Covid-19: Wie die WHO versucht, Lehren aus der Pandemie zu ziehen
Ein globales Desaster wie mit Covid-19 soll sich nicht wiederholen. Die WHO arbeitet darum an einem internationalen Pandemieabkommen. Wie stehen die Chancen dafür, und wird das Rätsel um den Ursprung des Virus am Ende doch noch gelöst?
Mehr als drei Jahre nach dem Ausbruch von Covid-19, der schlimmsten Pandemie der modernen Geschichte, sind die Ursprünge immer noch nicht mit Sicherheit geklärt. China, wo der Ausbruch auf einem Tiermarkt in Wuhan begann, wird mangelnde Transparenz vorgeworfen.
Ein Untersuchungsteam der WHO konnte das Land erst ein Jahr nach dem Ausbruch der Seuche besuchen. Während die meisten Wissenschaftler:innen davon ausgehen, dass das Virus von Fledermäusen über ein Zwischentier auf dem Markt in Wuhan auf den Menschen übergesprungen ist, haben einige Stimmen in den Vereinigten Staaten wiederholt behauptet, dass die Ursache ein Leck in einem Labor in Wuhan war.
«Ich denke, dass die chinesische Regierung sehr kritisch gesehen wird, auch weil sie die Daten nicht schneller, offener und umfassender weitergegeben hat», sagt Suerie Moon, Co-Direktorin des Global Health CentreExterner Link in Genf. «Ich denke nicht, dass dies die WHO dadurch in ein schlechtes Licht gerät. Es ist eher die chinesische Regierung, die Informationen nicht früher und nicht offen zur Verfügung gestellt hat.»
Sie bezieht sich dabei insbesondere auf die jüngste, eher bizarre Wendung in dieser Geschichte. Im März dieses Jahres erklärte eine Gruppe von Forschenden aus mehreren Ländern, sie hätten neue chinesische Daten heruntergeladenExterner Link, die kurzzeitig in einer genetischen Datenbank namens GISAID aufgetaucht waren.
Diese Daten wiesen darauf hin, dass lebende wilde Waschbärhunde, die auf dem Markt von Wuhan als Fleisch verkauft wurden, der wahrscheinlichste Zwischenwirt für das Virus sind. Die Daten wurden kurz darauf aus GISAID zurückgezogen, was es China erlaubte, seinen eigenen Bericht Externer Linkzu aktualisieren, der anschliessend vom Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlicht wurde.
Professor Edward Holmes von der Universität Sydney, ein Experte für Infektionskrankheiten, hat einen Bericht über die neuen chinesischen Daten mitverfasst. Er sagt, er empfinde eine Mischung aus «Wut und Frustration» über die späte Veröffentlichung der Daten. «Diese Daten wurden Anfang 2020 gewonnen, aber es hat drei Jahre gedauert, bis sie veröffentlicht wurden. Das ist in keiner Weise akzeptabel.»
Verpolitisierte Wissenschaft
Die so genannten Waschbärhund-Daten sind laut Holmes «wahrscheinlich der beste Beweis für einen zoonotischen Ursprung, den wir jemals bekommen werden». «Die wichtigste Erkenntnis aus den Daten ist, dass es 2019 mehrere Wildtierarten auf dem Huanan-Markt gab, ganz im Gegensatz zu dem, was uns ursprünglich gesagt wurde», sagt er.
«Ausserdem wissen wir, dass einige der auf dem Markt gefundenen Wildtierarten für Sars-CoV-2 empfänglich sind. Obwohl diese Daten nicht beweisen, dass eines der Tiere auf dem Markt mit dem Virus infiziert war, entsprechen sie genau den Erwartungen, falls es einen zoonotischen Ursprung auf dem Markt gab.»
