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Del Ponte: «Spanien müsste Garzón danken»

Der umstrittene Richter Baltasar Garzón ist in Spanien zu 11 Jahren Berufsverbot verurteilt worden. Keystone

Die Suspendierung des spanischen Richters Baltasar Garzón, weltweit bekannt dafür, die Verhaftung des chilenischen Ex-Diktators Pinochet erwirkt zu haben, sei "ein politisches Urteil". Laut Carla del Ponte will das Gericht ihn damit zum Schweigen bringen.

Für die einen ist Garzón ein Verfechter von Freiheit und Demokratie, für andere ein Richter, der sich gerne in Szene setzt. Er hat die letzten 30 Jahre der spanischen Geschichte wesentlich mitgeprägt – aber nicht allein.

1998 war er verantwortlich für den Haftbefehl gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet. Er kämpfte gegen die ETA, den Drogenhandel, die Diktaturen in Chile und Argentinien sowie gegen die Korruption in den höchsten Sphären seines Landes.

Nun hat die glänzende Richterkarriere des 56-Jährigen allerdings einen Knick erhalten: 2010 wurde er von seinen Funktionen enthoben. Seither musste er in Spanien bereits dreimal vor Gericht erscheinen. Mitte Februar wurde er schliesslich wegen Amtsmissbrauchs und Rechtsbeugung zu 11 Jahren Berufsverbot verurteilt.

Konkret ging es in diesem Fall um abgehörte Gespräche zwischen korruptionsverdächtigen Politikern der gegenwärtigen Regierungspartei und deren Anwälten. Diese Praxis ist in Spanien nur in ausserordentlichen Fällen erlaubt, wie etwa bei mutmasslichen terroristischen Aktivitäten.

In einem zweiten Fall ging es darum, dass Garzón Untersuchungen zu den Massenhinrichtungen des Franco-Regimes in Spanien aufgenommen hatte. Er wurde in diesem Zusammenhang wegen mutmasslicher Verletzung des Amnestiegesetzes angeklagt.

Die Schweizerin Carla Del Ponte, vor ihrer Pensionierung Chefanklägerin am Internationalen Gerichtshof für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien und Botschafterin der Schweiz in Argentinien, nimmt gegenüber swissinfo.ch Stellung zum Urteil.

swissinfo.ch: Sie haben bereits eng mit Baltasar Garzón zusammengearbeitet. In welcher Angelegenheit?

Carla Del Ponte: Ich habe ihn in Bern kennengelernt, als ich noch Bundesanwältin war. Damals ermittelte er über spanische Opfer der Diktatur in Argentinien. Gemeinsam beschäftigten wir uns mit Bankkonten von hohen Militärs.

In der Folge trafen wir uns mehrmals in Madrid und Buenos Aires. Also sind wir immer in Kontakt geblieben.

swissinfo.ch: Garzón wurde zu einer der Galionsfiguren der neueren spanischen Geschichte. Wie beurteilen Sie seine Arbeit?

C.d.P.: Es war eine beispiellose Karriere, weil er es geschafft hat, Rechtsfälle anzupacken, für die niemand sonst den Mut aufbrachte. Denken Sie nur an den Haftbefehl gegen Augusto Pinochet.

Garzón wurde zum standhaften Verteidiger der Menschenrechte und er kämpfte dafür, dass Menschenrechtsverletzungen bestraft werden. Für mich ist das sein wichtigster Beitrag.

swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hatten die Aktionen von Garzón gegen südamerikanische Ex-Diktatoren auf das internationale Strafrecht?

C.d.P.: Richter Garzón war einer der Ersten, die das Prinzip der universellen Gerechtigkeit angewendet haben, und seine Aktionen fanden enorme Resonanz.

Der Haftbefehl gegen Pinochet, der im Rahmen des internationalen Strafrechts ausgestellt wurde, fand seine Fortsetzung in Ad-hoc-Gerichten wie jenem für Ex-Jugoslawien oder Ruanda sowie in ständigen Gerichten.

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Garzón wer einer der Vorläufer dieser internationalen Institutionen. Es ist daher schwierig, die Motive nachzuvollziehen, warum das Gericht zu diesem Urteil gekommen ist.

swissinfo.ch: Sie haben von einem politischen Urteil gesprochen. Aus welchem Grund?

C.d.P.: Garzón hatte konkrete Hinweise darauf, dass sich die Anwälte der Angeklagten im Fall Gürtel (siehe Kästchen) schuldig machten. Das hatte er auch öffentlich geäussert.

Das spanische Gesetz erlaubt Abhöraktionen in aussergewöhnlichen Fällen. Ich sehe daher nicht ein, warum man das nicht hätte tun sollen, um zu verhindern, dass diese völlig straflos bleiben.

Nachdem ich mit Garzón sprechen konnte, kann ich bestätigen, dass dieses Urteil politischer Natur ist und jemand wollte, dass er seine Untersuchungen nicht fortführen konnte. Es ist kein Zufall, dass er in Spanien von mehreren Seiten her angegriffen wird und daher in drei Prozessen antreten muss.

swissinfo.ch: Das Gericht hat ihn wegen Amtsmissbrauchs verurteilt. Was meinen Sie, hat sich Garzón mit der Telefonüberwachung zu weit aus dem Fenster gelehnt?

