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Gute französisch-schweizerische Beziehungen retten Leben

Ein Covid-19- Patient wird aus einem Spital im französischen Mulhouse in die Schweiz evakuiert. Copyright 2020 The Associated Press. All Rights Reserved

Angesichts des massiven Zustroms von Covid-19-Patienten in Spitälern in der französischen Nachbarregion Grand Est hat eine dortige Politikerin um Hilfe bei benachbarten Schweizer Kantonen ersucht. Die Resonanz war gross: Schweizer Spitäler übernahmen rund 30 schwere Fälle aus Frankreich.

Grenzüberschreitende, freundlich-nachbarschaftliche Solidarität ist in Zeiten einer Pandemie besonders wertvoll. Mehrere Schweizer Kantone haben sich bereit erklärt, französische Covid-19-Patienten aufzunehmen. 

Damit entlasten sie die völlig überlasteten Krankenhäuser in den Regionen Grand Est und Franche-Comté. Bisher wurden etwa 30 Schwerkranke aus Frankreich übernommen. Auch Deutschland und Luxemburg kümmern sich um französische Patienten.

Alles entsprang der Initiative einer Lokalpolitikerin: Brigitte Klinkert, Präsidentin des Departements Haut-Rhin, beschloss, die gute Zusammenarbeit des französischen Elsass mit den Nachbarregionen der Schweiz und Deutschlands zu nutzen. 

Offene Türen

Am 21. März richtete sie in einer E-Mail einen Appell an die Regierungen der Schweizer Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft und Jura sowie an den französischen Premierminister zur Solidarität über die Landesgrenzen hinaus.

Klinkerts Vorstoss stiess allenthalben auf offene Türen. Noch am selben Tag sagten die Schweizer Kantone zu, Betten zur Verfügung zu stellen. Tags darauf, es war ein Sonntag, stimmte die Schweizer Regierung den entsprechenden Vereinbarungen zu. Die Verlegungen der Patientinnen und Patienten werden nun direkt von den Leitern der involvierten Spitäler im Elsass und in der Schweiz organisiert.

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«Diese Zusammenarbeit entstand sehr spontan. Unsere freundschaftlichen Beziehungen und die grenzüberschreitende Solidarität haben ihren Teil dazu beigetragen», sagt Brigitte Klinkert.

Ihre Initiative zeitigte Folgen: Die Gesundheitsbehörden der Grossregion Grand Est, die an die Schweiz und Deutschland grenzt, nahmen Kontakt zu weiteren Schweizer Kantonen auf. Dabei wurden sie unterstützt von den französischen Generalkonsulaten in Genf und Zürich. 

Ausweitung auf die Ostschweiz

Mit der Ausdehnung der Zusammenarbeit auf die Kantone St. Gallen und Thurgau konnten für französische Erkrankte zusätzliche Betten gewonnen werden.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) aber hat die Aufsicht, müssen doch Gesuche um Patientenüberweisungen aus dem Ausland über den Tisch bei der Behörde in Bern. Es wurde jedoch kein spezifisches Abkommen mit Paris abgeschlossen und auch keine Gegenleistung ausgehandelt, wie die französische Botschaft in der Schweiz und das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) angeben.

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«Die Schweiz steht in ständigem Kontakt mit ihren Nachbarländern, um die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus zu koordinieren und spezifische Probleme rasch zu lösen», heisst es beim EDA. 

Dank ihres konzertierten Vorgehens habe die Schweiz dafür sorgen können, dass die Grenzen für Grenzgänger geöffnet blieben. Das, so das Aussenministerium, sei für die Spitäler in gewissen Grenzregionen unseres Landes «besonders wichtig».

Lebenswichtig, auch in Normalzeiten

Das Spitalnetz des Kantons Neuenburg gibt an, dass 60% des Pflegepersonals auf den Intensivstationen Grenzgänger aus Frankreich seien. Im Spital des Kantons Jura stammt fast ein Drittel des medizinischen und pflegerischen Personals aus dem benachbarten Frankreich.

Insgesamt arbeiten mehr als 30’000 französische Grenzgängerinnen und Grenzgänger im schweizerischen Gesundheitssektor. «Die Situation der Grenzgänger ist seit dem 19. März vollständig geklärt. Die Aufnahme von Patienten aus dem Elsass als Reaktion auf den Gesundheitsnotstand in dieser Region wurde erst sieben Tage später gestartet», betont Frédéric Journès, der Botschafter Frankreichs in der SchweizExterner Link.

Solidarität geht in beide Richtungen

Die gute Zusammenarbeit über die Landesgrenzen ist also für beide Seiten von grossem Nutzen: Die Schweiz profitiert von qualifizierten Arbeitskräften und Frankreich von einer Infrastruktur im Notfall.

Die beiden Länder haben im letzten Jahr, also vor Ausbruch der Coronakrise, eine Rahmenvereinbarung Externer Linkzur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit im Gesundheitswesen abgeschlossen. Diese ist seit 1. Oktober 2019 in Kraft. Darin wird insbesondere geregelt, dass die Kosten der medizinischen Versorgung vom Herkunftsland des Patienten getragen werden.

Keine Patientinnen und Patienten aus Italien

Die Schweiz hat bis zur Stunde noch keine Anträge auf die Übernahme von Covid-19-Patienten aus Italien erhalten. 

Giuliano Gallera, Leiter des Krisenstabs der Lombardei, bestätigte, dass die Region keine solchen Schritte unternommen habe. 

Hingegen wurden in den letzten Tagen mehrere italienische Patienten nach Deutschland verlegt. 

Italien ist das von der Covid-19-Pandemie am stärksten betroffene Land in Europa. Bisher starben dort über 12’000 Menschen an der Lungenentzündung.

Was ist aber, wenn die Krise so akut wird, dass Spitalbetten auch in der Schweiz ausgehen? Während der Pandemie müssen die Kantone den Bund regelmässig über die Auslastung ihrer Spitäler informieren. Aufgrund der von den Kantonen gemeldeten Zahlen bestimmt das BAG die Kapazitäten, ob und wie viele ausländische Patienten aufgenommen werden können.

Das Spital des Kantons Jura erachtet diese Gesamtbeurteilung aktuell aber als nicht optimal. «Zurzeit gibt es noch keine nationale Plattform zur Bewertung der Intensivpflegekapazitäten, alles hängt von den Beziehungen zwischen den Spitälern ab», so die Kritik.

Das Ganze ist aber ein Zweiweg-Modell: Sollte sich die Pandemie in der Schweiz akut verschärfen und die Kapazitäten der Spitäler übersteigen, könnte die Schweizer Regierung ihrerseits die Nachbarländer um Hilfe bitten. «Wir sind überzeugt, dass angesichts der Pandemie die europäische Solidarität unerlässlich ist, um Covid-19 wieder auf den richtigen Weg zu bringen», sagt Frédéric Journès.

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