Nein zum E-Versand von Abstimmungsmaterial für Auslandschweizer
Schweizer Bürger im Ausland werden ihre Stimmunterlagen künftig nicht online erhalten. Der Ständerat – die parlamentarische Kammer der Kantone – hat eine entsprechende Motion versenkt, die vom Nationalrat angenommen worden war. Die Auslandschweizer-Organisation (ASO) zeigt sich zufrieden, weil sie befürchtete, dass durch einen E-Versand alle Anstrengungen für ein E-Voting zunichte gemacht worden wären.
Vor genau einem Jahr, am 18. Juni 2019, hatte der Nationalrat (Volkskammer) die Motion «E-Versand statt E-Voting» gut geheissen. Hingegen hat der Ständerat (Kantonskammer) in dieser Woche die Idee begraben, den stimmberechtigten Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern die Stimmunterlagen auf elektronischem Weg ausdruckbar und geeignet für den postalischen Rückversand zuzustellen. Der Vorstoss war vom früheren SVP-Nationalrat Claudio Zanetti lanciert worden.
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Er begründete die Forderung mit den unzulänglichen Postdienstleistungen in den jeweiligen Wohnsitzländern. Diese stellten eine schier unüberwindbare Hürde bei der verfassungsmässig garantieren Wahrnehmung des Stimm- und Wahlrechts dar.
Die von Zanetti vorgeschlagene Lösung des E-Versands sollte eine Alternative zum E-Voting darstellen, das momentan auf grossen Widerstand stösst. Der Vorschlag überzeugte eine klare Mehrheit der Nationalräte – 115 Ja bei 68 Nein und 8 Enthaltungen. Sie gaben entgegen der Empfehlung des Bundesrats grünes Licht für diese Lösung.
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Neue Probleme statt Vorteilen
Der Bundesrat hatte sich in seiner Stellungnahme ablehnend geäussert. «Im Zusammenhang mit einem E-Versand stellen sich Fragen rund um die Sicherheit von elektronischen Zustellplattformen, um das Missbrauchspotenzial durch elektronisch verfügbares Stimmmaterial, die Wahrung des Stimmgeheimnisses und die Kontrolle und Auszählung von selbstgedruckten Stimmunterlagen», so die Regierung.
«Die vorliegende Motion vereinigt, um es ein bisschen überspitzt zu sagen, das Schlechte und nicht etwa das Gute aus verschiedenen Systemen»
Mathias Zopfi, Grüne Partei
Der Bundesrat hielt es für zielführender, die schrittweise Ausdehnung der elektronischen Stimmabgabe auf alle Auslandschweizer Stimmberechtigten anzustreben, «statt neue Konzepte anzugehen, die absehbare Unzulänglichkeiten schaffen». Schliesslich wies das E-Voting gemäss dem Bundesrat auch für die Stimmberechtigten im Inland – insbesondere auch den Stimmberechtigten mit einer Behinderung – einen erkennbaren Mehrwert auf.
Die Argumente der Regierung schlugen im Nationalrat nicht ein. Dort gab es eine Mehrheit für die Motion. Anders im Ständerat, wo bereits die vorberatende Kommission einstimmig gegen die Motion votierte. Kommissionssprecher Mathis Zopfi listete dieser Tage während der Debatte im Plenum etliche Risiken auf, welche ein E-Versand von Abstimmungsunterlagen seiner Meinung nach mit sich brächte.
«Die vorliegende Motion vereinigt aber, um es ein bisschen überspitzt zu sagen, das Schlechte und nicht etwa das Gute aus verschiedenen Systemen», sagt Zopfli, ein Parlamentarier der Grünen aus dem Glarnerland.
Und weiter: «Die Folgen der Umsetzung dieser Motion wären also aus rein praktischen Gründen sehr negativ. Unabhängig davon, ob Sie für oder gegen E-Voting sind oder ob Sie in dieser Frage noch etwas unschlüssig sind, lösen Sie nach Meinung der Kommission mit dieser Motion die heute anerkannten Probleme von Auslandschweizerinnen und Auslandschweizern nicht, sondern Sie würden neue Baustellen schaffen.»
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Ein weiser Entscheid?
Der Ständerat schloss sich vollständig seiner Kommission an: Niemand im Ratssaal verlangte das Wort und die Motion wurde so stillschweigend vom Tisch gewischt. Der Entscheid war ganz nach dem Geschmack der Auslandschweizer-Organisation (ASO), welche am 16. Juni noch alle Ständeratsmitglieder in einem Brief aufgefordert hatte, die Motion zurückzuweisen, weil aus Sicht der Organisation die elektronische Stimmabgabe Vorrang vor dem elektronischen Versand der Wahlunterlagen haben muss.
Oder anders gesagt: Die ASO befürwortet den elektronischen Versand des Abstimmungsmaterials als Zwischenlösung, bevor alle Schweizer im Ausland das Recht auf E-Voting erhalten. Die Motion hingegen wollte das E-Voting durch einen E-Versand ersetzen. Wie ASO-Direktorin Ariane Rustichelli gegenüber swissinfo.ch erklärte, hätte ein Annahme der Motion das Ende des E-Votings bedeutet.
Im Wortlaut der Motion ist dies nicht explizit erwähnt. Deshalb hatte die ASO diese Motion letztes Jahr auch noch befürwortet. Doch der Titel spricht Klartext: «E-Versand statt E-Voting.» Der Ersatz von E-Voting durch E-Verstand ist somit laut ASOA das wahre Ziel der Motion, das nicht mit den Zielen der Auslandschweizer-Organisation vereinbar ist. Das erklärt die Kehrtwende der ASO.
Oder eine vergebene Chance?
Anders sieht es Nationalrat Franz Grüter, der Initiant der Volksinitiative «Für eine sichere und vertrauenswürdige Demokratie» (Ja zu einem E-Voting-Moratorium). Er hatte sich in der Grossen Kammer für die Annahme der Motion ausgesprochen. «Auch wir sind wegen der verspäteten Zustellung von Stimmunterlagen an die Auslandschweizer besorgt», betonte der SVP-Vertreter gegenüber swissinfo.ch.
«Eine absolute Sicherheit gegen Missbrauch und Manipulation von Stimmunterlagen gibt es nicht»
Franz Grüter, SVP
Der Unternehmer und Informatiker anerkennt, dass die in der Motion vorgeschlagene Lösung tatsächlich Risiken birgt: «Eine absolute Sicherheit gegen Missbrauch und Manipulation von Stimmunterlagen gibt es nicht, nicht einmal, wenn man in den Wahlbüros abstimmen geht. Doch die Risiken, die mit dem E-Versand verbunden sind, sind deutlich geringer als die Risiken beim E-Voting, das mit den heute verfügbaren Technologien massiven Angriffen von Hackern ausgesetzt sein kann. Allfällige Missbräuche der via Post versandten Abstimmungsunterlagen könnten das Schlussresultat nicht verfälschen, während diese Gefahr beim E-Voting tatsächlich besteht.»
Bilanz: Das Schicksal eines elektronischen Versands der Stimmunterlagen an Auslandschweizer ist vorläufig besiegelt. Ob in Zukunft elektronisch abgestimmt wird, ist mehr als unsicher. Während die Unterschriftensammlung für das E-Voting-Moratorium fortgesetzt wird, hat eine ähnliche parlamentarische Initiative bereits die Hürde des Nationalrats genommen und wartet nun auf die Behandlung im Ständerat.
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(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)
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