Brüssel will Bern härter anfassen
Am Dienstag werden die 27 EU-Aussenminister einen Bericht gutheissen, der für die schweizerisch-europäischen Beziehungen folgenschwer sein könnte. Vorgeschlagen wird die Abschaffung der Bevorzugung von Holdinggesellschaften in gewissen Kantonen.
Am 7. Dezember haben die 27 EU-Finanzminister die Europäische Kommission aufgefordert, ihre Gespräche im Bereich der Unternehmensbesteuerung mit der Schweiz fortzusetzen: Die Schweiz soll überzeugt werden, die Verhaltensrichtlinien zu akzeptieren, die die EU 1997 vorgegeben hatte.
«Wegen der sehr intensiven Wirtschaftsbeziehungen der Schweiz zur EU ist es nicht abwegig, mit der Schweiz über dieses Thema zu diskutieren – sogar dann, wenn das Land nicht Mitglied der Union ist», sagt Luc Frieden, zuständiger EU-Finanzminister aus Luxemburg.
Wettbewerbsverzerrung
Die EU-Aussenminister wollen am 14. Dezember Nägel mit Köpfen machen, wenn sie ein Papier genehmigen, das die Beziehungen mit den EFTA-Ländern Schweiz, Norwegen, Liechtenstein und Island regelt. Es dürfte für Bern streng ausfallen.
Die Anwendung dieser Richtlinien hat die 27 Länder bereits gezwungen, rund hundert fiskalische Massnahmen abzuschaffen, die als wettbewerbsschädlich erachtet worden sind. Der Grund: Man befürchtete die Auslagerung der Unternehmen aus fiskalischen Gründen, was einem wettbewerbsverzerrenden Effekt gleichkäme. Nun ist es die Situation in der Schweiz, die die 27 Länder beunruhigt.
So sprechen sie sich als «sehr besorgt» über den Umstand aus, dass in gewissen Schweizer Kantonen Holdings und ähnliche Gesellschaftsformen steuermässig bevorzugt würden. Unter Holdings versteht man Dachgesellschaften von international tätigen Firmen, die dazu benutzt werden, den Sitz des Unternehmens in ein steuerlich günstigeres Land zu verlegen.
Die Bevorzugungen von Holdings führe zu «nicht akzeptablen Wettbewerbsverzerrungen». Die EU setzt eine solche Fiskalpolitik mit staatlichen Subventionen gleich, die gemäss ihr abgeschafft gehören.
Zwar hat die Schweiz zugesagt, die entsprechenden Regelungen anzupassen, doch das allein scheint der EU nicht zu genügen.
Erleichterungen für Randregionen
Die 27 stören sich auch an gewissen Massnahmen im Bereich der neuen Regionalpolitik, die die Schweiz einführt. Die steuerlichen Erleichterungen für Unternehmen, die sich in gewissen Randregionen niederlassen möchten, könnten ebenfalls wettbewerbliche Verzerrungen zur Folge haben, und zwar beidseits der schweizerischen Grenzen.
Ausserdem bestehen die EU-Aussenminister auf einer verstärkten Kooperation im Bereich des Steuerbetrugs und der Steuerflucht. Sie erwarten von der Schweiz, dass sie «schnell und konsistent» jene OECD-Normen zur Amtshilfe bei Steuerhinterzieuhng umsetze.
Es geht der EU offenbar nicht nur um die Durchleuchtung von gewissen Sektoren. Sie erachtet es auch als angebracht, die Gesamtheit der bilateralen Beziehungen mit der Schweiz in einen anderen Rahmen zu stellen.
Grenzen des bilateralen Wegs
Die Beziehungen mit der Schweiz seien «gut, intensiv und breit abgestützt», so die EU, und spart nicht mit Lob: Die Schweiz sei Schengen-Mitglied geworden, habe einen weiteren Tunnel durch den Gotthard gebohrt, beteilige sich am gesellschaftlich-wirtschaftlichen Wiederaufbau der armen neuen EU-Länder im Osten.
