinlich, ich sehe es momentan als einen lokalen Konflikt. Sorgen bereitet mir aber die künftige Entwicklung im Land selber. Beruhigt sich die Lage oder kommt es zu einem Konflikt zwischen dem Norden und Süden?

Dauern die gewalttätigen Konflikte weiter an, können daraus Probleme entstehen, weil in den umliegenden Ländern Usbekistan und Kasachstan viele Kirgisen leben. Beruhigt sich die Lage rasch, bleibt es eine lokale Frage.

swissinfo.ch: Was führte zum Sturz des Regimes in Bischkek?

M.D.: Askar Akajew, der erste Präsident nach dem Zerfall der Sowjetunion, versprach demokratische Reformen, löste das Versprechen aber nie ein.

2005 kam Bakjiew in der so genannten Tulpen-Revolution an die Macht und versprach genau dasselbe. Doch in den fünf Jahren hat sich seither nichts getan im Kampf gegen autoritäre Strukturen, Vetternwirtschaft und Korruption.

Und jetzt tritt eine neue Regierung an und wiederholt die alten Versprechen.

swissinfo.ch: Waren die explodierenden Elektrizitätspreise Auslöser des Umsturzes?

M.D.: Das hat auch mitgespielt. Aber wichtiger war die Wirtschaftslage. Aufgrund der verbreiteten Arbeitslosigkeit wissen die Familien nicht, wie sie überleben können.

Gleichzeitig wird die Schere zur Oberschicht immer grösser. Der politischen Elite geht es blendend, während die grosse Mehrheit des Volkes darbt. Es hat nie eine Entwicklung gegeben, die diese Ungleichheit in der kirgisischen Gesellschaft verkleinert hätten.

swissinfo.ch: Wieso hielten sich die Präsidenten nie an ihre Versprechen?

M.D.: Es gibt einen ökonomischen und einen politischen Grund. In Kirgistan herrscht eine Günstlingswirtschaft. Wer ein wichtiges Amt bekleidet, begünstigt alle Familienmitglieder und Freunde, so dass es diesen an nichts mangelt. Alle anderen bleiben vom System ausgeschlossen. Das ist eine sehr ungerechte Gesellschaft.

Die Regierung ist seit jeher nicht sehr stark, weil ihr Möglichkeiten fehlen, wie sie die Regierungen Usbekistans und Kasachstans haben. Diese verfügen über Geld, eine starke Polizei sowie eine schlagkräftige Armee. Kirgistan ist dagegen ein sehr fragiles Staatsgebilde.

swissinfo.ch: Packt die neue Regierung die Probleme tatsächlich an, oder gibt es in fünf Jahren den nächsten Umsturz?

M.R.: Es bleibt zu hoffen, dass die neue Regierung die Fehler der beiden vorherigen nicht wiederholen wird. Aber ich bin nicht sehr optimistisch.

Wir haben einen Umsturz erlebt, ein sozialer, tiefliegender gesellschaftlicher Wandel hat nicht stattgefunden. Es bleibt aber abzuwarten, ob wir weitere positive Veränderungen des Systems sehen.

Tim Neville, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Renat Künzi)

Die Schweiz zeigte sich in einer ersten Stellungnahme besorgt über die Ereignisse in Kirgistan.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey appellierte an alle Beteiligten, Zurückhaltung zu üben, weiteres Blutvergiessen zu vermeiden und den Dialog für eine friedliche Lösung zu suchen.

Zudem rief die Schweiz zum Respekt der Menschenrechte, zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit und Wiederherstellung der demokratischen Ordnung auf.

Das EDA rät bis auf weiteres von Touristen- und anderen nicht dringenden Reisen nach Kirgisistan ab.

Kirgistan gehört mit Tadschikistan und Usbekistan zur Schweizer Schwerpunktregion Zentralasien.

Beim Schweizer Engagement in Kirgistan handelt es sich um ein gemeinsames Entwicklungsprogramm der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco).

Zusammen investieren sie jährlich gut 15 Mio. Franken.

Schwerpunkte sind die Bereiche Wassermanagement und Gesundheit.

Die Deza hat ihr Kooperationsbüro in Bischkek vorläufig geschlossen.

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