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Das Lobbying der Nationalräte auf einen Blick

Ein Nationalrat hat im Schnitt acht ausserparlamentarische Mandate – in Vereinen, Stiftungen oder privaten Unternehmen. Diese spielen bei der Themensetzung im Parlament keine unwesentliche Rolle. Die interaktive Visualisierung von swissinfo.ch und RTS zeigt, welche Themen in Bern eine starke Lobby hinter sich haben.

Parlamentarier werden in ihrer Tätigkeit im Bundeshaus nicht nur vom Parteibuch beeinflusst. Nebenbei haben sie auch Mandate bei Institutionen und Unternehmen – sogenannte Interessenbindungen, die sie beim Eintritt ins Parlament deklarieren und jährlich aktualisieren müssen.

Ein öffentliches RegisterExterner Link der Parlamentsdienste gibt zwar Auskunft darüber, weist aber Lücken auf. Dies bestätigt Otto Hostettler, Co-Präsident des Vereins «Lobbywatch.ch»Externer Link, der sich zum Ziel genommen hat, die Lobbyarbeit im Bundeshaus transparenter zu machen.

Eine umfassende Datenbank

Hinter der nüchternen Bezeichnung «Interessenbindung» verbergen sich öffentliche wie private Mandate, ehrenamtliche und bezahlte – in Vereinen, Stiftungen oder Unternehmen. swissinfo.ch hat zusammen mit RTS das öffentliche Register mit weiteren Daten abgeglichen (siehe Kasten «Methodik»). Zudem wurden die eingereichten Vorstösse – Motionen und Postulate – der laufenden Legislatur untersucht.

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Die Spezialisten im Bundeshaus

Entsprechend ihren Mandaten haben manche Parlamentarier ein sehr enges Fachgebiet, in dem sie aktiv sind. Hans Egloff (Schweizerische Volkspartei (SVP), Kanton Zürich) etwa widmet sich in seinen fünf Vorstössen, die er während dieser Legislatur gemacht hat, ausschliesslich dem Immobilien- und Wohnrecht.

Methodik

RTS hat von Smartvote die Liste aller Vorstösse (Motionen und Postulate) im Nationalrat der aktuellen Legislatur erhalten, wie sie auf der Website der Parlamentsdienste veröffentlicht werden.

Die Parlamentsdienste kategorisieren die Vorstösse bereits, die Kategorie «Krankenversicherung» wurde manuell hinzugefügt. Ein Vorstoss kann in mehreren Kategorien aufgeführt werden.

Das Parlament veröffentlicht ebenfalls eine Liste der selbstdeklarierten InteressenbindungenExterner Link der National- und Ständeräte. Jene müssen bei Amtsantritt und im jährlichen Rhythmus angegeben werden. Da die Liste der Interessenbindungen teilweise unvollständig ist, hat RTS zusätzlich die Monetas-DatenbankExterner Link, die Handelsregistereinträge beinhaltet, konsultiert (in Zusammenarbeit mit

Stefano Puddu und Martin Péclat, Universität NeuenburgExterner Link). Die Interessenbindungen wurden von RTS manuell kategorisiert.

Die Motion «Sicheres Wohnen. Einmaliges Wahlrecht beim Eigenmietwert» will beispielsweise eine Steuerreform durchbringen, die Eigentümer begünstigt. Seine Nähe zu diesen Themen erstaunt wenig, wenn man seine Interessenbindungen sichtet. Der Jurist ist unter anderem Präsident des Hauseigentümer-Verbandes (HEV). Weiter sitzt er im Verwaltungsrat zahlreicher Immobilienunternehmen.

Auch Ruth Humbel (Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), Kanton Aargau) beackert in ihren Vorstössen vor allem ein Gebiet – das Gesundheitswesen. Sie ist nicht nur im Verwaltungsrat der Krankenkasse Concordia und zweier Privatkliniken, sondern auch Mitglied in zahlreichen Stiftungsräten. Etwa der Stiftung für Klinische Krebsforschung oder der Schweizerischen Akademie für Chiropraktik. Mit 24 Vorstössen während der laufenden Legislatur gehört sie zu den Fleissigsten im Parlament.

