Das Hohelied des Föderalismus
Bei der dritten Nationalen Föderalismuskonferenz gab es ein klares Bekenntnis zu den föderalen Strukturen in der Schweiz – auch von Seiten des Wirtschaftsverbandes Economiesuisse. Doch ein gewisser Reformbedarf ist gegeben.
Die politischen Institutionen mit ihrer föderalistischen Aufgabenverteilung zwischen Gemeinden, Kanton und Bund sind tief im Bewusstsein der Schweizerinnen und Schweizer verankert.
Es scheint sogar, dass im Zeitalter der Globalisierung die Bürgernähe föderalistischer Strukturen noch mehr an Bedeutung gewinnt. Dies war wenigstens der Tenor bei der dritten Nationalen Föderalismuskonferenz, die am Donnerstag in Mendrisio eröffnet wurde.
Alt Bundesrat Arnold Koller, der bereits die internationale NGO «Forum of Federations» präsidierte, sprach gar von einer «neuen Attraktivität des Föderalismus».
Nach Zentralisierungstendenzen erfahre der Föderalismus wieder Aufwind. Auch die Schweizer Kantone seien wieder selbstbewusster, wie die erfolgreiche Lancierung des Referendums gegen die Steuerreform gezeigt habe.
Föderative Staaten hätten auch die Wirtschaftskrise besser überstanden als zentral regierte Staaten, meinte Koller. Eine interessante Feststellung, weil gerade auch in der Schweiz aus Wirtschaftskreisen die föderalistische Struktur in Verbindung mit basisdemokratischen Elementen häufig als schwerfällig und somit wirtschaftsfeindlich kritisiert worden war.
Economiesuisse steht hinter Föderalismus
Doch diese Haltung ist offenbar Vergangenheit. Zumindest hat Gerold Bührer, Präsident von Economiesuisse, in Mendrisio ein eindeutiges Bekenntnis zugunsten des Föderalismus abgelegt. «Die Trümpfe des Föderalismus sind politische und soziale Stabilität, Bürger- und Wirtschaftsnähe, Finanzdisziplin sowie der Nährboden für Innovation», sagte Bührer.
«Auch die Wirtschaft profitiert davon», meinte der Economiesuisse-Präsident, womit er anerkannte, dass auch nicht-materielle Werte wie bürgernahe Institutionen einen Einfluss auf den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes haben. Besonders lobende Worte fand er für den Finanz- und Steuerföderalismus.
Allerdings kritisierte Bührer auch die teilweise sehr langen Prozeduren – beispielsweise im Baurecht – und forderte eine bessere Harmonisierung der formellen Normen zwischen Kantonen. Generell gilt aber: «Die Vorteile überwiegen die negativen Elemente.»
Anpassungen nötig
Trotz viel Lob über die Vorteile werden aber auch die Grenzen des Schweizer Systems deutlich. Die sozioökonomischen, kulturellen und technologischen Veränderungen bringen dem Föderalismus ganz neue Herausforderungen.
So zeigte der Politikwissenschafter Wolf Linder von der Universität Bern auf, dass gerade Gemeinden häufig schon auf die Veränderungen reagiert haben. In den letzten Jahren gab es einen beeindruckenden Prozess an Gemeindefusionen – mit dem Extremfall im Kanton Glarus, wo aus 25 Gemeinden 3 geschaffen wurden. Dort hat man gemerkt, dass zu kleine Verwaltungseinheiten nicht mehr funktionell sind.
«Auf Kantonsebene gibt es hingegen erstaunlicherweise keinerlei Fusionenprozesse», analysierte Linder. Einmal mehr unterstrich er institutionelle Besonderheiten, beispielsweise den Umstand, dass der Kanton Zürich mit einer Million Einwohner genauso viele Ständeräte (nämlich zwei) stellt wie der Kanton Uri mit 35‘000 Einwohnern. Die Schaffung von sieben Makroregionen in der Schweiz beurteilte er aber skeptisch.
Kein Exportartikel
Einig waren sich die Referenten in einem Punkt: Das Schweizer Föderalismus-Modell lässt sich nicht einfach in ein anderes Land exportieren. Der Schweizer Botschafter in Italien, Bernardino Regazzoni, zitierte in diesem Zusammenhang den ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Romano Prodi, der gesagt hatte, dass sich das Schweizer System für Italien nicht eigne. Es funktioniere nur, weil es von unten gewachsen sei.
In Italien müsse hingegen ein Zentralstaat föderalisiert werden. Im südlichen Nachbarland, wo die Föderalismus-Debatte in vollem Gang ist, orientiert man sich laut Regazzoni stärker an Modellen wie Belgien, Grossbritannien oder Deutschland.
Leider sei das Wissen über die Schweiz in der Regel sehr gering, mit Ausnahme von grenznahen Regionen wie der Lombardei. Dies liess sich an der Konferenz erfahren. Der Präsident der Region Lombardei, Roberto Formigoni, der eigentlich ein Grusswort hätte sprechen sollen, wandte sich nur per Videobotschaft an die Konferenzteilnehmer. Doch darin liess er keinen Zweifel, dass die Eidgenossenschaft für die Lombarden ein Vorbild darstellt.
Einige kritische Fragen zum Erfolgsmodell des schweizerischen Föderalismus stellte Joëlle Kuntz, Leitartiklerin der westschweizer Tageszeitung «Le Temps».
Ihre Kernthese bestand in der Behauptung, dass die kantonale Hoheit in Kulturfragen zu einem «Kantönligeist» führe, der nur auf die Bestellung des eigenen Gartens ausgerichtet sei.
«Dies hat eine Art Masochismus zur Folge», so Kuntz. Denn die Fokussierung auf das Kantonale verhindere den erleichterten Zugang zu den drei grossen benachbarten Kulturen, der französischen, italienischen und deutschen Kultur.
Statt diese Nachbarstaaten und ihre Kulturen als Bereicherung zu sehen, würden sie als «feindlich» und «fremd» erfahren. Diesen kulturellen Preis bezahle die Schweiz für ihr System, das zu einer gewissen Bequemlichkeit führe.
«Die Welt wird entweder untergehen oder verschweizern», zitierte Pascal Broulis, Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen, einen berühmten Satz von Friedrich Dürrenmatt.
Die Nationalen Föderalismuskonferenzen haben ihren Ursprung in der Internationalen Föderalismuskonferenz, die vom 27. bis 30. August 2002 in St. Gallen stattfand. Über 500 Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft setzten sich mit dem Thema «Föderalismus und Wandel – im Dialog voneinander lernen» auseinander.
Im Anschluss an diese Internationale Föderalismuskonferenz beschloss die Konferenz der Kantonsregierungen (KdK), den Dialog über föderalistische Grundsatzfragen in Form einer Nationalen Föderalismuskonferenz fortzusetzen.
In der Folge fand am 15./16. September 2005 in Freiburg die erste Nationale Föderalismuskonferenz zum Thema «Der kooperative Föderalismus vor neuen Herausforderungen» statt.
Am 27./28. März 2008 fand in Baden (Kanton Aargau) unter dem Titel «Der Schweizer Föderalismus unter Effizienzdruck: Was sind die Perspektiven?» die zweite Nationale Föderalismus-Konferenz statt.
Dort wurde entschieden, die dritte Konferenz am 26./27.Mai in Mendrisio (Tessin) abzuhalten. Das Thema: «Föderalismus und neue territoriale Herausforderungen: Institutionen, Wirtschaft und Identität.»
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