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«Das Nein zum Gripen ist kein Nein zur Armee»

Das Stimmvolk hat dem Gripen die Flügel gestutzt. AFP

Der Entscheid des Schweizer Stimmvolks gegen den Kauf von 22 schwedischen Kampfjets hat eine historische Dimension. Für den Bundesrat ist es die erste wirkliche Niederlage bei einer Armeevorlage. Die Schweizer Presse macht den Verteidigungsminister für den Absturz des Gripen mitverantwortlich.

Die Titel am Tag nach dem Versenken der 3,1 Milliarden-Kampfjet-Vorlage durch das Schweizer Stimmvolk sind deftig, Ueli Maurer, der Vorsteher des Verteidigungsdepartements, muss einiges an Kritik einstecken. Die Rede ist von «Maurers Marignano», » Maurers Irrflug»,  «Maurers Waterloo», bis hin zu «Der Wehrwille bröckelt» oder «Die Schweiz braucht eine andere Armee».

«Ueli Maurer hat den Gripen-Kauf zur Schicksalsfrage erklärt. Das Volk ist ihm nicht gefolgt. Noch nie zuvor haben die Stimmberechtigten eine solche Armeevorlage versenkt. Und am schwersten wiegt, dass nun ein angeschlagener Bundesrat die Interessen der Armee verteidigen soll», schreibt der Blick.

«Die Niederlage hat Maurer mitzuverantworten. Es waren seine Generäle, welche die Typenwahl verhauen hatten. Trotzdem zog er seine Mission eisern durch – und steht nun vor einem Scherbenhaufen.» Maurer könne jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wenn selbst Armeefreunde in sicherheitspolitisch heiklen Zeiten – ein Blick nach Osten genügt – Beschaffungen ablehnten, dann habe die Armee ein Problem. «Wenn das Volk keine Gripen-Kampfjets will, ist das zu akzeptieren. Vor einer Neuauflage tut Maurer aber gut daran, die Bedrohungslage des Landes exakt zu analysieren. Nur so schafft er in der Bevölkerung wieder Vertrauen für die Armee», so das Boulevard-Blatt weiter.

Maurer habe nicht überzeugend darlegen können, warum es diese Flugzeuge jetzt brauche, analysiert die Aargauer Zeitung. «Für den Luftpolizeidienst reichen die F/A-18, Bedrohungsszenarien erscheinen wenig realistisch, und selbst wenn: Bringen dann 22 Gripen die Rettung? Alle reden von Cyberwar und neuen Bedrohungen – was soll ein Kampfjet dagegen ausrichten? Maurer selbst hat Zweifel genährt: Einst wollte er selber – vernünftigerweise – keine neuen Kampfjets, weil sonst wegen Geldmangel der Rest der Armee ausgeblutet wäre. Wie aber kann etwas, das eben noch verzichtbar war, zur Überlebensfrage werden?»

Laut der Neue Zürcher Zeitung wird die Armee zur Zeit regelrecht durchgeschüttelt: «Die Institution hat seit der ersten Abschaffungsinitiative von 1989 unzählige Angriffe von links unversehrt überstanden. So tief, wie ihre bürgerlichen Befürworter glaubten, ist die militärische Landesverteidigung offenkundig nicht mehr im Volk verankert. Das ist die Erkenntnis, die das Nein zum Kampfjet Gripen sekundiert. Der Wehrwille bröckelt.»

Das Nein vom Sonntag, so die NZZ weiter, könnte zur Folge haben, dass teure Rüstungsvorhaben künftig prinzipiell auf der Kippe stehen. «Das Armeebudget wird noch heftiger umkämpft sein als bisher. Die Linke wird den Steilpass dankbar aufnehmen. Und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA), die sich in den letzten Wochen der generalstabsmässig gedrechselten Anti-Gripen-Kampagne untergeordnet und abstimmungstaktisch eingegraben hatte, wird wieder pazifistische Lunten zünden.»

Schlechte Taktik?

Dass der Bundesrat den Gripen nicht durchbrachte, hat gemäss dem Kommentar des Tages-Anzeigers mehrere Gründe: «Grundsatzkritik an der Armee kumulierte sich mit finanziellen Bedenken und Vorbehalten gegenüber der Typenwahl. Vor allem aber blieben die Befürworter die Begründung schuldig, weshalb die Beschaffung zum jetzigen Zeitpunkt wirklich unverzichtbar sein sollte. Für Ueli Maurer, der sein politisches Waterloo erlebte, schien der Kauf zunächst nicht höchste Priorität zu haben.»

FDP-Chef Philipp Müller habe zudem den Gripen als «Papierflieger» abgetan, um ihn später als entscheidend für die Sicherheit zu erklären. Und die CVP habe wegen der unklaren Rolle von Schweden und von Hersteller Saab im Abstimmungskampf entnervt den Kampagnen-Lead abgegeben. «So gewinnt man keinen Urnengang», schreibt der Tagi.

