Weniger Schweiz, mehr Italien
Seit 1. Januar ist die italienische Exklave Campione d’Italia nicht mehr Teil der Schweizer Zollunion. Der Frust bei den Einwohnerinnen und Einwohnern ist gross.
Seit Monaten wurde darüber gesprochen. Nun ist es Wirklichkeit. Die italienische Exklave Campione d’Italia am Luganersee ist seit diesem Neujahr, 1. Januar 2020, ins Zollgebiet der Europäischen Union (EU) eingegliedert. Bisher war Campione Teil der Schweizer Zollunion. Zwischen der Schweiz und Campione gab es daher keine Zollkontrollen.
Das ist nun anders. Zollschilder am Ortseingang zu Campione beziehungsweise beim Verlassen von Campione in Richtung Tessin zeigen den neuen Status an. Mit systematischen Kontrollen ist allerdings nicht zu rechnen. Es gibt Stichproben auf Schweizer Seite.
Die Grenzwacht hat dies bereits am Neujahrstag in die Praxis umgesetzt, als sie vor dem Torbogen des Dorfs Präsenz markierte. Im Gebäude, das lange das Tourismusbüro von Campione beherbergte, hat sich ihrerseits die italienische Zollagentur (Agenzia Dogane Monopoli) eingenistet.
Frustriert
Resignation war am Neujahrstag in der italienischen Enklave zu spüren. Am Seeufer trafen sich über Mittag mehrere Dutzend Einwohner, um ihrem Frust freien Lauf zu lassen. «Das ist alles irrational, was hier abläuft», sagte ein älterer Mann, der angab, 40 Jahre in der Spielbank gearbeitet zu haben.
Nach der Pleite der Spielbank bringe der neue Zollstatuts nun noch zusätzliche Bürokratie und Unsicherheit, er sei auch ein Verstoss gegen die Geschichte dieser Exklave. «Müssen wir nun verzollen, wenn wir Heizöl im Tessin bestellen?», fragte eine Einwohnerin.
Ein radikaler Wandel ist bereits beim Postverkehr eingetreten. Das Schweizer Postbüro wurde auf Ende Jahr geschlossen – die Schweizer Postleitzahl «6911» für Campione, die jahrzehntelang gültig war, existiert nicht mehr. Der Postverkehr läuft neu ausschliesslich über Italien.
Und das scheint nicht gut zu funktionieren: «Wir erhalten seit Wochen keine Post mehr», klagte eine Einwohnerin der 2000-Seelen-Gemeinde, einer Hybrid-Gemeinde, die immer weniger Schweizer Elemente aufweist. Immerhin wird weiterhin mit Franken bezahlt.
Gemäss einer kurz vor Weihnachten getroffenen Vereinbarung zwischen Italien und der Schweiz werden Dienstleistungen wie Kehrichtentsorgung und Abwasserreinigung vorläufig weiter von Tessiner Unternehmungen ausgeführt werden.
Steuerausfall für Tessin
Die Campionesi haben ein Jahr Zeit, ihre Tessiner Autonummern abzumelden und sich neu in Italien anzumelden. Auch der Führerschein muss innert dieser Frist umgeschrieben werden. Die Einwohner aus Campione konnten bisher Tessiner Autokennzeichen führen, was in Zukunft nicht mehr möglich sein wird.
Dem Kanton Tessin werden so mehr als eine halbe Million Franken an Kraftfahrzeugsteuern entgehen, die bisher von den Campionesi entrichtet wurden. In Campione soll zudem eine Verbrauchssteuer eingeführt werden, welche der Schweizer Mehrwertsteuer entspricht.
An der Grenze zwischen dem Tessiner Dorf Bissone und Campione, die ein im Faschismus auf Wunsch von Benito Mussolini erstellter Torbogen ziert, prangen nun Zollschilder, die bei Ein- und Ausreise das Vorgehen erklären, wenn Waren zu deklarieren sind.
Desolate Situation
In der Gemeinde hatte man sich erfolglos gegen den Zollanschluss an die EU gewehrt. Dieser sei von Bürokraten ersonnen worden, warnte ein Bürgerkomitee, das sich im November in einem Schreiben an Staatspräsident Sergio Mattarella gewandet hatte – ohne Erfolg.
Seit der Schliessung der Spielbank aufgrund von Insolvenz im Juli 2018 befindet sich die 2,7 Quadratkilometer grosse Gemeinde in einer wirtschaftlich desolaten Situation. Hunderte von Spielbank- und Gemeindeangestellten verloren ihre Jobs. Ob die Spielbank je wieder öffnen wird, steht in den Sternen.
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