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Krisenmanager der Nation stärkt Bundesrat den Rücken

Franz Steinegger
Lob für den Schweizer Bundesrat, aber auch für die Regierungen von Taiwan, China und Korea für ihren Kampf gegen das Coronavirus: Krisenmanagement-Spezialist Franz Steinegger. Keystone / Urs Flueeler

"Der Bundesrat hat rasch und zweckmässig, also mit den richtigen Massnahmen reagiert." Das sagt einer, der sich mit Katastrophenlagen und -szenarien aller Art bestens auskennt: Franz Steinegger, ehemaliger Schweizer Spitzenpolitiker und als "Katastrophen-Franz" so etwas wie der Mr. Krisenmanager der Schweiz.

«Der Peak der Infektionen wird in der Schweiz in zehn Tagen erreicht sein.» Die Prognose Franz Steineggers ist eine Rückendeckung für die Schweizer Regierung.

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Diese hatte in den letzten Tagen teils harsche Kritik einstecken müssen. Zu spät, zu zögerlich, zu wenig konsequent, den voranschreitenden Kantonen stets hinterherhinkend, führungsschwach, lauteten Vorwürfe von Politikern, medizinischen Fachleuten und Medien und an die Adresse der Landesregierung.

Ein Umstand wurde dabei besonders hervorgehoben: dass der Bundesrat den 26 Kantonen zu lange das Szepter der Krisenbewältigung überlassen habe. Genau bis am Montag, als der Bundesrat den nationalen Lockdown verkündete und damit die alleinige Führungsverantwortung übernahm. Das unschöne Bild der Schweiz als ein «Flickenteppich» betreffend Massnahmen gegen Corona machte die Runde.

Beispielhaft für diese Kritik ist ein EditorialExterner Link in der Westschweizer Zeitung Le Temps. Oder dieser Tweet des Politikwissenschaftlers Mark Balsiger:

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Föderalismus auch in der Krise notwendig

Für Steinegger ist die ausgeprägt föderalistische Struktur der Schweiz aber kein Stolperstein für ein effektives Krisenmanagement, sondern eine Notwendigkeit.

«Aufgrund meiner Erfahrungen befürworte ich das föderalistische Modell. Denn dieses berücksichtigt die unterschiedlichen Bedürfnisse besser», sagt er.

«Der Kanton Tessin hat ganz andere Bedürfnisse als der Nachbarkanton Uri. Grenzkantone wie das Tessin müssen schnell reagieren können, ohne auf die Kantone im Landesinneren Rücksicht nehmen zu müssen.»

Franz Steinegger

Der 77-jährige Urner zählte lange Zeit zu den Spitzenpolitikern der Schweiz.

Von 1980 bis 2003 war er Nationalrat. Von 1989 bis 2001 amtierte er als Präsident der Freisinnig-Demokratischen Partei (FDP).

Aufgrund seiner umsichtigen Führung bei Krisensituationen im Kanton Uri wurde er zu einem Troubleshooter der Nation. So rettete er die Landesausstellung Expo.02 vor dem Fiasko.

Steinegger ist Präsident des Verkehrshauses Schweiz und führt immer noch seine Anwaltskanzlei in Altdorf/Uri.

Steineggers Maxime: Jeder muss machen, wofür er zuständig ist. Das gelte insbesondere für den Krisenfall. «In den Kantonen und auf Bundesebene müssen rechtzeitig die richtigen Massnahmen getroffen werden.»

Dabei müssten sich die Behörden auf Fachleute abstützen. Hier bringt Steinegger einen seiner wenigen Vorbehalte an. «Ich habe den Eindruck, dass der Bundesrat diesbezüglich nicht allzu breit abgestützt ist.»

Insgesamt aber stellt er der Exekutive ein gutes Zeugnis aus. «Der Bundesrat hat rasch und zweckmässig, also mit den richtigen Massnahmen reagiert.» Müsste man das Haar in der Suppe suchen, gäbe es für den erfahrenen Krisenmanager höchstens noch dies zu bemängeln: «Zwischen dem 13. und 16. März kam der Bundesrat mit seinen Massnahmen möglicherweise einen halben Tag zu spät.»