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Es sei in erster Linie die Niederlage von Ueli Maurer, schreibt 24heures. Der Verteidigungsminister sei während des ganzen Abstimmungskampfs inkonsequent gewesen und habe seine Strategie so häufig gewechselt wie seine Socken. «Er hat ein ernstes Thema mit der Mine eines tristen Clowns präsentiert», so das Lausanner Blatt.

Keine Absage an die Armee

Bundesrat Ueli Maurers Mantra im Abstimmungskampf lautete: «Wer gegen den Gripen ist, ist gegen die Armee.» Das sei ein Bumerang, schreibt die Aargauer Zeitung, denn mit dieser Logik wären also seit dem Nein vom Sonntag 53,4 Prozent der Schweizer Stimmbürger gegen die Armee.

«Das ist Unfug. Die Armee brachte in den vergangenen Jahrzehnten an der Urne alles durch: Die Aufhebung der Milizarmee etwa wurde kürzlich mit 73 Prozent abgelehnt, und 2001, bei der letzten Abschaffungsinitiative, standen 78 Prozent hinter der Landesverteidigung.»

Ähnlich sieht es der Tages-Anzeiger: Das Nein zum Gripen bedeute weder ein Nein zur Armee noch die Abschaffung der Luftwaffe. «Die Mehrheit in diesem Land will eine Armee, und eine Armee ohne Luftwaffe macht keinen Sinn. Mit dem Nein werden aber drei Milliarden Franken gespart, die man mittelfristig in die Evaluation und den Kauf eines weniger risikobehafteten Jets der fünften Generation investieren kann. Dies ermöglicht auch den sinnvollen Übergang zu einer Einflottenpolitik.»

Laut dem Tagi könnte das Nein auch eine Chance für mehr Pragmatismus in der sicherheitspolitischen Debatte sein. «Wie im Fall der heterogenen Gripen-Gegnerschaft sind neue Allianzen möglich. Allianzen, die sich nicht nur am bekannten Links-rechts-Schema orientieren. Und die scheinbar unverrückbare Grundsätze ins Wanken bringen können.»

Die Schweiz sei nach dem Nein zu neuen Kampfflugzeugen nicht weniger militärfreundlich als zuvor, heisst es in der Berner Tageszeitung Der Bund. «Die Armee ist in der Bevölkerung solid verankert. Die allgemeine Wehrpflicht als Pfeiler des hiesigen Sicherheitssystems wurde, obwohl im restlichen Europa fast überall abgeschafft, im letzten Jahr verblüffend klar bestätigt. Sogar der exotische Brauch der Heimaufbewahrung des Sturmgewehrs hat sich bis heute gehalten.»

Umso mehr müsse jetzt das Nein zum Gripen die Armeespitze, die bürgerlichen Sicherheitspolitiker und Militärminister Ueli Maurer durchschütteln. «Denn es wäre zu banal, die Niederlage einzig damit zu erklären, dass bürgerliche Meinungsführer selber den schwedischen Jet vorübergehend als untauglich taxiert hatten und am Schluss, als sie ihre Einschätzung änderten, die Verunsicherung im Publikum nicht mehr wegbrachten,» so Der Bund.

«Die Schweizer brauchen eine andere Armee», titelt die Westschweizer Zeitung Le Temps. Nichts sei mehr wie vorher. Die Schweizer, die noch nie den Kauf von neuem Militärmaterial abgelehnt hätten, hätten nun die 22 Gripen-Kampfjets bachab geschickt. «Städtischer, weniger monolithisch und umso kritischer äusserst sich die Schweiz nun gegen über seinen Militärs. Der Reflex, immer Ja zu sagen um nicht als «gefährliche Linke» abgeurteilt zu werden, ist vorbei.» Das Nein sei aber auch das Votum einer bequemen Schweiz, die sich in Sicherheit fühle, paradoxerweise – unter dem Schirm ihrer Nachbarn und der NATO. «

Die Schweizer Luftwaffe besitzt aktuell 32 Jets des Typs F/A-18 Hornet und 54 des Typs F-5 Tiger.

Die veraltete Tiger-Flotte soll durch 22 Gripen-Jets des schwedischen Herstellers Saab ersetzt werden.

Der Gripen war in Konkurrenz mit dem Rafale des französischen Herstellers Dassault und dem Eurofighter des europäischen Konsortiums EADS gestanden.

Zur Schweizer Luftwaffe gehören zudem etwa 60 Trainings- und Leichttransport-Flugzeuge des Schweizer Herstellers Pilatus, etwa 30 Helikopter des Typs Eurocopter, 15 Transporthelikopter des Typs Super Puma und rund 50 Drohnen.

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