Aber werden wir den Ursprung von Covid-19 jemals mit Sicherheit erfahren, oder ist es dafür zu spät? «Ich denke, es ist jetzt sehr wahrscheinlich zu spät, um den genauen zoonotischen Ursprung zu finden», sagte Holmes. «Das Virus hat sich wahrscheinlich schnell durch eine Population von tierischen Zwischenwirten ausgebreitet und ist jetzt nicht mehr in dieser Population vorhanden.
Das war’s. Die einzige Möglichkeit, es aufzuspüren, bestünde darin, in diesen Tieren nach Antikörpern gegen das Virus zu suchen, die eine frühere Infektion beweisen, und nicht nach dem Virus selbst. Aber wir wissen nicht genau, um welche Art es sich handelt, woher die Tiere kamen und ob einige von ihnen, die Ende 2019 lebten, auch heute noch am Leben sind.»
Moon weist darauf hin, dass es auch andere Krankheiten gibt, wie HIV, deren Ursprung wir immer noch nicht genau kennen. Im Fall von Covid-19 glaubt sie, dass es inhärente wissenschaftliche Herausforderungen gibt, gleichzeitig sei nicht klar, ob alle vorhandenen Daten weitergegeben wurden.
«Selbst wenn jedes letzte Datenfragment weitergegeben worden wäre, hätten wir dann einen eindeutigen Beweis? Die Antwort könnte nein lauten», sagt sie. «Ich denke, das macht die Sache ziemlich schwierig. Und natürlich ist alles hochpolitisch.»
Im März prangerte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus die «ständige Politisierung» der Frage nach dem Ursprung von Covid-19 an und rief erneut dazu auf, sie der Wissenschaft zu überlassen.
Er erklärte gegenüber der Presse in Genf, dass die Weltgesundheitsorganisation nicht die Absicht habe, ihre Forschungen aufzugeben, und dass ihre wissenschaftliche Beratungsgruppe für die Ursprünge neuartiger Krankheitserreger (SAGO) im vergangenen Jahr einige Dinge empfohlen habe, die noch zu tun seien.
Die SAGO, eine Gruppe wissenschaftlicher Fachleute aus verschiedenen Ländern, darunter auch der Schweiz, schrieb am 18. März in einer Stellungnahme Externer Linkzu den Daten der Waschbärhunde: «Auch wenn diese Daten keine schlüssigen Beweise für den Zwischenwirt oder den Ursprung des Virus liefern, so sind sie doch ein weiterer Beweis für das Vorhandensein empfänglicher Tiere auf dem Markt, die eine Quelle für menschliche Infektionen gewesen sein könnten.»
Elemente des Pandemieabkommens
Im Rahmen der Bemühungen der WHO, Lehren aus Covid-19 zu ziehen, einigten sich ihre Mitgliedstaaten im Dezember 2021Externer Link einvernehmlich darauf, Gespräche über ein mögliches Pandemieabkommen aufzunehmen, um die Welt vor künftigen gesundheitlichen Notfällen zu schützen.
Zur Ausarbeitung des Abkommens wurde ein zwischenstaatliches Verhandlungsgremium eingerichtet, das im April dieses Jahres zu seiner fünften Sitzung zusammenkam. Das Gremium arbeitet auf der Grundlage eines so genannten «Zero Draft»Externer Link, und das Zieldatum für den Abschluss der Verhandlungen ist Mai 2024.
«Eine der sensibelsten Fragen ist, ob die Regierungen eine Vereinbarung treffen können, die im Gegenzug für die Verpflichtung zur gemeinsamen Nutzung von Daten auch die gemeinsame Nutzung von Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika vorsieht», konstatiert Moon. «Im Moment gibt es keine Einigung, die Regierungen haben nicht zugestimmt.»
Was die gemeinsame Nutzung von Daten betrifft, so müssen sich die Regierungen auch auf Plattformen und Regeln einigen. GISAID, das die grösste Menge an wissenschaftlichen Daten über Covid-19 enthält, ist eine private Plattform. Darin sieht sie eine «grosse Schwachstelle». Die Regierungen müssen auch öffentliche Plattformen wie INSDC Externer Linkfür Forschende attraktiv machen, indem sie deren Eigentumsrechte besser schützen.