Die 27 Länder sind überzeugt, dass diese Beiträge der Schweiz an der Vereinheitlichung des gemeinsamen innereuropäischen Marktes «sich auch in Zukunft fortsetzen werden».
Doch weisen sie auch darauf hin, dass die bilaterale Schiene, auf der sich alle diese Abkommen abwickeln, «ganz klar ihre Grenzen hat». Es seien Dutzende von Abkommen, die ein «komplexes» Gefüge bilden. Es gebe keinen Mechanismus, um die Fortentwicklung des EU-Rechtsbestandes (Acquis communautaire) zu übernehmen und die korrekte Beachtung der Abkommen zu prüfen. Das bilaterale System biete keine Garantie für eine einheitliche Auslegung und Umsetzung. Dies habe in der EU zu Rechtsunsicherheit für Behörden, Unternehmen und Bürgern geführt.
Die Aussenminister beklagen sich über eine «uneinheitliche Anwendung» des Abkommens über die Personenfreizügigkeit, die mit den Abkommen nicht vereinbar seien. Sie werfen Bern vor, nicht regelkonforme Begleitmassnahmen aufgestellt zu haben, um gegen das Lohndumping von EU-Bürgern in der Schweiz vorzugehen. Die EU bezieht sich bei diesem Vorwurf auf die achttägige Voranmeldefrist für ausländische Dienstleistungsbetriebe. Für Bern sind diese begleitenden Massnahmen keine Verletzung des Abkommens.
Es fehle auch an effizienten Lösungen für eine gleichmässige Anwendung der Regeln, was den gemeinsamen europäischen Markt betrifft, in welchen die Schweiz andererseits selbst stark integriert sei.
Meinungsverschiedenheit bezüglich der Mittel
Die EU will künftig keine auf Berns Bedürfnisse zugeschneiderten Kompromisse mehr machen. Sie wünscht Abkommen, die an die laufende EU-Gesetzgebung dynamisch anpassbar sind, inklusive deren Überwachung und Kontrolle.
Die Schweiz und die Europäische Kommission haben bereits Gespräche zur diesem Thema eingeleitet. Doch Brüssel gibt zu, dass sich die beiden Verhandlungsparteien nicht einig sind, wie die Ziele zu erreichen sind.
1961: Die Schweiz und sechs weitere Staaten gründen die Efta für Freihandel in Europa.
1963: Die Schweiz tritt dem Europarat bei.
1992: Der Bundesrat reicht in Brüssel ein Beitrittsgesuch für die Europäische Union ein. Dieses ist immer noch hängig.
2006: Der Bericht der Regierung über die europäische Integration bestätigt klar die bilaterale Option. Seit 1972 haben die Schweiz und Brüssel rund 120 Abkommen unterzeichnet.
1992: Die Schweiz lehnt den Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) mit 50,3% Nein-Stimmen ab.
1997: 74% der Stimmenden lehnen einen Entscheid zum Thema EU-Beitritt ab.
2000: Die Bilateralen Verträge I werden an der Urne mit 67% angenommen (freier Personenverkehr, Abbau Handelshemmnisse, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Verkehr, Forschungsprogramme).
2005: Ja zu den Bilateralen Verträgen II mit grossem Mehr (Abkommen innere Sicherheit, Asylwesen, Umweltschutz, Kultur). Auch die Ausdehnung des freien Personenverkehrs auf die zehn neuen EU-Mitgliedstaaten wird klar angenommen.
2006: Das Volk stimmt dem Kohäsionsbeitrag von rund einer Milliarde Franken zur Förderung der neuen, ärmeren EU-Staaten mit 53,4% zu.
2009: Zustimmung zur Ausweitung des freien Personenverkehrs auf die Neumitglieder Rumänien und Bulgarien.
Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle
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