Trotz des heute im Kanton Tessin eingeführten Verbots der Vollverschleierung in der Öffentlichkeit zeigte sich eine Konvertitin im türkisfarbenen Niqab in einem Stadtzentrum. Begleitet wurde sie von einem Aktivisten, der seit Jahren in Frankreich und Belgien gegen solche Verbote kämpft. Beide werden gebüsst.
Es war eine gesuchte Provokation: Die Konvertitin Nora Illi trat in Locarno gemeinsam mit dem französisch-algerischen Geschäftsmann Rachid Nekkaz auf, der in Frankreich und Belgien gegen Verhüllungsverbote kämpft. Auf der Piazza Grande von Locarno hatten sich Gegner und Befürworter des soeben in Kraft gesetzten Burka-Verbots versammelt.
Am 22. September 2013 hatte das Tessiner Stimmvolk mit 65,4% Ja-Anteil eine Volksinitiative gutgeheissen, die verlangte, das Verbot der Verschleierung in der Öffentlichkeit in die Kantonsverfassung festzuschreiben. Eine Premiere in der Schweiz, die weit über nationale Grenzen hinweg für Schlagzeilen sorgte.
Das Gesetz, am 1. Juli 2016 in Kraft gesetzt, sieht Bussen von mindestens 100 bis maximal 10’000 Franken vor. Seit der Annahme des Gesetzes hatte Nekkaz erklärt, er werde Bussen übernehmen, die verschleierten Frauen im Kanton Tessin auferlegt würden, wie er dies auch in Frankreich und Belgien bereits getan hat. Trotz des Verbots hat er sich nun mit Nora Illi, Schweizer Konvertitin und Mitglied des Islamischen Zentralrats der Schweiz (IZRS), nach Locarno aufgemacht.
Vor Ort waren auch zahlreiche Neugierige und Journalisten aus dem In- und Ausland. Kurz nach 11 Uhr forderten mehrere Polizisten Illi auf, sie auf den Polizeiposten zu begleiten. Sie erinnerten die Frau an die Existenz des Verbots und stellten dessen Verletzung fest. Die zuständigen Behörden würden nun den Bussbetrag festlegen, erklärte die Polizei von Locarno gegenüber swissinfo.ch.
Als ausländischer Staatsbürger musste Nekkaz sofort eine Busse von 200 Franken bezahlen, zuzüglich 30 Franken Gebühren für Anstiftung zum Gesetzesbruch. In seinem Fall werden die Behörden entscheiden müssen, ob eine höhere Strafe gerechtfertigt ist.
Einige Demonstranten kritisierten das neue Gesetz und verlangten mehr Toleranz. Vor Ort war auch der Tessiner Parlamentarier Giorgio Ghiringhelli, einer der Förderer der kantonalen Initiative, um Unterschriften für eine gleich lautende Volksinitiative auf nationaler Ebene zu sammeln.
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