So meistern Schweizer Botschaften die Corona-Krise
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist es auch in den Schweizer Botschaften vorbei mit der Normalität: In den letzten Wochen machten Diplomaten und Diplomatinnen Überstunden, um die grösste Repatriierung in der Geschichte der Schweiz zu organisieren. Ein Einblick.
«Die Corona-Krise stellt alles in den Schatten»: Aus Frankreich, Marokko, Peru, Russland, Indien und Australien erzählen Schweizer Botschafterinnen und Botschafter, wie die Pandemie ihren Alltag seit bald vier Wochen auf den Kopf stellt. Und sie betonen die Wichtigkeit der Solidarität in dieser Zeit.
«Diese Krise ist in ihrer weltumspannenden Ausdehnung erstmalig und deshalb auch für alle Neuland», schreibt die Schweizer Botschafterin Livia Leu Agosti aus Paris. Nur noch sie und «ein paar wenige» Mitarbeitende halten sich täglich in den Räumen der Botschaft auf, alle anderen arbeiten von zu Hause aus.
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Im westlichen Nachbarland der Schweiz lebt die grösste Auslandschweizer-Gemeinschaft. Ausserdem sind täglich «Tausende von Touristen» in Frankreich und dessen Überseegebieten unterwegs. Um all diese Personen zu erreichen, sei eine «intensive Kommunikationskampagne» nötig gewesen, so Leu. «Unsere Generalkonsuln arbeiteten mit ihren Teams sieben Tage die Woche.»
Botschafterin Leu musste aber auch die Situation der rund 175’000 französischen Grenzgängerinnen und Grenzgänger klären, die täglich für ihre Arbeit in die Schweiz pendeln. Und «verschiedentlich intervenieren, um die Lieferung beschlagnahmter Schutzmasken zu deblockieren».
Angesprochen auf den Stellenwert der Solidarität in dieser aussergewöhnlichen Zeit antwortet Leu: «Ich bin überzeugt, dass Frankreich die schweizerische Solidarität nicht vergessen wird, so wie die Patienten in Schweizer Spitälern dem französischen Gesundheitspersonal dankbar bleiben werden.»
Botschafter Guillaume Scheurer in Marokko vergleicht die Situation mit «einer Art Revolution, weil wir unsere Arbeitsweise und die Kommunikation nach innen und aussen völlig neu überdenken mussten».
Scheurer schreibt, unter diesen Umständen sei die Diplomatie wichtiger denn je. Die Beziehungen zur marokkanischen Regierung seien noch nie so intensiv gewesen wie im Moment. «Wir sind Tag und Nacht in Kontakt.» Aber auch unter den verschiedenen ausländischen Vertretungen sei der Austausch intensiv, um allen Touristen eine möglichst rasche Rückkehr zu ermöglichen.
Viele Schweizer und Schweizerinnen, die in Marokko leben, hätten ihre Hilfe angeboten. So zum Beispiel Übernachtungsmöglichkeiten für gestrandete Landsleute. Denn viele Hotels haben ihre Tore geschlossen. «Diese Gesten der Solidarität sind herzerwärmend», schreibt Scheurer. Und jeder organisierte Flug und jede Überfahrt nach Frankreich oder Spanien per Fähre sei ein persönliches und kollektives Erfolgserlebnis.
Am letzten Tag, bevor alle zu Hause bleiben mussten, sagte Botschafter Andreas Baum in Neu-Delhi zu seiner ganzen Belegschaft: «Diese Krankheit, die Angst vor Ansteckung, wird uns physisch voneinander entfernen. Und wer krank wird, ist plötzlich der Feind, den es auszugrenzen gilt. Umso wichtiger sind Teamgeist, Menschlichkeit und Solidarität.»
In Indien ist es wegen des Lockdowns kaum mehr möglich, sich ausserhalb des Hauses zu bewegen. Aus diesem Grund, aber auch wegen der immensen Distanzen, fänden sich viele gestrandete Schweizerinnen und Schweizer an für die Botschaft nicht mehr erreichbaren Orten. «Das macht mir Sorgen», schreibt Baum.
