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Bundesrat setzt auf Kontingente und Inländervorrang

Das Abstimmungsresultat vom 9. Februar 2014 wird am 11. Februar 2015 etwas konkretisiert. Keystone

Fast auf den Tag genau ein Jahr nach Annahme der "Masseneinwanderungs-Initiative" hat der Bundesrat bekannt gegeben, wie er diese umsetzen will. Im Zentrum der Vorlage stehen wie angekündigt Zuwanderungs-Kontingente, der Inländervorrang und Massnahmen zur Aktivierung des inländischen Arbeitskräftepotenzials.

Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga verteidigte am 11. Februar vor den Medien das Vorgehen des Bundesrats zur Umsetzung der Initiative. «Wir gehen Schritt für Schritt – ohne Zeit zu verlieren, aber auch ohne unnötige Hektik», betonte sie.

Die Zulassung für EU-Bürgerinnen und -Bürger soll wie bisher im Freizügigkeits-Abkommen geregelt werden. Dieses müsse entsprechend dem Verfassungsauftrag angepasst werden. Die Resultate der angestrebten Verhandlungen mit der EU seien deshalb für den Gesetzesentwurf von Bedeutung.

Gemäss dem Vorschlag des Bundesrats werden den Höchstzahlen Aufenthalte zur Erwerbstätigkeit ab vier Monaten Dauer unterstellt, also Aufenthaltsbewilligungen und Kurzaufenthaltsbewilligungen. Ebenso sollen Grenzgängerinnen und Grenzgänger, Familienangehörige, Nicht-Erwerbstätige sowie Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen den Höchstzahlen unterliegen.

Der Gesetzesentwurf sieht vor, dass die Regierung die Höchstzahlen und Kontingente festlegt. Auf ein zum Vornherein definiertes starres Reduktionsziel wird aber verzichtet, «zu Gunsten des gesamtwirtschaftlichen Interesses», wie das EJPD schreibt. Der Bundesrat will sich auf die Bedarfserhebungen der Kantone sowie auf die Empfehlungen einer Zuwanderungskommission stützen.

Die wichtigsten Ereignisse seit dem 9.2.2014

9.2.: Die Volksinitiative «Gegen Masseneinwanderung» der SVP wird an der Urne von 50,3% der Stimmenden und von 17 Kantonen angenommen. Die EU-Kommission reagiert postwendend: Das Votum verletze das Prinzip des freien Personenverkehrs zwischen der EU und der Schweiz.

12.2.: Die EU-Botschafter nehmen das EU-Mandat für Verhandlungen mit der Schweiz über ein Rahmenabkommen zur Lösung der institutionellen Fragen vorläufig von der Agenda.

16.2.: Die Schweiz informiert Kroatien, dass sie das fertig ausgehandelte Protokoll zur Ausdehnung der Personenfreizügigkeit nicht unterzeichnen kann. Die EU legt daraufhin die Verhandlungen über das Forschungsprogramm Horizon 2020, das Bildungsprogramm Erasmus+ und das Stromabkommen auf Eis.

20.6.: Der Bundesrat präsentiert ein Konzept zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels, das sich eng an den Text der Initiative hält. So soll die Zuwanderung ab Februar 2017 wieder mit Höchstzahlen und Kontingenten gesteuert werden.

7.7.: Die Schweiz reicht bei der EU formell das Begehren zur Anpassung des Freizügigkeits-Abkommens an die neue Verfassungsbestimmung ein.

25.7.: Die EU weist das Revisionsbegehren zurück und macht einmal mehr klar, dass zahlenmässige Beschränkungen und Kontingente wie auch der Inländervorrang in «fundamentalem Widerspruch» zum Freizügigkeits-Abkommen stünden. Sie bietet jedoch Hand, um «praktische Probleme bezüglich der Umsetzung des Abkommens» zu diskutieren.

26.7.: Die Schweiz und die EU einigen sich auf eine Zwischenlösung für Horizon 2020, die eine Teilassoziierung der Schweiz am EU-Forschungsprogramm bis Ende 2016 ermöglicht.

28.11.: Um ein «Zeichen» zu setzen, kürzt der Bundesrat die Kontingente für Fachkräfte aus Drittstaaten auf den 1. Januar 2015 um 2000 Einheiten.

30.11.: Die Stimmberechtigten lehnen die Initiative «Stopp der Überbevölkerung – zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen» (Ecopop-Initiative) mit 74,1% Nein-Stimmen ab.

8.12.: Die EU-Staaten stellen sich hinter den Entscheid der EU-Kommission, mit der Schweiz die Personenfreizügigkeit nicht neu zu verhandeln. Sie sehen bei der Umsetzung der Initiative zudem die Bilateralen I sowie die Abkommen zu Schengen/Dublin bedroht.

2.2.2015: Ein Treffen von Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bringt keine Annäherung in der Sache. Immerhin erklärt sich die EU zu «Konsultationen» bereit.

Weiter sieht der Gesetzesentwurf vor, dass der Inländervorrang im Einzelfall geprüft wird. Jedoch soll es Ausnahmen bei Berufen mit ausgewiesenem Fachkräftemangel geben. Dort soll auf eine weitergehende Prüfung verzichtet werden.

Verschiedene Abkommen auf der Kippe

Die Masseneinwanderungs-Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) verlangt im Wesentlichen, dass die Schweiz die Zuwanderung wieder eigenständig steuert, und zwar mit Kontingenten. Heute gilt gegenüber EU- und EFTA-Ländern der freie Personenverkehr. Kontingentiert ist nur die Zuwanderung aus Drittstaaten.

