Daniele Ganser vermittelt Fake News zum Krieg in der Ukraine – und ein gutes Gefühl
Daniele Ganser zweifelt die Gefährlichkeit von Corona an, die offizielle Version von 9/11 und russische Kriegsverbrechen. Damit erreicht er ein grosses Publikum. Besuch eines ausverkauften Auftritts in Basel, wo Ganser einst als vielversprechender Historiker an der Uni arbeitete.
Seine Gedanken müsse er ausgerechnet «bei den Amerikanern» veröffentlichen, auf Facebook und Instagram, sagt der Mann auf der Bühne. Hinter ihm auf der Leinwand erscheinen seine Followerzahlen.
Der Mann heisst Daniele Ganser. Die NZZ bezeichnet ihn als «Ikone der Verschwörungstheoretiker». Denn er versteht es, mit raunenden Fragen Verschwörungstheoretiker:innen anzusprechen und gleichzeitig sein Bild als seriöser Historiker zu pflegen. Während Corona erfreuten sich radikale Impfgegner:innen an Gansers Videos und nun ist er ein Held der Putin-Versteher:innen, der als «Lösung» Gewaltfreiheit präsentiert.
9/11, Corona, Krieg in der Ukraine
Die grosse Konstante von Ganser ist der Antiamerikanismus – und dieser stand auch am Anfang vom Ende seiner geschichtswissenschaftlichen Arbeit: Mitte der Nullerjahre behauptete er in einer grossen Zeitung, dass die Terroranschläge am 11. September 2001 von amerikanischen Geheimdiensten oder dem Verteidigungsministerium inszeniert sein könnten. Heute sucht Ganser die Öffentlichkeit eben in den Sozialen Medien.
Keine Zeitung und kein Fernsehsender mache einen Beitrag dazu, was seine Meinung zum Krieg in der Ukraine sei, sagt er in Basel. «Die Medien berichten nur ‹Achtung, Achtung, ja nicht zum Vortrag von Daniele Ganser gehen.'» Dann pausiert Ganser – für die Pointe: «Und dann kommen trotzdem jedes Mal noch mehr!» Lachen. Applaus. Das Publikum freut sich.
Es hat an diesem Abend viele Gelegenheiten für gute Laune, obwohl Gansers Vortrag den Titel «Warum ist in der Ukraine ein Krieg ausgebrochen?» trägt. Immer wieder baut Ganser Witze ein: Ein chinesischer Historiker würde auf dieser Bühne ganz andere Dinge sagen. «Oder eine deutsche Aussenministerin.» Wieder ein Lachmoment. Er hält ähnliche Vorträge in Deutschland, aber die Pointe funktioniert auch in Basel.
Zwei Mal volles Haus
Zwei Abende füllte er das Basler Stadtcasino. Über 2000 Besucher:innen haben mindestens 50 Franken Eintritt bezahlt. Für Ganser, so stellt er es dar, sind die Auftritte speziell: Es sei hier was Anderes als in Deutschland. Er erzählt, wie er in Basel die anthroposophische Schule besucht und später als Historiker an der Universität gearbeitet hat.
Wer im Publikum nicht weiss, dass Gansers Habilitation an der Uni Basel abgelehnt wurde und er seinen letzten Lehrauftrag an einer Universität vor fünf Jahren verloren hatte, hält den Abend für die Heimkehr eines weit gereisten Historikers.
Dass Wissenschaftler:innen der Universität Basel unter dem Titel «Wahrheiten, Halbwahrheiten und Lügen» eine Gegenveranstaltung zu seinen Auftritten organisierten, lässt er unerwähnt. Dort hat etwa Benjamin Schenk, Professor für osteuropäische Geschichte, klar gemacht, dass sich Ganser nie wissenschaftlich mit der Ukraine oder Russland beschäftigte und weder Russisch noch Ukrainisch spricht.
«Ganser verbreitet Erzählungen, die sehr eng sind an dem, was die russische Kriegspropaganda in der westlichen Öffentlichkeit verbreitet», so Schenk gegenüber SRF.
