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Das taugen die Covid-Apps zur Eindämmung der Pandemie

Personen an einem Openair-Festival
Neben den Hygienemassnahmen gilt das digitale Tracking als wichtiges Instrument im Kampf gegen die Covid-19-Pandemie. Keystone / Laurent Gillieron

Angesichts der zweiten Coronavirus-Welle betonen Schweizer und internationale Behörden die Bedeutung der digitalen Kontaktverfolgung, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Doch wie effizient ist dieses Mittel?

«Die Lage ist ernst, sehr ernst», sagte der Schweizer Gesundheitsminister Alain Berset anlässlich des Treffens zwischen dem Bundesrat und Spitzenvertretern der Kantone am 15. Oktober in Bern. Anlass war eine gemeinsame Erörterung zur Ausbreitung des Coronavirus. Seit dem 5. Oktober ist die Zahl der Covid-19-Infektionen in der Schweiz massiv angestiegen und hat über 3000 Neuansteckungen pro Tag erreicht.

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Das Coronavirus klopft also zum zweiten Mal an unsere Türen. Das erfordert eine gewissenhafte Einhaltung der mittlerweile bekannten Schutz- und Hygienemassnahmen.

Zur Eindämmung der Pandemie gilt zudem die digitale Kontaktverfolgung als ein wesentliches Instrument. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und Alain Berset betonten dies beim erwähnten Treffen erneut und luden die Schweizer Bevölkerung ein, die App «SwissCovid» auf ihr Smartphone herunterzuladen und zu nutzen. Die App hat in der Schweiz, wie vergleichbare Anwendungen im übrigen Europa, heftige Kontroversen ausgelöst. Viele Menschen sind besorgt, andere sprechen von einem Flop.

SwissCovid-App: Eine Bilanz

Bis heute haben rund 2,5 Millionen Menschen die «SwissCovid»-App heruntergeladen. Das ist weit entfernt von den angepeilten 60 Prozent der Bevölkerung. Dieser Anteil wird von einigen Wissenschaftlern als nötig erachtet, damit die Nachverfolgung der Kontakte wirklich funktioniert. Doch wie sieht die Bilanz der «SwissCovid»-App wenige Monate nach ihrer Einführung aus?

«Wir haben den Beweis, dass die App funktioniert», sagt Sang-Il Kim, Leiter der Abteilung Digitale Transformation im Bundesamt für Gesundheit (BAG). Seit Juni seien mehr als 100 Personen positiv auf das Corona-Virus getestet worden, nachdem sie zuvor durch die App eine Benachrichtigung erhalten haben.

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In jüngster Zeit hat «SwissCovid» einen exponentiellen Anstieg von Benachrichtigungen verzeichnet, denen dann Anrufe bei den Hotlines folgten. In nur einer Woche hat sich deren Zahl verdoppelt. «Wir konnten feststellen, dass letzte Woche etwa 300 Personen durch die App alarmiert wurden, während diese Woche die Zahl auf über 600 Personen angestiegen ist», sagt Sang-Il Kim und warnt: «Die Verbreitung des Virus ist exponentiell, und die Situation wird zusehends dramatisch.» Er fügt an, in Kürze werde eine neue Werbekampagne lanciert, um das Bewusstsein in der Bevölkerung für die Bedeutung dieses Tracking-Tools weiter zu schärfen.

Darüber hinaus arbeitet die Eidgenössische Technische Hochschule in Lausanne (EPFL) an einer neuen App, die mit Hilfe eines QR-Codes die Anwesenheit von Personengruppen an Orten wie Restaurants, Bars und Privatfesten nachverfolgt und individuelle Benachrichtigungen verschickt, wenn jemand mit einer infizierten Person im gleichen Raum war.

Wie «SwissCovid» basiert dieses System namens «CrowdNotifier» (Menschenmengen-Benachrichtiger) auf einem dezentralen und datenschutzfreundlichen Protokoll. Ziel dieses Instruments ist es, anonyme Benachrichtigungen an alle Personen zu senden, die im gleichen Raum waren wie eine infizierte Person, und nicht nur an solche,  die mindestens 15 Minuten lang weniger als eineinhalb Meter Abstand hatten.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Melanie Eichenberger

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«Mit dieser App wollen wir ein kryptographisches Protokoll lancieren, das eine äusserst effiziente Kommunikation mit den Behörden und allen an einer bestimmten Veranstaltung anwesenden Personen ermöglicht und gleichzeitig die Privatsphäre der Benutzer respektiert», erklärt Edouard Bugnion, Vizepräsident für Informationssysteme an der EPFL und Mitglied der nationalen Covid-19-Task-Force, gegenüber swissinfo.ch.