Laut Moon gibt es derzeit noch viele Knackpunkte, etwa bei der Definition einer Pandemie, den Bestimmungen zum geistigen Eigentum, der Finanzierung und den Regelungen zur Einhaltung der Vorschriften.
Die Frage der gemeinsamen Datennutzung im Austausch für den Zugang zu Impfstoffen bleibe der Knackpunkt. Während die Debatte darüber die gleiche Kluft zwischen Nord und Süd wie während der Pandemie widerspiegelt, hofft Moon, dass aufstrebende Länder mit mittlerem Haushaltseinkommen wie China, Indien, Brasilien und Südafrika, die ein Interesse an beidem haben, als «Brückenbauer:innen» für einen Kompromiss dienen können.
NGOs an der Seitenlinie
Derweil sind zivilgesellschaftliche Gruppen der Meinung, dass sie nicht ausreichend in die Gespräche eingebunden sind. «Das ist ein wirklich grosses Problem, das sich noch zugespitzt hat, seit mit der konkreten Ausarbeitung begonnen wurde», sagt Courtenay Howe von STOPAIDS und der Civil Society Alliance for Human Rights in the Pandemic Treaty (CSA).
Die Zivilgesellschaft habe sich von Anfang an für einen stärkeren Einbezug eingesetzt, so Howe, und es habe einige Fortschritte mit öffentlichen Anhörungen und online verfügbaren Sitzungen gegeben.
Aber nur Gruppen, die in offiziellen Beziehungen zur WHO stehen, was einen langwierigeren Prozess voraussetze, oder Gruppen, die von den Mitgliedsstaaten nominiert wurden, durften teilnehmen. Seit dem 23. Februar sei man «erst recht besorgt», da nun an der Formulierung des Entwurfs nur noch Mitgliedsstaaten beteiligt seien.
«Wenn wir uns die Reaktion auf Covid-19 und andere gesundheitliche Notfälle in der Vergangenheit ansehen, sehen wir nicht immer eine menschenrechtsbasierte Lösung, und wir sehen einen ungleichen Zugang zu medizinischen Gegenmassnahmen», sagt Howe.
Verbindlichkeit schaffen
Howe vertritt die Ansicht, dass die Zivilgesellschaft und Grassroot-Organisationen sowohl in der Entwurfs- als auch in der anschliessenden Kontrollphase stärker einbezogen werden müssen. Selbst wenn das Ergebnis ein rechtsverbindlicher Text sei, müssten die Mitgliedstaaten den politischen Willen haben, ihn umzusetzen.
«Das, was wir die Einhaltung und Umsetzung eines Vertrags nennen, wird sehr wichtig. Denn all diese Verpflichtungen können nur Worte auf einer Seite sein, wenn es keinen wirksamen Mechanismus der Rechenschaftspflicht gibt», sagt auch Moon.
Was passiert also, wenn es verbindliche Verpflichtungen zum Datenaustausch und zur Bereitstellung von Geld für das Gesundheitswesen gibt, die Regierungen sich aber nicht daran halten?
«Wenn die britische Regierung sagt: Ja, wir haben diesen Vertrag unterzeichnet, aber wir haben kein Geld, um in den nationalen Gesundheitsdienst zu investieren, kann dann irgendjemand das Vereinigte Königreich zwingen, etwas anderes zu tun? Nein. Aber es gibt Belege dafür, dass Überwachung, regelmässige Konferenzen, auf denen die Regierungen eine Peer Review durchführen, und Benennen und Anprangern durchaus helfen können. Es gibt viele kleine Instrumente, um die Länder mit der Zeit dazu zu bringen, zu tun, was sie versprochen haben.»
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