Weil sich ein solches System nicht mit dem Freizügigkeits-Abkommen verträgt, ist derzeit offen, wie das Verhältnis zur EU in Zukunft aussehen wird. Diese lehnte es bisher strikt ab, mit der Schweiz über den freien Personenverkehr zu verhandeln.

Trotzdem will es die Schweiz weiterhin versuchen. Das dafür nötige Verhandlungsmandat hat der Bundesrat ebenfalls am 11. Februar verabschiedet. Demnach verfolgt er drei Ziele: Die Schweiz soll die Zuwanderung wieder selbständig steuern, die bilateralen Verträge und der Schutz gegen Lohndumping sollen aber beibehalten werden.

In den Verhandlungen muss auch geklärt werden, welche Regeln gegenüber Kroatien gelten sollen. Wegen der Initiative konnte die Personenfreizügigkeit bisher nicht auf das jüngste EU-Mitglied ausgedehnt werden. Derzeit gilt eine Übergangslösung, mit der eine Diskriminierung Kroatiens verhindert wird.

Gibt es in der Frage der Personenfreizügigkeit keine Einigung, droht eine Kündigung des Freizügigkeits-Abkommens. Die fünf weiteren Abkommen, die über die Guillotinen-Klausel damit verbunden sind, würden in der Folge automatisch dahinfallen. Zudem würde der Abschluss eines Rahmenabkommens über institutionelle Fragen in weite Ferne rücken. Die EU hat ein solches zur Bedingung gemacht für weitere Marktzutritts-Abkommen.

«Innen- und aussenpolitische Piste»

In den vergangenen Wochen und Tagen hätten sich die gut gemeinten und guten Vorschläge buchstäblich überschlagen, stellte Sommaruga zu Beginn der Medienkonferenz fest. Dafür zeigte sie Verständnis. Sie wehrte sich aber gegen Vorwürfe an den Bundesrat. Die Phase der Ungewissheit habe mit der Abstimmung zu tun, nicht mit der Linie des Bundesrats.

Es gebe in diesem Dossier einen innen- und eine aussenpolitische Piste. Die Aufgabe des Bundesrats sei es, beide zusammenzubringen. «Innenpolitisch sind wir auf Kurs», sagte Sommaruga. Aussenpolitisch habe es eine Reihe von Schwierigkeiten zu bewältigen gegeben.

Die EU habe das Gesuch des Bundesrats um eine Revision des Personenfreizügigkeits-Abkommens negativ beantwortet. Der Bundesrat habe sich jedoch nicht beeindrucken lassen und dennoch ein Verhandlungsmandat formuliert.

Gemeinsam nach Wegen suchen

Vergangene Woche habe der Bundesrat nun die neuen EU-Spitzen getroffen und Gespräche vereinbart. Das sei ein kleiner, aber nicht unbedeutender Fortschritt, sagte Sommaruga. Die EU habe erstmals Bereitschaft gezeigt, gemeinsam nach Wegen zu suchen.

Die innen- und die aussenpolitische Dimension zusammenzubringen, sei schwierig, aber nicht unmöglich, sagte Sommaruga. «Was keine Option ist: Dass wir es nicht wenigstens versuchen.» Der Bundesrat werde seine Ziele konsequent verfolgen.

Die Bundespräsidentin sprach von drei Szenarien bei den Gesprächen mit der EU: «Wir erreichen nichts, wir erreichen alles, wir erreichen nicht alles, aber auch nicht nichts.» Wenn der Bundesrat wisse, was er erreicht habe, werde er mit Blick auf den innenpolitischen Prozess die Schlüsse daraus ziehen.

An der Medienkonferenz sprachen auch Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann und Aussenminister Didier Burkhalter. Schneider-Ammann hob den Wert der bilateralen Verträge hervor. Wer deren Bedeutung kleinrede, spiele mit dem Feuer.

Dies könne die Schweiz gegenwärtig mit dem starken Franken überhaupt nicht brauchen, sagte Schneider-Ammann. «Seit dem Frankenschock geht es darum, dass wir die Quadratur des Kreises lösen und die bilateralen Verhältnisse zur EU in die Zukunft mitnehmen können.» Burkhalter sprach von einem «Hindernisparcours». Er sprach unter anderem über die Schwierigkeiten, eine Lösung für Kroatien zu finden und gab zu bedenken, dass sämtliche EU-Staaten zustimmen müssten.

Sommaruga sorgte an der Medienkonferenz auch kurz für Erheiterung, als sie den in den Medien breit thematisierten Kuss von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ansprach. Sie habe gestern mit Juncker telefoniert, sagte sie. «Kusstechnisch ist das absolut sicher und unverfänglich.»

EU reagiert zurückhaltend

Die EU-Kommission reagierte wie erwartet mit Zurückhaltung auf den Gesetzesentwurf der Schweizer Regierung. Man werde den Gesetzesentwurf sowie «die neuen Begleitmassnahmen im heimischen Arbeitsmarkt» im Detail auf deren Kompatibilität mit dem Freizügigkeitsabkommen zwischen der EU und der Schweiz prüfen, liess Maja Kocijancic, Sprecherin bei der EU-Kommission, verlauten.

Dabei unterstrich die EU-Kommission wie bereits früher schon, dass von der Schweiz erwartet werde, «dass sie ihre Verpflichtungen einhält, die aus dem Abkommen hervorgehen».

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