«Eine Rückkehr zur Normalität, die die SVP auf die Probe stellt»
Mit der Wahl eines offiziellen Kandidaten der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sei die Konkordanz innerhalb der Schweizer Regierung wieder hergestellt. Die Partei stehe nun in der Pflicht und müsse Verantwortung übernehmen, schreibt die Schweizer Presse. Dass der relativ unbekannte Guy Parmelin gewählt wurde, bezeichnen die Kommentatoren als kleinsten gemeinsamen Nenner der andern politischen Parteien.
«Die SVP hat ihr angepeiltes Ziel erreicht. Sie hat den ihr zustehenden zweiten Sitz in der Landesregierung erobert. Mit Nationalrat Guy Parmelin hat die Bundesversammlung einen offiziell nominierten Kandidaten gewählt. Der 56-jährige Waadtländer Weinbauer schaffte die Wahl, obschon er bisher nicht zu den Tenören seiner Partei gehört hat und seit 2003 auf leisen Sohlen im Bundeshaus unterwegs gewesen ist», so resümiert die Neue Zürcher Zeitung in ihrem Kommentar die Ersatzwahl in die Landesregierung.
Departementsverteilung
Guy Parmelin wird Verteidigungsminister. Sein Parteikollege Ueli Maurer, der das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) seit 2009 führt, wechselt ins Finanzdepartement.
Die übrigen Bundesräte behalten ihre Departemente. Darauf hat sich die Landesregierung geeinigt.
(Quelle: sda 11.12.2015)
Es sei eine «Wahl der Vernunft», so die NZZ: «Im Bundeshaus ist der Courant normal eingekehrt. Gleichwohl kommt die jüngste Bundesratswahl einer Zäsur gleich. Der 9. Dezember 2015 markiert den Schlusspunkt hinter eine achtjährige Periode, die von Instabilität geprägt war.» Das Unheil habe am 12. Dezember 2007 mit der Abwahl von SVP-Übervater Christoph Blocher aus dem Bundesrat seinen Anfang genommen. «Seither war das parteipolitische Gefüge zerrüttet», und das habe «für Blockaden, Stillstand, Konfrontation» gesorgt.
«Macht aus dem Staat Gurkensalat»
Internationale Presse
Die internationale Presse sieht in der Wahl von Guy Parmelin als zweiten SVP-Bundesrat eine Stärkung der Rechtspopulisten in der Schweizer Regierung. Dadurch dürften auch die Beziehungen zur EU schwieriger werden, mutmasst etwa das Wall Street Journal.
«Die Schweizer Regierung rückt weiter nach rechts», schreibt Spiegel-Online. Dass die «Rechtspopulisten» jetzt ihren zweiten Sitz im Bundesrat zurückerhielten, «spiegelt letztlich politische Normalität wider», schreibt das Portal weiter.
Nun seien wieder alle wichtigen politischen Kräfte gemäss ihrer Stärke in der Regierung vertreten. In Bern bestehe nun Hoffnung, dass die SVP, die «allzu häufig einen Oppositionskurs einschlug, künftig gemässigter agiert».
Durch den Rechtsrutsch in der Regierung dürften die Beziehungen zur Europäischen Union (EU) schwieriger werden, schreibt das «Wall Street Journal» in seiner Online-Ausgabe. Die Rechte habe durch ihre Anti-Migrationspolitik Punkte markiert.
Der Machtzuwachs der SVP sei Folge ihres Triumphs bei den Parlamentswahlen im Oktober, schreibt die deutsche Nachrichtenagentur dpa. Das SVP-Wahlprogramm sei jenem anderer europäischer Rechtsparteien wie dem Front National in Frankreich oder der Partei für die Freiheit in den Niederlanden ähnlich.
Die erste Machtprobe stehe bei der Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative an, schreibt die dpa weiter. «Jede Menge Streit» sei also absehbar bei den künftigen Sitzungen des Bundesrats. «Die viel beschworene Kompromissfähigkeit der Eidgenossen dürfte dann immer wieder mal hart auf die Probe gestellt werden.»
«Ein weiterer Minister in der Schweizer Regierung für die Rechtspopulisten», titelte die französische Nachrichtenagentur Agence France Presse (AFP). Parmelin habe ein Image als «pragmatischer Zentralist», was bei den Linken und der Mitte auf Anklang gestossen sei, die den beiden anderen von der SVP vorgeschlagenen Kandidaten Rechtsradikalismus vorgeworfen hätten.
