Das Kreuz mit den Volksrechten
Gescheiterte Referenden sorgen in der Schweiz für politischen Wirbel. Die Referendumsträger führen ihre Niederlage auf behördliche Schlamperei zurück. Das Beispiel zeigt, wie aufwändig die Wahrung der demokratischen Rechte ist.
Zu den Mitbestimmungsrechten des Schweizer Volks gehören Initiativen und Referenden. Vor allem die politische Linke hat diese Instrumente immer wieder eingesetzt, weil sie in der Regierung und im Parlament keine Mehrheit fand, um ihre Anliegen durchzusetzen.
In den letzten Jahren machten aber auch rechtskonservative Kreise vermehrt davon Gebrauch. Bei den jüngsten Referenden haben rechte (die «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» AUNS) und linke Gruppierungen (die Jungsozialisten JUSO) sogar Hand in Hand gearbeitet, aber ohne Erfolg.
Ihre Referenden gegen die Steuerabkommen mit Deutschland, Grossbritannien und Österreich scheiterten, weil nicht genügend beglaubigte Unterschriften rechtzeitig bei der Bundeskanzlei eingetroffen waren. Im Falle der Abkommen mit Deutschland und Grossbritannien wurden nach Ablauf der Frist noch je rund 2800 Unterschriften nachgereicht, wodurch die notwendige Zahl von 50’000 zustande gekommen wäre, aber eben verspätet. Für die Verspätung machen die Referendumsträger die Behörden verantwortlich. Sie werfen gewissen Gemeinden vor, bei der Beglaubigung der Unterschriften geschlampt zu haben.
Bekannt geworden ist der Fall einer Genfer Gemeinde, wo erst 4 Tage vor Ablauf der Referendumsfrist noch 1500 Unterschriften eingereicht worden waren. Um diese noch rechtzeitig zu prüfen, leisteten die betroffenen Gemeinde-Angestellten sogar einen Sondereffort mit Überstunden. Aber weil sie das Paket versehentlich mit der langsameren Economy- (B-Post), statt Priority-Post (A-Post) zurückschickten, traf dieses erst nach Ablauf der Referendumsfrist am Ziel ein.
Seither wird auch öffentlich darüber gestritten, ob diese Gemeinden für das Scheitern verantwortlich, oder die Referendumsträger selber schuld seien, weil sie die Unterschriften zu spät zur Beglaubigung eingereicht hätten. Weil letztere inzwischen Rekurs gegen das von der Bundeskanzlei festgestellte Scheitern eingereicht haben, wird das Bundesgericht entscheiden müssen.
«Einmaliges Kulturdenkmal in Gefahr»?
In den Chor der Empörten stimmten nicht nur etliche Medien ein, sondern auch Politiker aus verschiedenen Parteien: «Stimmbürger wurden fahrlässig betrogen….aus Schlamperei», wetterte zum Beispiel Oswald Sigg im Boulevard-Blatt Blick. Der ehemalige Bundesratssprecher unterstellt den betroffenen Gemeindekanzleien, dass sie «ihre Arbeit nicht ernst nehmen». Und er sieht deshalb die direkte Demokratie in Gefahr, die er als «weltweit einmaliges politisches Kulturdenkmal» bezeichnet, das man habe «verlottern lassen».
Ein gewisses Verständnis für die Empörung hat auch der Politologe Wolf Linder. Der emeritierte Leiter des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Bern rechnet aber nicht damit, dass der Rekurs beim Bundesgericht im Fall der Steuerabkommen noch etwas verändern wird. «Ich glaube, dass das Referendum endgültig gescheitert ist.» Abgesehen von den technischen Schwierigkeiten, steht laut dem Professor die Rechtssicherheit auf dem Spiel. «Und man müsste den Gemeinden bösartiges Verhalten nachweisen können, um zu behaupten, dass sie das Referendum sabotiert hätten.»
Dass die Unterschriften nicht unverzüglich zurückgeschickt wurden, «ist keine schöne Sache», sagt Linder. «Referendumsgruppen haben ein gewisses Vertrauen, dass die Behörden ihre Aufgabe gesetzeskonform wahrnehmen.»
Das Bundesgesetz über die politischen Rechte verlangt von den Amtsstellen, dass diese die Unterschriftslisten nach der Beglaubigung «unverzüglich den Absendern zurückgibt». Was der Gesetzgeber mit dem Begriff «unverzüglich» meint, darüber scheiden sich die Geister. Einzelnen Exponenten ist der Begriff zu unverbindlich. Sie rufen nach einer Gesetzesrevision, die präzise Fristen festlegt.