Russisch, Französisch, Italienisch im Publikum
Gansers Publikum im Stadtcasino scheint ein Querschnitt der Gesellschaft: Gruppen von Männern mit muskulösen Oberarmen, aber ebenso Familien mit Kindern, eher alternativ wirkende Leute. Neben Schweizerdeutsch hört man auch Russisch, Französisch, Italienisch, Hochdeutsch und Englisch.
Manche sind weit angefahren, zum Beispiel eine Gruppe aus der Ostschweiz: Eine Primarlehrerin, ein Bauarbeiter, ein Banker, der vierte sagt seinen Beruf nicht. Sie erzählen SWI swissinfo.ch, dass sie der Neugier wegen hier seien. Sie seien offen, ohne festgefahrene Meinung. Dieser Freitagabend bei Daniele Ganser sei einer wie jeder andere. «Ein wenig wie Ausgehen, für einmal einfach ohne Alkohol. Man muss sich ja konzentrieren.» Einzig der Banker sagt, er verfolge ihn schon länger, etwa zehn Jahre. Ganser schätze er, «schlussendlich wegen dem Frieden» und seinem Eindruck, dass über Konflikte in den «Medien ein wenig einseitig berichtet wird».
An einer Stelle im Vortrag fragte Ganser sein Publikum, ob sie diese oder jene Online-Plattform kennen, die bekannt dafür ist, Verschwörungstheorien zu verbreiten. Viele kennen die Plattformen nicht: Mal geht vielleicht jede vierte Hand nach oben, mal jede zweite. Manche sind neugierig, andere in einem paranoiden Paralleluniversum. So wie vielleicht eine andere Besucherin, die sagt: «Darum, dass er Pazifist ist, geht es mir nicht, sondern darum, dass er alles ausspricht.» Sie ist Fan und «überhaupt nicht zufällig da».
Auch Soziologieprofessor Oliver Nachtwey ist nicht zufällig mit im Publikum: Er forscht zu Menschen, die an Verschwörungstheorien glauben, und weshalb diese verfangen. Durchs Hiersein könne man viel mehr über Daniele Ganser lernen als in den Online-Versionen seiner Vorträge, erklärt Nachtwey SWI swissinfo.ch: «In den meisten Berichten über die Methode Ganser wird nicht vermittelt, wie er Humor einsetzt, wie er Nähe zum Publikum herstellt und es zum Mitmachen bringt.» In ernsten Themen präsentiere er sich als Lockerer. «Für viele Leute ist das ein Bildungsabend. Sie können an einer hochwertigen Diskussion teilhaben. Ganser bringt Fachbegriffe rein und erklärt diese», sagt Nachtwey.
Ganser tritt tatsächlich auf wie ein Volkshochschullehrer. Dabei erklärt er unumstrittene Fakten sehr ausführlich. So zählt er etwa jeden einzelnen Staat auf, in den die Sowjetunion zerfallen ist. Um dann in einem Satz falsche Äusserungen zu machen: So setzt er etwa das Verhältnis der Schweiz zum Kanton Jura mit jenem von Serbien zum Kosovo gleich. Obwohl 115 Staaten anerkennen, dass es sich bei letzterem um einen unabhängigen Staat handelt.
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Für viele Aussagen blendet er Quellen ein – manchmal nimmt er journalistische Medien, manchmal zweifelhafte Blogs. Wer nicht weiss, wie man Quellen verifiziert, hat keinen Grund für Zweifel. Zumal Ganser seinem Publikum Autonomie verspricht: Selber denken sollen sie!
Kein Wort zu Butscha
Der Abend verspricht Aufklärung über die Ursachen des Kriegs in der Ukraine. Er spricht auch über den jetzigen russischen Angriffskrieg – wobei er aber russische Menschenrechtsverletzungen, etwa in Butscha, nicht erwähnt. (Anders als in einem seiner VideosExterner Link: Dort bezeichnete er die Massaker in Butscha «vermutlich» als «Fehlinformation».) Vielmehr geht es ihm darum nachzuzeichnen, weshalb Deutschland und die Nato-Staaten angeblich Kriegspartei seien.