Für die italienische Nachrichtenagentur ansa hat die Wahl von Guy Parmelin in den Bundesrat die Rechte in der Regierung gestärkt. Sie qualifiziert die SVP als populistische Rechtspartei, die absolut gegen die Migration und gegen die EU sei.
(Quelle: sda)
Nun jedoch habe das Parlament «die Rückkehr zur konkordanten Vernunft vollzogen» und die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) könne wieder und «ohne Wenn und Aber an ihre staatspolitische Verantwortung erinnert werden. Das gebetsmühlenartig repetierte Lamento dieser Partei über das konkordante Foulspiel der anderen Parteien muss jetzt ein Ende haben. Das Pendel hat sowohl im Bundesrat als auch im Parlament nach rechts ausgeschlagen. Das heisst: Die SVP muss aufhören, am laufenden Band zu den Waffen der Opposition – Volksinitiativen, Referenden – zu greifen. Sie muss tragfähige Lösungen konstruieren, mit den anderen bürgerlichen Parteien parlamentarische Mehrheiten schaffen und diese nötigenfalls vor dem Souverän verteidigen», so die NZZ.
«Wer aus dem Staat Gurkensalat machen will, läuft heute nicht mehr mit einem Transparent durch die Strasse. Sondern mit dem SVP-Wahlcouvert», schreibt der Zürcher Tages-Anzeiger. «Für die SVP bedeutet Parmelins Wahl die Übernahme von mehr Verantwortung.»
Wer nahezu 30 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereine und zwei Bundesräte stelle, könne nicht weiterhin vorgeben, dem Politbetrieb irgendwie von aussen zuzusehen – und ihn mit radikalen Initiativen aufmischen. Die SVP müsse nun vielmehr «nach gutschweizerischer Tradition Allianzen schmieden und Kompromisse eingehen», denn «politische Stabilität ist eine Grundbedingung unseres Wohlstands, Minderheitenschutz ein Wesenszug des Landes», schreibt der Tages-Anzeiger.
«Knicks vor der SVP»
Das Parlament habe «den Anspruch der SVP auf einen zweiten Bundesratssitz ohne Wenn und Aber anerkannt», schreibt die Berner Zeitung: «Als wählerstärkste Partei steht die SVP nun in der Pflicht, Lösungen zu präsentieren, Kompromisse zu finden, Mehrheiten zu schaffen.» In den letzten Jahren habe die SVP das verlernt, denn «allzu oft kämpfte sie mit den Waffen der Opposition. Reihum sind die Erwartungen hoch. Die SVP steht unter Beobachtung. Verhält sie sich wider Erwarten weiter destruktiv, könnte eine Regierung ohne SVP-Beteiligung zu einer echten Option werden».
Vordergründig sei mit der Wahl von Guy Parmelin «der Zauber der Formel für die Konkordanz wieder wirksam und die wählerstärkste Partei des Landes mit zwei Sitzen im Bundesrat vertreten», schreibt der Blick. Doch die Wahl zeuge auch «von einer gewissen Resignation der Vereinigten Bundesversammlung vor den Wahlerfolgen und dem Politstil der nahezu 30-Prozent-Partei SVP».
Die Wahl Parmelins, einem «Offiziellen aus einem blassen Kandidaten-Trio der SVP» bezeichnet der Blick als «Knicks vor der SVP», von dem sich das Parlament «weniger Opposition, weniger Initiativen, weniger Referenden» erhoffe. Doch ob sich die Hoffnung erfülle, das entscheide die «SVP ganz allein. Ob sie das tut, ist freilich mehr als fraglich».
Das «kleinste Übel»
Es sei schade, dass das Parlament nicht den Mut gehabt habe, einen Kandidaten ausserhalb des offiziellen SVP-Tickets zu wählen, schreibt das Online-Portal Watson. Der Linken und der Mitte habe der Mut zu diesem Schritt gefehlt , «sich mit der SVP anzulegen. Nun hat die Volkspartei ihren Willen bekommen, die arithmetische Konkordanz ist wieder hergestellt. Die Fraktionssprecher betonten, sie wollten für das Land die beste Lösung. Gewählt hat das Parlament das kleinste Übel».