Auch andernorts gingen Regionen voraus

Auch in anderen Ländern habe es nicht von Anfang an eine koordinierte Führung durch die Regierung gegeben, sagt er. Zum Beispiel in Spanien, einem Land mit deutlich weniger ausgeprägtem Föderalismus. «Katalonien hat viel schneller reagiert als Madrid, wo die Zahl der Infizierten immer noch exponentiell ansteigt», sagt Steinegger. Er hält deshalb die spanische Hauptstadt für einen «sehr gefährlichen Herd».

Steinegger weiss genau, wovon er spricht. Der Zufall will es nämlich, dass der Katastrophen-Fuchs auch betreffend der aktuellen Coronakrise auf Informationen aus erster Hand zugreifen kann. Dies dank seinem Sohn, der an der Universität im katalanischen Tarragona über die Effektivität von Impfkampagnen forscht.

Sohn im Stab der Krisenberater – in Spanien

Dabei habe sich herausgestellt, so Steinegger, dass die Algorithmen, die das Team seines Sohnes verwende, sich auf die Ausbreitungsszenarien des Coronavirus übertragen liessen. 

Dies ist auch der Grund, weshalb Steineggers Sohn Mitglied eines Expertengremiums ist, das nicht nur die Regierung der Provinz Katalonien in ihrer Abwehr gegen das Coronavirus berät, sondern inzwischen auch die Zentralregierung in Madrid.

Steinegger verweist auch auf Deutschland. «Bayern macht auch mehr und geht mit den Massnahmen voraus, denn es liegt näher an Österreich.» Dieses verfügt mit Ischgl über ein gefährliches Epizentrum zur Verbreitung des Coronavirus. Der Grund: Gäste aus zahlreichen Ländern Europas verbrachten im traditionellen Skiresort ihre Skiferien und streuten so das Virus.

Lob für Taiwan, Korea und China

Grosses Lob zollt Steinegger dem Abwehrdispositiv von Ländern, die wir nicht unbedingt auf dem Radar haben. «In Taiwan arbeiten über 200’000 Menschen aus Festlandchina. Dass auf der Insel nur wenige Menschen erkrankt sind, ist angesichts der unmittelbaren Nähe Chinas eine Riesenleistung.»

Er hebt auch Südkorea hervor, das seine Kapazitäten für breitflächige Tests hochgefahren habe. Er sei zwar kein Virologe, sagt Steinegger. Aber er vermutet, dass grossflächige Tests der Bevölkerung einer der Schlüssel für die erfolgreiche Eindämmung des Virus sind.

Erstaunlich, dass er auch China als gutes Beispiel nennt. Dabei gilt das autoritär geführte Reich der Mitte als Ursprungsland der Coronakrise. «Nach Anlaufschwierigkeiten haben die chinesischen Behörden sehr offen informiert. Sowohl über die getroffenen Massnahmen als auch über den Verlauf der Pandemie», sagt Steinegger.

Genaues Tracking im Dienste der Prävention

Diese Transparenz sei gerade für die Massnahmen der Länder aus dem benachbarten asiatischen Raum sehr wertvoll gewesen, ist er überzeugt.

Da nimmt Steinegger auch in Kauf, dass die Gesundheitsbehörden dieser Länder Infizierte «rabiat verfolgen»: Wer positiv getestet wurde, wird via GPS-Tracking des Mobiltelefons überwacht, dass er oder sie das Haus nicht verlässt.

Persönlich geht ihm die Krise sehr nahe, zählt er doch zur Risikogruppe der älteren Menschen. «Wäre ich in Norditalien krank geworden, hätte ich als über 70-Jähriger keine Chance auf ein Beatmungsgerät gehabt. In den Spitälern praktizieren die Ärzte praktisch eine Katastrophenmedizin.»

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