«Die Kombination verschiedener Massnahmen bringt am Ende die besten Ergebnisse», fügt Bugnion hinzu. Es gibt also keine Zauberformel gegen das Virus. Die Behörden in der Schweiz und im Ausland setzen auf ein Triade-Konzept (Schutz- und Hygienemassnahmen – Kontaktverfolgung – Quarantäne), um die Ausbreitung einzudämmen.

60-Prozent-Schwelle ist nicht heilig

Apps sind zwar in vielen Ländern Teil der Strategie, aber nicht überall läuft die digitale Unterstützung rund.

Am 14. Oktober gab Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, aber in einem TV-Interview vor mehr als zwanzig Millionen Zuschauern zu, dass die StopCovid-App nicht funktioniert hat. Ab dem 22. Oktober werde sie durch eine neue Version namens «Tous anti-Covid» (Alle gegen Covid) ersetzt. Macron hob einerseits das Scheitern der französischen App hervor – insbesondere im Vergleich zu Programmen, die von den britischen und deutschen Nachbarn entwickelt worden waren. Andererseits wies er darauf hin, dass bisher «niemand in der Lage war, diese Apps zu einem echten Warninstrument zu machen». Dabei verwies er auf die Zahl der Meldungen via App, die in ganz Europa nach wie vor gering ist.

In Anbetracht der steigenden Fallzahlen bekräftigte auch der italienische Premierminister Giuseppe Conte die Bedeutung der digitalen Rückverfolgung im Massnahmenkatalog seines Landes. «Immuni» heisst Italiens offizielle Covid-App. «Diese App erleichtert das Contact tracing; auch wenn sie auf Freiwilligkeit beruht, besteht sicherlich eine moralische Verpflichtung, sie herunterzuladen», sagte Conte Anfang Oktober bei der Lancierung einer Kampagne zu einer weiteren Streuung von Immuni.

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«Die App Immuni rettet uns nicht vor der Pandemie, aber im Gegensatz zur manuellen Kontaktverfolgung bedeutet sie ein schnelleres Alarm- und Kontrollsystem, das zugleich günstiger ist und weniger in die Privatsphäre eingreift», sagt Ciro Cattuto, Koordinator der Gruppe «Technologien zur Bewältigung des Notfalls» innerhalb der vom italienischen Ministerium für Innovation eingesetzten Task Force. Er äusserte sich in einem exklusiven Gespräch mit swissinfo.ch.

Cattuto zitiert dabei auch eine von Schweizer Kollegen veröffentlichte Studie, in der die inzwischen bekannten Namen von Marcel Salathé und Carmela Troncoso auftauchen. Diese Studie zeigt auf, dass die digitale Nachverfolgung vergleichbare Resultate mit der manuellen Kontaktnachverfolgung bringt, auch wenn sie von weniger als 60 Prozent der Bevölkerung genutzt wird.

Cattuto meint: «Das beweist, dass Apps, wenn sie – wie in der Schweiz – gut ins nationale Gesundheitssystem integriert sind, im Vergleich zu ihrer Nutzung eine viel höhere Wirksamkeit entfalten. Die 60-Prozent-Schwelle war eine falsche Schlussfolgerung zu einer von der Universität Oxford veröffentlichten StudieExterner Link

Austausch zwischen Apps

Jedes Land hat eigene Lösungen und Strategien. In diesem Durcheinander von Systemen, Regeln, Schwellenwerten und Empfehlungen fehlt noch ein grundlegender Punkt: die Interoperabilität beziehungsweise grenzüberschreitende Nutzung zwischen den verschiedenen App-Lösungen in Europa. Die Europäische Kommission (EU) hat sich bereits im Mai 2020 mit dieser Frage beschäftigt und Leitlinien für europäische Apps zur Ermittlung von KontaktpersonenExterner Link erlassen.

