Trotz Klimawahl: Die Alten sind auch die Neuen
Der Angriff der Grünen Partei auf einen Bundesratssitz lief ins Leere: Alle amtierenden Mitglieder der Regierung wurden mit sehr guten Resultaten wiedergewählt. Spannend waren die Gesamterrneuerungs-Wahlen trotzdem. Analyse.
Die Grünen, die bei den Parlamentswahlen weitaus am meisten zusätzliche Stimmen hollten, haben weiterhin keinen Sitz in der Schweizer Regierung. Ihre Sprengkandidatin Regula Rytz, die einen der beiden Sitze der Freisinnigen Partei anzugreifen versuchte, machte lediglich 82 Stimmen. Ignazio Casis wurde mit 145 Stimmen wiedergewählt.
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Dass der Aussenminister das mit Abstand schlechteste Resultat erzielte, liegt nicht daran, dass er zu den unpopulärsten Landesvertretern gehört, auch nicht daran, dass er mit seiner Politik derzeit nicht auf einer Erfolgswelle reitet. Der Grund für sein schlechtes Abschneiden war, dass die Grünen und die Sozialdemokraten nach den Klima-Parlamentswahlen vom Oktober ihre Stimme der Sprengkandidatin gaben.
Was Cassis vor allem vor einer Abwahl schützte, war dessen Herkunft. Die grösste Schwäche in der Strategie der Grünen war, dass sie einen Vertreter der italienischen Minderheit angriffen. Dass die Interessen der Landesteile in der Regierung vertreten sein sollen, verlangt nämlich sogar die Verfassung. Und diesem Argument folgten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier der anderen Parteien geschlossen.
Vom Partei- zum Kollegialmitglied
Keine Ränkespiele, keine Intrigen, keine Abwahl: Das neue Parlament hält die Konkordanz hoch. Das zeigte das Stimmverhalten auch bei der unbestrittenen Wiederwahl der anderen sechs amtierenden Mitglieder, die allesamt sehr gute oder sogar Glanzresultate erzielten. Das war Ausdruck davon, dass die Mitglieder des Parlaments den Anspruch der anderen grossen Parteien auf deren Vertretung in der Regierung unterstützten.
Es zeigte aber auch, dass es den Amtierenden gelungen ist, in ihrer Regierungszeit das Parteibuch beiseite zu legen und Mitglied eines Kollegialorgans zu werden. Dass mit den Bundesrats-Erneuerungswahlen jeweils auch eine Zwischenbilanz zur Leistung der amtierenden Regierungsmitglieder gezogen wird, war heuer nicht ersichtlich.
Das Parlament hat seine Funktion als Stabilitätsfaktor bestätigt. In der vorausgehenden Debatte war dieser Begriff einer der meist zitierten, vor allem wenn es darum ging, die bestehende Sitzverteilung zu verteidigen. Manche sagten Konkordanz und meinten Machterhalt. Dass Stabilität auch bedeuten könnte, sich dem Wählerwillen anzupassen, wie die Grünen argumentierten, überzeugte nur eine Minderheit der Volksvertreterinnen und Vertreter in den beiden Kammern.
Suche nach neuem Zauberschlüssel
Die vor sechzig Jahren ins Leben gerufene «Zauberformel», wonach die grössten drei Parteien je zwei Sitze und die viertgrösste Partei einen Sitz erhalten, kommt weiterhin zur Anwendung. Diese wurde im Vorfeld der Bundesratswahlen von Politikern und Medien in Frage gestellt.
Je nach Perspektive wurde der Anspruch des linken oder rechten Lagers auf deren Sitze in der Regierung bestritten. Tatsächlich haben SVP und FDP weder bei den Wählenden noch in den beiden Kammern eine Mehrheit. Aber in der Regierung sind sie nun weiterhin mit vier von sieben Mitgliedern vertreten. Aber: Wäre Regula Rytz von der Grünen Partei anstelle von FDP-Bundesrat Ignazio Cassis gewählt worden, hätte Links-Grün drei Sitze in der Regierung gehabt, die auch nicht ihrer Stärke entsprochen hätten.
Fazit: Eine Zauberformel gibt es nicht oder nicht mehr. Anfang 2020 wollen die Parteien deshalb bei einem sogenannten «Konkordanz-Gipfel» nach einem anderen Schlüssel zur angemessenen Vertretung der verschiedenen Interessengruppen in der Landesregierung suchen.
Wer holte wie viele Stimmen?
FDP-Aussenminister Ignazio Cassis schaffte die Wiederwahl im ersten Wahlgang mit 145 Stimmen. Herausforderin Regula Rytz (Grüne) erreichte lediglich 82 Stimmen.
Die Wiederwahl von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter war ebenfalls ungefährdet. Die Justizministerin erreichte 169 Stimmen.
Die anderen amtierenden Bundesrätinnen und Bundesräte wurden problemlos bestätigt. SVP-Bundesrat Ueli Maurer (Bundespräsident 2019) war als Amtsältester zuerst an der Reihe. Er holte 213 Stimmen.
SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (Umwelt- und Verkehrsministerin) wurde mit 192 Stimmen ebenfalls problemlos wiedergewählt. Mit 186 Stimmen wurde sie zudem zur Bundespräsidentin 2020 gewählt.
SP-Bundesrat Alain Berset (Innenminister) wurde mit einem sehr guten Resultat wiedergewählt. Er erreichte 214 Stimmen.
SVP-Bundesrat Guy Parmelin (Wirtschaftsminister) wurde mit 191 Stimmen problemlos wiedergewählt.
Das Spitzenresultat erreichte CVP-Bundesrätin Viola Amherd (Verteidigungsministerin) mit 218 Stimmen. Das ist das zweitbeste Resultat seit 1962, als die Zahl der Nationalratsmitglieder auf 200 festgelegt worden war. Ein besseres Ergebnis erzielte seither nur der Sozialdemokrat Hans-Peter Tschudi, der 1971 mit 220 Stimmen wiedergewählt worden war.
(Quelle: Keystone-SDA)
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