C.d.P.: Ich kenne die spanische Gesetzgebung nicht im Detail, aber in den anderen europäischen Ländern kann ein Richter keine Telefonüberwachung ohne Zustimmung einer anderen Instanz anordnen.

Im Prinzip muss die Beziehung zwischen einem Angeklagten und seinem Verteidiger geschützt bleiben. Wenn letzterer aber ein Verbrechen begeht, muss man die Möglichkeit haben, einzugreifen – auch, indem man die Telefongespräche eines solchen Anwaltes abhört.

swissinfo.ch: Im Fall der Opfer des Franco-Regimes hat das Gericht Garzón Amtsmissbrauch vorgeworfen, weil er das Amnestiegesetz von 1977 verletzt habe. Müsste Spanien dieses Gesetz annullieren und die Hauptverantwortlichen der Diktatur vor Gericht bringen?

C.d.P.: Die Verbrechen, die während der Franco-Diktatur verübt wurden, sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Darüber gibt es keinen Zweifel. Wenn nun die Opfer Gerechtigkeit verlangen, wäre es politisch richtig, die Amnestie aufzuheben. Alles hängt vom Anspruch der Opfer ab.

swissinfo.ch: Glauben Sie, Garzón kann sein Amt am Internationalen Strafgerichtshof weiterhin ausüben?

C.d.P.: Dem steht meiner Meinung nach nichts im Weg. Es wird von der Haltung der Mitgliedstaaten und Spaniens abhängen. Warten wir ab, was in der Berufung herauskommt.

swissinfo.ch: Bieten Sie Garzón Ihre Unterstützung an?

C.d.P.: Klar. Falls nötig, werde ich ihm helfen. Ich habe bereits in den anderen Fällen meine Bereitschaft erklärt, vor Gericht als Zeugin auszusagen. Die Richter aber haben meine Aussage zugunsten der Verteidigung nicht zugelassen. Garzón weiss aber, dass er auf mich zählen kann.

swissinfo.ch: Welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Fall?

C.d.P.: Leider hat sich in diesem Fall wieder einmal das Sprichwort bestätigt, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt. Spanien müsste sich bei Garzón bedanken für all das, was er getan hat. Aber wie wir sehen, erhält er dort eine ganz andere Behandlung.

Der 1955 in Spanien geborene Richter Baltasar Garzón ist in den 1990er-Jahren mit seinen Untersuchungen gegen Terrorismus und Drogenhandel sowie dem Kampf für Menschenrechte und die Verteidigung von lateinamerikanischen Diktatur-Opfern zu internationalem Ruhm gelangt.

1998 ordnete er die Verhaftung von Augusto Pinochet in London an, nachdem er diesen beschuldigt hatte, er habe während der Zeit seiner Diktatur in Chile zahlreiche spanische Bürgerinnen und Bürger verschwinden lassen.

Die Inhaftierung Pinochets öffnete eine neue Seite in der internationalen Justiz, indem das Territorialprinzip aufgehoben wurde, das bis dahin gegolten hatte.

Heute arbeitet Garzón als Richter am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag.

Der Fall Gürtel: Garzón wurde ein 11-jähriges Berufsverbot auferlegt wegen Amtsmissbrauchs und Rechtsbeugung. Ursprung des Falls waren Abhöraktionen von Telefongesprächen zwischen einigen inhaftierten Personen – Mitte-Rechts-Politiker, die verdächtigt wurden, in einen Korruptionsfall verwickelt zu sein – und ihren Anwälten. Telefonabhöraktionen sind nach spanischem Gesetz nur im Fall von mutmasslichem Terrorismus erlaubt.

Franquismus: Garzón wurde von der Anklage des Amtsmissbrauchs in der Untersuchung über das Schicksal von 114’000 Menschen, die während des Franco-Regimes (1939-1975) zum Verschwinden gebracht wurden, freigesprochen. Die Richter haben ihm Vorwürfe gemacht, weil er die Ereignisse während der Franco-Diktatur als Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnete. Sie unterstrichen jedoch, dass Garzóns Position in dieser Frage kein Delikt der Amtsverletzung darstellt.

Korruption: In einem dritten, verjährten Prozess war Garzón der passiven Korruption angeklagt wegen des Erhalts von Geld der Banco Santander für Konferenzen in New York 2005. Gegenleistung war die Archivierung eines Falles, in dem einer der Verantwortlichen der Bank belastet wurde.

Geboren 1947 in Bignasco, im Südschweizer Kanton Tessin.

Sie studierte in Bern, Genf und Grossbritannien internationales Recht.

1981 wurde sie Tessiner Staatsanwältin.

Bekannt wurde sie durch ihren Kampf gegen Geldwäscherei, organisierte Kriminalität und Waffenschmuggel.

Del Ponte war von 1994 bis 1999 Bundesanwältin. Ihre Arbeit wurde unterschiedlich bewertet. Verschiedene Seiten warfen ihr «Aktivismus» vor.

1999 ernannte sie UNO-Generalsekretär Kofi Annan zur Chefanklägerin des UNO-Kriegsverbrechertribunals.

Nachdem sie Ende 2007 dieses Amt abgegeben hatte, war sie von 2008 bis 2011 Schweizer Botschafterin in Argentinien.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)

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