Parmelin sei keineswegs ein «unangenehmer Mensch», aber er sei «seit seiner Wahl in den Nationalrat im Jahr 2003 nie über den Status des Hinterbänklers hinaus gekommen. In den Hearings der Fraktionen hat der Weinbauer aus der Waadt kaum jemanden überzeugt. Für ihn sprach einzig die Tatsache, dass er sich zu heiklen Themen wie den Menschenrechten etwas flexibler geäussert hat als seine Mitbewerber».
Die SVP werde sich nun «höchstens punktuell mässigen», so Watson. «Die Bundesratswahl 2015 wird nicht als Ruhmesblatt in die Geschichte eingehen. Vielleicht muss man eine bekannte Redensart zitieren: Jedes Land hat die Regierung, die es verdient.»
Parmelin, das «Rätsel»
«Wer ist eigentlich Guy Parmelin? Das fragten sich viele noch bis zur Bundesratswahl. Die Bundesversammlung aber hat jetzt ausgerechnet diesen zumindest in der Deutschschweiz weitgehend unbekannten Hinterbänkler zum Nachfolger von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gewählt», kommentiert die Neue Luzerner Zeitung und prophezeit, die Wahl werde «vor allem die politische Mechanik des Landes stabilisieren. Und das ist gut so, denn Stabilität erhöht die politische Berechenbarkeit und somit auch die wirtschaftliche Attraktivität der Schweiz. Zugleich ist die klar grösste Partei des Landes, die SVP, wieder ordnungsgemäss mit zwei – selbst bestimmten – Vertretern in der Landesregierung präsent».
Es sei abzuwarten, wie Parmelin «als Departementsvorsteher und als Mitglied der Kollegialbehörde Bundesrat seine Sache tatsächlich machen wird», so die Neue Luzerner Zeitung: «Es sind schon klar Profiliertere im Amt gescheitert, während andere im Bundesrat richtiggehend aufblühten.»
«Wie wird aus dem kleinsten gemeinsamen Nenner ein grosser Bundesrat. Das ist die Herausforderung, der sich Guy Parmelin wird stellen müssen», schreibt der Westschweizer Le Temps und bezeichnet den neu Gewählten als «Rätsel»: «Niemand weiss, ob er die Fähigkeit hat, zu führen, ob seine Fähigkeiten über das Dossier Sozialversicherungen hinausgehen und ob seine nach rechts driftente politische Haltung seiner tiefen persönlichen Überzeugung entspricht oder lediglich dem flüchtigen Wunsch, seiner Partei zu gefallen.»
Doch die Politik in der Schweiz habe «diese Magie, die es ermöglicht, dass relativ gewöhnliche Menschen, von denen niemand grosse Leistungen erwartet, ausser, dass sie gute Verwalter sind und mit ihren Kollegen zusammen funktionieren können, an die Macht kommen können. Die Wahl Parmelins muss in diesem Kontext gesehen werden».
Rückkehr der Waadt
«Guy Parmelin muss nun beweisen, dass er fähig ist, zu regieren. Aber man kann ihn erst beurteilen, wenn man ihn bei der Arbeit sieht. Ein guter Abgeordneter wird nicht unbedingt ein gutes Regierungsmitglied, und ein mittelmässiger Abgeordneter kann ein guter Bundesrat werden», schreibt der Corriere del Ticino.
«Guy Parmelin führt den Kanton in den Bundesrat zurück», titelt die Waadtländer Zeitung 24 Heures. Die Waadt ist seit 1998 nicht mehr in der Landesregierung vertreten. Entsprechend würdigt das Blatt die Tatsache, dass mit Parmelin wieder ein Waadtländer in den Bundesrat gewählt worden ist und zeigt ihn mitsamt Blumenstrauss auf der Front.
Doch ungetrübt ist die Freude nicht. Parmelin habe den Kanton vor einigen Jahren im Stich gelassen, als er sich gegen eine Kandidatur für die kantonale Regierung und für eine nationale Karriere entschieden habe, kritisiert der Kommentator. Doch der Mann sei «kompetenter und intelligenter» als es während der Wahlkampagne geheissen habe. «Er hat einen Sinn für die Politik, und er ist ein zuverlässiger und besonnener Gesprächspartner. Er wird – darauf wetten wir – ein gutes Mitglied des Bundesratskollegiums abgeben.»
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