«Wenn ich im Verwaltungsrat einer Krankenkasse sitze, heisst das noch lange nicht, dass ich ausschliesslich im Sinne der Kassen politisiere. Ich habe auch schon Vorstösse gemacht, die den Krankenkassen nicht passten», sagt Humbel. Es gehe ihr im Gesundheitswesen vor allem um Fairness, Solidarität und Eigenverantwortung.

Ebenfalls fleissig mit 26 Motionen und Postulaten ist Bea Heim (Sozialdemokratische Partei (SP), Kanton Solothurn). Auch bei ihr stimmt die Themenauswahl der Vorstösse grösstenteils mit den Interessenbindungen überein. So ist Heim etwa Präsidentin des Vorstands des Spital Club Solothurn.

Auf Anfrage sagt sie: «Nur durch eine hohe Anzahl an Vorstössen konnte ich endlich Bewegung in den Patientenschutz bringen.» Die Vorstösse im Gesundheitswesen seien zudem nicht die Konsequenz ihrer Mandate. Vielmehr sei sie wegen ihrer politischen Tätigkeit von Organisationen angefragt worden.

Grosse Differenzen zwischen Parteien

RekordhalterExterner Link bei den deklarierten Interessenbindungen ist Kurt Fluri (Freisinnig-Demokratische Partei (FDP.Die Liberalen), Kanton Solothurn). In 33 Organisationen waltet er ausserhalb des Bundeshauses – unter anderem als Präsident eines regionalen Energieversorgers oder als Geschäftsleitungsmitglied von Pro Natura Solothurn. Der Berufspolitiker meint dazu: Erstens seien sehr viele Mandate unentgeltlich, zweitens sei die Wahrung wirtschaftlicher Interessen für den Wohlstand des Landes grundsätzlich nichts Negatives.

Mit überdurchschnittlich vielen Interessenbindungen ist Fluri bei der FDP in bester Gesellschaft. Die Nationalräte seiner Partei haben durchschnittlich rund elf ausserparlamentarische Mandate, dicht gefolgt von CVP-Politikern. Am anderen Ende der Rangliste stehen die Grünen, mit durchschnittlich knapp sechs Mandaten.

Anders sieht es bei der Anzahl an Vorstössen aus – hier politisieren CVP-Politiker mit durchschnittlich rund elf Motionen und Postulaten am aktivsten, gefolgt von SP-Politikern mit rund neun. Eine von diesen ist Susanne Leutenegger Oberholzer (SP, Kanton Basel-Landschaft). Mit 31 Motionen und Postulaten ist sie SpitzenreiterinExterner Link – auch bei den restlichen Vorstössen und Anfragen im Nationalrat.

Interessanterweise reichen FDP-Politiker trotz vielen Bindungen durchschnittlich am wenigsten Vorstösse ein – rund sechs in der laufenden Legislatur. Die Auswertung ergibt denn auch, dass kein Zusammenhang zwischen der Anzahl Mandate und der Anzahl Vorstösse besteht. Die Annahme, Politiker mit vielen Interessenbindungen seien politisch besonders aktiv, kann zumindest aus statistischer Sicht nicht erhärtet werden.

Hier gibt es die meisten «Aktivisten»

Gewisse Muster lassen sich dennoch herauslesen. Nationalräte, die im Gesundheitssektor tätig sind, sind mit Abstand am aktivsten. Von deren 43 haben 23 mindestens einen Vorstoss in diesem Bereich eingereicht. Diese Debatte wird denn auch – mehr als andere Themen – von Spezialisten dominiert. Gesamthaft wurden 54 Prozent der 210 Vorstösse in Gesundheitsfragen von Parlamentariern eingereicht, die einen Bezug zum Sektor haben. Davon sind rund ein Drittel Ärzte.

Ähnlich sieht es in den Bereichen Energie und Landwirtschaft aus: Auch hier werden Vorstösse vorderhand von Parlamentariern eingereicht, die persönliche oder berufliche Bezüge zum Thema haben – stärker als in anderen Themenbereichen.

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