Diese Leitlinien wurden von einem Netzwerk von EU-Mitgliedsstaaten koordiniert und ausgearbeitet. Am 14. September begannen die Tests des europäischen Gateway-Dienstes, der die Interoperabilität zwischen den unterschiedlichen Apps ermöglichen soll. An dieser ersten Phase nahmen Länder wie die Tschechische Republik, Dänemark, Deutschland, Irland, Italien und Lettland teil.

Italien hatte bereits angekündigt, dass die Immuni-App am 19. Oktober über das europäische Tool den Austausch mit den in Irland und Deutschland entwickelten Lösungen aufnehmen wird. «Es war ein sehr interessanter Prozess, der uns zu diesem Punkt geführt hat», sagt Paolo de Rosa, Chief Technology Officer in Italien in der Abteilung für digitale Transformation. De Rosa betont, wie wichtig der Austausch im europäischen Netzwerk sei; das erlaube einen konstruktiven Vergleich zwischen den verschiedenen Systemen in ganz Europa. «Alle konnten aus ihren Fehlern lernen und gemeinsame Probleme strukturierter angehen, auch die beiden Betriebssystemhersteller Google und Apple», ergänzt de Rosa.

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Debatte
Gastgeber/Gastgeberin Renat Kuenzi

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Und die Schweiz?

Und was macht die Schweiz? «Wir sind nur noch wenige Wochen von einer Lösung entfernt», sagt Edouard Bugnion von der nationalen Covid-19-Task-Force. Die Eidgenossenschaft arbeite aktiv mit 12 europäischen Ländern an einer Interoperabilitätslösung. Gemäss Bugnion fehlt noch ein bilaterales oder multilaterales politisches Abkommen zur Klärung der Frage des Grenzverlaufs zwischen den Ländern. Diese Frage könnte möglicherweise Teil der schwierigen Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union werden.

Frankreich bleibt im Übrigen aussen vor: Das westliche Nachbarland der Schweiz hat sich für eine zentralisierte Lösung entschieden, die mit den anderen Systemen nicht kompatibel ist.

In Grossbritannien sind drei Tracking-Apps verfügbar: NHS COVID-19 für England und Wales, Protect Scotland App für Schottland und StopCOVID NI für Nordirland. Diese Apps wurden insgesamt mehr als 16 Millionen Mal heruntergeladen.

In Italien wurde die Immuni-App fast 9 Millionen Mal heruntergeladen. Die Zahl der übermittelten Benachrichtigungen beläuft sich auf mehr als 10’000 und die der positiv getesteten Nutzer auf 567. Diese Zahl wird generell als zu tief bewertet. Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass einige regionale Gesundheitsbehörden keine Daten in die Benachrichtigungsplattform der App eingegeben haben. Interessant ist die Tatsache, dass die in den letzten zwei Wochen in Italien deutlich häufiger heruntergeladen wurde. In der Schweiz wurde bisher kein solcher Anstieg festgestellt.

In Deutschland wurde die Corona-Warn-App etwa 19 Millionen Mal heruntergeladen. Durchschnittlich 300 Anwender pro Tag sind in der letzten Woche positiv getestet worden und teilten dies über die App mit. Seit Mitte Juni gab es insgesamt 9249 positiv getestete App-Nutzerinnen und -Nutzer.

In Frankreich ist «StopCovid» nur etwa 2,5 Millionen Mal heruntergeladen worden. Nach letzten Schätzungen hat sie seit ihrer Einführung insgesamt 493 Personen alarmiert. Die neue App »Tous anti-Covid» wird eine Art »Wetter-App» des Coronavirus sein und allgemeine, individuelle und lokale Informationen enthalten, die die Möglichkeit bieten, einen QR-Code zur Rückverfolgung für Orte wie Restaurants zu generieren. Es ist jedoch noch nicht geklärt, ob das System weiterhin zentralisiert bleibt oder neu dezentralisiert wird.

Laut einer Mitte Juni von Amnesty International veröffentlichten RechercheExterner Link sind die gefährlichsten und am stärksten in die Privatsphäre eingreifenden Systeme zur Ermittlung von Kontaktpersonen diejenigen, von Bahrain, Kuwait und Norwegen. Nach diesem Bericht hat Norwegen sein digitales Tracking-Programm ausgesetzt und arbeitet derzeit an einer neuen, dezentralen Lösung, die auf den Betriebssystemen von Google und Apple basiert.

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