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Für Linder ist der Begriff klar genug. «Die Gemeinden müssen alles tun, damit die Unterschriften fristgerecht kontrolliert und zurückgeschickt werden.» Er bezweifelt, ob neue Regelungen etwas ändern könnten. «Fehler passieren. Und dagegen können eigentlich nur jene Gruppen etwas unternehmen, die das Referendum ergreifen, indem sie Unterschriften in ausreichender Zahl sammeln.»
Eine Flut von Unterschriften
Am meisten Unterschriften zu bewältigen hat die Stadt Zürich. Im Fall der Referenden gegen die Steuerabkommen hat sie alle Unterschriften termingerecht eingereicht.
«Wir nehmen diese Arbeit sehr ernst», versichert Andreas Bichsel, Stabschef beim Bevölkerungsamt der Stadt Zürich. «Die politische Bedeutung dieses Auftrags in einer direkten Demokratie ist uns bewusst». Ausserdem finde eine aufmerksame Kontrolle durch die Komitees und die Medien statt.
Allein in diesem Jahr (bis Anfang Oktober) hat die Stadt Zürich für 33 eidgenössische und kantonale Initiativen und Referenden insgesamt 140’000 Unterschriften kontrolliert (2011 waren es 110’000). Nicht selten laufen gleichzeitig Unterschriftensammlungen für mehrere Volksbegehren. Das erfordert eine umfassende Planung und Organisation.
Für das ganze Abstimmungsprozedere ist ein Team von acht Personen zuständig, wobei die Kontrolle der Unterschriften nur ein Teil ihrer Aufgaben ist.
In einer Arbeitsstunde werden rund 100 bis 150 Unterschriften kontrolliert. Die Kapazität hänge nicht nur von der Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden ab, sondern vor allem auch von der Qualität der Unterschriftenbögen. Weil oft kurz vor Ablauf der Fristen noch Hunderte Unterschriftenlisten eingereicht werden, wurden auch Leute aus andern Abteilungen geschult, die bei Bedarf beigezogen werden können.
«Oberste Priorität»
Obwohl für diese Arbeit jeweils oberste Priorität gelte, habe alles seine Grenzen. In kleineren Gemeinden werden diese schon bei deutlich kleinerem Volumen erreicht. «Keine Gemeinde kann es sich finanziell leisten, Leute anzustellen, die nur für diese Arbeit und nur bei Bedarf auf Knopfdruck eingesetzt werden können», sagt Bichsel.
Aber Fehler unterlaufen auch den Grossen. Die Stadt Zürich hatte Anfang Jahr Probleme mit einer Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP), als 6000 Unterschriften liegen blieben. Der Fehler hatte keine Auswirkungen auf das Zustandekommen. Die SVP hatte ihre Initiative schon vor Ablauf der Frist mit ausreichend Unterschriften eingereicht.
Die Volksinitiative erlaubt Bürgerinnen und Bürgern, eine Änderung in der Bundesverfassung vorzuschlagen. Damit sie zu Stande kommt, müssen innerhalb von 18 Monaten 100’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht werden.
Das (fakultative) Referendum erlaubt Bürgerinnen und Bürgern, das Volk über ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz entscheiden zu lassen. Falls das Referendumskomitee innerhalb von 100 Tagen 50’000 gültige Unterschriften bei der Bundeskanzlei einreichen kann, kommt es zu einer Abstimmung.
Die Instrumente des Volksrechts werden vor allem von Parteien und Gruppierungen benutzt, die im Parlament und in der Regierung nicht der Mehrheit angehören oder gar nicht vertreten sind.
In den letzten Jahren hat die Anzahl Initiativen und Referenden fast stetig zugenommen. Kritiker werfen einigen Initianten und Referendumsträgern vor, dass sie diese Instrumente der direkten Demokratie für Marketingzwecke missbrauchten.
René Rhinow, Experte für Staatsrecht, weist gegenüber swissinfo.ch darauf hin, dass sie oft fahrlässige Formulierungen enthielten, die populär seien, aber in der Anwendung grosse Probleme verursachen könnten, weil nicht Verfassungsrecht geschaffen werden sollte, sondern irgend ein politisches Ziel im Vordergrund gestanden habe.
Fast alle grossen Parteien haben für ihre Initiativen und Referenden auch schon bezahlte Unterschriften-Sammler eingesetzt.
«Diese Methode können sich nicht alle leisten», sagt Prof. Rhinow. «Das ist eine problematische Entwicklung, weil dadurch die Spiesse nicht mehr gleich lang sind.»
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