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Chinas Polizei erstickt «Jasmin-Treffen» im Keim

Peking am Sonntag: Polizisten versuchen, Demonstranten von Passanten zu unterscheiden. swissinfo.ch

Die Polizei hat am Sonntag Proteste, zu denen chinesische Oppositionelle in 13 grossen Städten aufgerufen hatten, im Ansatz verhindert. Trotz Unzufriedenheit vieler Chinesen ist eine Jasmin-Revolution wie in Tunesien aber kaum wahrscheinlich.

Diskreter Protestteilnehmer, einfacher Passant oder Polizist in Zivil? An diesem Sonntag am Wangfujing-Boulevard, einer der grössten Einkaufsstrassen Pekings, ist eine Zuordnung der Menschen unmöglich.

Eindeutig identifizierbar sind dagegen die Hundertschaften von Polizisten in Uniform, sekundiert von Horden junger Menschen in schwarzen Jacken. Entlang der Strasse sind Einsatzwagen der Bereitschaftspolizei abgestellt, ebenso an jeder Kreuzung. Wo Einheimische und Touristen sonst entspannt den Auslagen der Schaufenster entlang bummeln, war die Atmosphäre noch kaum je so drückend.

Seit mehreren Tagen hatten im Internet anonyme Protestaufrufe zirkuliert. Inspiriert von den Volksbewegungen in mehreren arabischen Ländern wurden darin die Chinesen aufgerufen, jeden Sonntag um 14 Uhr in Peking, Schanghai und elf weiteren Städten «Jasmin-Proteste» zu organisieren.

«Wir laden alle Teilnehmer ein zu einem Spaziergang, tut so, als würdet ihr nur vorbei gehen. Nur schon wenn ihr da seid, wird die autoritäre Regierung vor Angst zittern», hiess es im Aufruf. Gefordert wurden politische Reformen wie mehr Transparenz seitens der Regierung und Meinungsäusserungsfreiheit.

Polizei omnipräsent

Gezittert haben am Sonntag aber in erster Linie diejenigen Menschen auf dem hochfrequentierten Wangfujing-Boulevard, welche die Gründe für die massive Polizeipräsenz nicht kannten.

Korrespondenten aus dem Ausland wurden erheblich an ihrer Arbeit gehindert. Die meisten Journalisten hatten im Vorfeld einen Anruf der örtlichen Behörden für öffentliche Sicherheit erhalten. Darin wurde ihnen mitgeteilt, dass Reporter für den Wangfujing-Bereich und den benachbarten Tiananmen-Sektor eine Sondergenehmigung beantragen müssten, bevor sie mit Menschen sprechen könnten.

Am Sonntag hinderte die Polizei die Medienleute daran, in die Nähe der Protestorte zu gelangen, einige wurden gar von der Polizei abgeführt und für mehrere Stunden auf dem Posten festgehalten. Film- und Tonaufnahmen waren unter diesen Umständen keine möglich, zu hoch das Risiko, unter Androhung von Waffengewalt des Landes verwiesen zu werden.

Offiziell gelassen

Die Regierung kam nicht ins Zittern, zumindest nicht offiziell. «Die Idee, dass in China eine Jasmin-Revolution stattfinden könnte, ist grotesk und irreal», hatte letzte Woche der Sprecher von Chinas Zentralregierung, Zhao Qizheng, erklärt.

Die Bedingungen für einen Volkaufstand wie in den arabischen Ländern seien in China nicht gegeben, glaubt der Direktor der Kommission für auswärtige Angelegenheiten des Nationalen Volkskongresses und ehemalige Aussenminister. Zhao Qizhengs Einschätzung teilt die Mehrheit der in- und ausländischen Beobachter.

«Das Land weiss, ab welchem Punkt eine Revolution destruktiv sein kann», schrieb die Tageszeitung Global Times. Der französische Soziologe Jean-Louis Rocca, der an der Tsinghua-Universität in Peking lehrt, sieht im Land weder Verzweiflung, noch hätten die Menschen den Eindruck, keine Zukunft zu haben.