Die Situation wirft aber auch Fragen zur eigenen Sicherheit auf: Einige aus dem Team der Botschaft seien auf Medikamentennachschub aus der Schweiz angewiesen. Für den diplomatischen Kurier ist es aber fast nicht mehr möglich, noch bis zur Botschaft zu gelangen.
Baum hat nach eigenen Angaben schon etliche Krisensituationen erlebt. «Aber noch nie eine von diesem Ausmass» und «mit einem völlig offenen Zeithorizont». Meist könne er noch schlafen. Manchmal kämen nachts gar die besten Ideen. Aber eben auch die Zweifel.
Aus Australien antwortet ein Botschafter-Ehepaar: Pedro Zwahlen ist für Australien zuständig und Yasmine Chatila Zwahlen für Papua-Neuguinea, die Solomon Islands, Nauru, Vanuatu und Kiribati. In diesen Gebieten seien Schweizer Reisende oft besonders abenteuerlustig, schreiben sie. Blieben Reisende «in den entlegensten Gebieten der Welt blockiert», könne es schnell «etwas kompliziert» werden.
Die Krise führe aber nicht nur zu unmittelbaren operationellen Herausforderungen wie Repatriierungsaktionen oder zur Reorganisation der Arbeit in der Botschaft. Deshalb gelte es auch, mögliche Folgen für die Geopolitik in der Region oder für die politische und soziale Stabilität des Landes im Auge zu behalten. «Das Rad der Geschichte dreht schneller», schreibt das Botschafter-Ehepaar.
Abgesehen von «einigen chronischen Internetproblemen» funktioniere die tägliche Arbeit gut, «auch wenn uns der tägliche Austausch in der Kaffeepause fehlt». Paradoxerweise sei das Team der Botschaft in Canberra und des Generalkonsulats in Sydney in dieser Zeit des Home-Office und der Selbstisolation sogar enger zusammengewachsen, stellen die beiden fest.
«Ich schlafe kurz, aber mit intensiven Träumen», schreibt Botschafter Markus-Alexander Antonietti aus Lima. Er habe schon ähnliche Situationen erlebt, beispielsweise während des Kriegs in Jugoslawien, «allerdings ohne Schweizer Touristen».
Die Grösse des Landes – dreieinhalbmal die Grösse Deutschlands – sowie die stark eingeschränkten Reisemöglichkeiten innerhalb Perus hätten zu «grossen praktischen Problemen» geführt, so der Botschafter. Die Botschaft musste Bus-Konvois organisieren, um Schweizer und Schweizerinnen sowie Reisende aus weiteren europäischen Staaten in die Hauptstadt Lima zu bringen.
Um die Heimführungen zu koordinieren, nimmt Antonietti im Moment an den Skype-Sitzungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) teil. Auch ist er im EU-Chat integriert. Die Solidarität zwischen der EU und der Schweiz sei gross.
In Zeiten, wie wir sie im Moment erleben, seien bereits etablierte Kontakte und Netzwerke extrem wichtig, so Botschafter Yves Rossier in Moskau. Offizielle Treffen gebe es kaum noch, Gespräche mit den russischen Behörden fänden per Telefon statt. Online-Gespräche zum Beispiel per Skype seien eher unüblich.
Online-Veranstaltungen sind keine geplant. Denn dabei würde «ein grosser Teil der nonverbalen Kommunikation verloren gehen», so Rossier. «Für uns ist es wichtig, unseren Partnern persönlich zu begegnen.»
Täglich in Kontakt ist die Schweizer Vertretung in Moskau im Moment mit anderen Botschaften. Es gehe darum, die Vorgehensweisen zu vergleichen und zu koordinieren. Um die Auslandschweizer und -schweizerinnen zu informieren, arbeitet die Botschaft mit dem Schweizer Club in Moskau zusammen.
Die Länderauswahl hat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) getroffen.
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