Nur einmal blendet Ganser ein Foto von Toten ein – und sagt, diese Menschen habe der ukrainische Präsident Selensky getötet. Vor der russischen Invasion. Ein Moment, der auch Oliver Nachtwey aufgefallen ist: «Die ganze Zeit war eine False Balance drin. Er sagte explizit, Selensky habe die eingeblendeten Menschen getötet. Das Aufstocken der Rüstungsausgaben von Bundeskanzler Scholz kann man kritisieren, aber Ganser relativiert Putins Angriffskrieg, weil er ihn auf die gleiche Stufe stellt.»
Ganser verteilt im Verlauf des Abends wie ein Schiedsrichter rote Karten. An alle US-Präsidenten der letzten 30 Jahre ausser Donald Trump, an Selensky, den deutschen Bundeskanzler Scholz und auch an Wladimir Putin. Die Invasion im Februar 2022 bezeichnet sogar er als illegal.
Verständnis für Putins Angriffskrieg mit Fussball
Gleichzeitig bringt Ganser aber viel Verständnis für Putin auf – mit einem Fussballvergleich.
Beim WM-Finale 2006, Frankreich-Italien, sei der französische Starspieler Zinedine Zidane so lange provoziert worden, bis er irgendwann kaum mehr anders konnte als zu foulen. Mit dieser Parallelsetzung von Fussballfoul und Angriffskrieg bezieht sich Ganser darauf, dass der Beitritt von osteuropäischen Staaten zum Nato-Bündnis angeblich eine untragbare Provokation für Russland gewesen sei. Auch viel Raum braucht Ganser für die widerlegte Behauptung, dass die Protestbewegung auf dem Maidan 2014 ein westlicher Putsch gewesen sei. Die von Russland annektierte Krim hat sich in Gansers Ausführung in einer freien Wahl für Russland entschieden – und Putin habe die Krim «aufgenommen».
Soziologieprofessor Nachtwey interessierten aber nicht nur Gansers Vortragsinhalte, sondern auch, wie er komplexe Dinge erklärt. «Mit seinen Erzählungen über die ‹grosse Angst und die grosse Angstmacherei› holt Ganser viele Menschen ab. Denn es gibt einen starken sozialen Wandel, viele grosse Krisen, führen dazu, dass er sie damit erreicht», so Nachtwey.
«Die Medien» sind bei Ganser mächtig, manipulativ und würden jeweils ein Thema antreiben. Das verbindet Ganser direkt mit Biologie: Zu diesem Thema verknüpfen sich dann die Nervenzellen anders. Sein Beispiel Corona-Impfung: Ganser hat sich nicht gegen Corona impfen lassen. Im Gespräch mit Geimpften habe er gemerkt: «Jeder tut das, abhängig von dem, was er gehört oder gelesen hat.»
Ein gutes Gefühl
Das Publikum darf oft lachen an diesem Abend, der einen laufenden Krieg zum Thema hat. Und wenn mal keine Pointe kommt, gibt es trotzdem Gründe für ein gutes Gefühl: Ganser spricht über Achtsamkeit als Ausweg aus der Medienmanipulation.
Der Abend mündet im Positiven. Nicht alles werde davon überschattet, dass es wieder Krieg gibt. «Viele Dinge sind in perfekter Ordnung», erklärt Ganser. Ein Beispiel, das er mehrmals bringt: die Symmetrie einer Seerose. Das Betrachten dieser helfe die von den Medien manipulierten Nervenzellen zu verbinden. In der Natur solle man Energie gewinnen und nicht konstant über Kriege nachdenken.
Gansers Zielgruppe sind also Menschen, die so bequeme Leben haben, dass sie sich Seerosen zuwenden können.
Editiert von David Eugster.
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