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«Das Alter ist ein Geschenk, nicht eine Last»

Nationalpräsidentin Pascale Bruderer mit Judith Giovanelli, welche die Heimbewohner repräsentiert. swissinfo.ch

Zu wenig Personal und der Druck auf die Kosten bereiten Pflege-Organisationen und Heimen zunehmend Sorgen. Mit einer Charta plädieren sie für einen würdigen Umgang mit älteren Menschen und mehr Wertschätzung für Senioren.

«Die Alterung der Bevölkerung ist keine Zeitbombe: Es ist vielmehr eine Chance, dass die Menschen heute älter werden als ihre Vorfahren, es ist ein Geschenk, nicht eine Last», sagte Otto Piller, Präsident des Heimverbandes Curaviva und ehemaliger Direktor der Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV).

Die älteren Menschen würden eine Bereicherung für die Gesellschaft darstellen, sie zahlten Steuern und Versicherungsprämien und kurbelten den Konsum an. «Mit unserer Charta wollen wir gegen das bestehende negative Image kämpfen, das gegenüber älteren Menschen besteht», so Piller.

Laut Philippe Wanner, Demograf und Professor an der Universität Genf, werden bis im Jahr 2050 von den insgesamt rund 8,2 Mio. Schweizerinnen und Schweizern 2,2 Mio. 65-jährig oder älter sein. Während heute vier erwerbstätige Personen auf einen Rentner kommen, wird 2050 noch ein Erwerbstätiger auf einen Rentner kommen.

Namentlich die ins Alter kommenden Babyboomer werden zu einer Art Bevölkerungsexplosion der über 65-Jährigen führen.

Verhärtete Debatte

Die Überalterung der Bevölkerung ist sowohl auf das gestiegene Lebensdurchschnittsalter als auch darauf zurückzuführen, dass Frauen in der Schweiz heute weniger Kinder haben als früher. Der zunehmende Frauenanteil in der Erwerbswelt wird den Rückgang erwerbstätigen Bevölkerung ab 2019 nicht auffangen können.

Diese Zahlen sind bekannt. Die Pflegeorganisationen und Heime befürchten, dass sich die politische Debatte um die Finanzierung der Sozialversicherungen angesichts dieser Realitäten verhärtet.

Markus Leser, Leiter des Fachbereichs Menschen im Alter des Heimverbands Curaviva, kam deshalb die Idee für eine Charta der Zivilgesellschaft. «Wir wollen damit den in der aktuellen Debatte über die Kosten der Sozialversicherungen vorherrschenden Vorurteilen Gegensteuer geben», sagt Markus Leser.

Mit der Charta soll die Gesellschaft aufgerufen werden, sich mit dem längeren Leben und mit Fragen zur Langzeitpflege auseinanderzusetzen.

«Kampf gegen verbreiteten Jugendwahn»

«Man muss gegen den in unserer Gesellschaft so verbreiteten Jugendwahn und die Anti-Age-Bewegung kämpfen und endlich ernsthaft über die Folgen der Alterung der Gesellschaft nachdenken», sagte Markus Leser. Es brauche eine Diskussion zwischen den Generationen, eine konkrete Diskussion ohne Tabus.

Gleichzeitig gelte es wegen der erwarteten massiven Zunahme der älteren Bevölkerung den zusätzlichen Bedarf an Pflegepersonal vorzubereiten, der in 20 Jahren erforderlich sein wird.

Bei der Präsentation der Charta im Bundeshaus am Dienstag bedankte sich Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer beim Pflegepersonal für «die tagtäglich zumeist im Stillen erbrachte Arbeit» und betonte: «Die Zunahme der älteren Bevölkerung wird Arbeitsplätze schaffen.»

«Die politische Schweiz kann die Debatte vertiefen und ausweiten», sagte Bruderer weiter. «Es ist ihre Aufgabe, die älteren Menschen nicht aus der Gesellschaft auszuschliessen und ihre Erfahrung als unerlässlichen Wert anzuerkennen. Kurz: Wir müssen die Chancen und nicht nur die Risiken sehen.»

Flexibles Rentenalter

In der Debatte um die Sozialversicherungen geht es unter anderem um die Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre.

Otto Piller ist für eine Flexibilisierung des Rentenalters. «Es gibt Leute, die sind vom Arbeitsleben geprägt und andere die durchaus noch länger arbeiten können. Es braucht ein System, das allen die Möglichkeit gibt, in den Ruhestand zu gehen, wenn für sie die Zeit dazu gekommen ist.»

Die Zahlen der Erwerbslosenversicherung zeigen: Es braucht noch viel Überzeugungsarbeit bei den Wirtschaftsvertretern, damit ein Arbeitsangebot für ältere Menschen geschaffen wird.

Isabelle Eichenberger, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Französischen: Corinne Buchser)

Mit unterzeichnet haben die «Charta der Zivilgesellschaft für einen würdigen Umgang mit älteren Menschen» der Heimverband Curaviva Schweiz, das Schweizerische Rote Kreuz, Pro Senectute, der Spitex Verband, Curahumanis, der Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer(SBK), die Alzheimervereinigung und die Unabhängige Beschwerdestelle Schweiz.

In der Schweiz gibt es rund 1600 Alters- und Pflegeheime mit etwa 110’000 Angestellten.

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