Repression greift

Das offizielle Vertrauen wird auch von Schweizer Geschäftsleuten geteilt. Innerhalb der Vertreter von Schweizer Unternehmen sei die Möglichkeit sozialer Unruhen in jüngster Zeit nie Thema gewesen, weder in Peking noch in Schanghai, hiess es.

«Seit dem Massaker auf dem Tiananmen-Platz wurden überall Videokameras installiert», sagt ein Schweizer, der seit rund 20 Jahren in Schanghai lebt. «Der Repressionsapparat funktioniert, er kann jegliche Regung für einen öffentlichen Protest erkennen und im Keim ersticken, wie es an den letzten beiden Sonntagen geschehen ist.»

Den Repressionsapparat haben in den letzten Tagen über 100 Aktivisten zu spüren bekommen. Sie wurden verhört, einige unter Hausarrest gestellt oder anderen Schikanen ausgesetzt. Das Informationszentrum für Menschenrechte und Demokratie in Hongkong sprach von «einer der drakonischsten Repressionswellen der letzten Jahre». Dasselbe gilt auch für Zensur, die nicht nur bei sozialen Netzwerken zuschlug, sondern auch bei Kurznachrichtendiensten wie Twitter.

Verbreitete Massenproteste

Der massive Einsatz des Repressionsapparats und namentlich der Zensur zeigt, dass sich das offizielle China entgegen der zur Schau getragenen Gelassenheit schwer tut mit den Protesten der Basis. Denn das Spannungspotenzial ist Realität, täglich kommt es im Riesenreich zu Massenprotesten. Grosse Teile der Bevölkerung lehnen sich auf gegen Ungerechtigkeit, Korruption und massenhafte Zwangsumsiedlungen.

Wenige Stunden vor den «Jasmin-Versammlungen» hatte Premierminister Wen Jiabao in einem Chat mit Internetnutzern eingeräumt, dass China die Inflation zügeln müsse, um sein soziales Gleichgewicht nicht zu gefährden.

Vor ihm hatte bereits Präsident Hu Jintao die Wichtigkeit eines sozialen Dialogs unterstrichen. Damit sollten die Interessen des Volkes gewahrt, die Justiz gestärkt und der soziale Friede gersichert werden.

«Sehr gut, aber das funktioniert nicht ohne reale politische Reformen», entgegnen zahlreiche Wissenschafter und Aktivisten, aber auch Vertreter der politischen Klasse.

Von swissinfo.ch auf die Möglichkeit eines sozialen Aufstandes in China angesprochen, erklärte der Schweizer Botschafter in Peking, Blaise Godet, lediglich, dass die Schweiz von den verschiedenen Informationen Kenntnis genommen habe und die weitere Entwicklung verfolge.

Was die Repression gegen Dissidenten angeht, stehe die Schweiz seit 1991 mit den chinesischen Behörden in einem Dialog über die Menschenrechte. Bei diesem würden sämtliche Themen ohne Tabu angesprochen, so der Botschafter.

Im letzten Jahr wurde weiter ein vertiefter politischer Dialog eingeführt, mit dem die Kommunikationskanäle zwischen den beiden Ländern gestärkt werden», sagte Godet.

Kurz vor den «Jasmin-Versammlungen» kündigte die offizielle Parteipresse Chinas massive Einschränkungen für alle Korrespondenten aus dem Ausland an.

Demnach sind sämtliche Gespräche mit Einwohnern von ganz Peking untersagt. Für Interviews müssen die Medienleute eine Spezialbewilligung einholen.

Diese Kontrollmechanismen hatten zuvor für die sensiblen Bereiche des Tiananmen in Peking und Tibet gegolten.

Übertragung aus dem Französischen: Renat Künzi

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