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Achtung, die Kinder erobern die Demokratie!

Kleine Kinder versuchen, einen Wahlzettel in eine Urne zu legen.
Mitten in der Pandemie: "Abstimmen in der Kinderkrippe" lautete 2020 das Motto einer Initiative von drei Kinderkrippen in Lausanne. Keystone/Laurent Gillieron

Kinder sind meist inexistent, wenn es um Vorschläge geht, wie die Demokratien angesichts der aktuellen Krisen robuster und gerechter werden sollen. Anders an der Podiumsdiskussion von swissinfo.ch: Zum Abschluss des Weltforums für Demokratie in Luzern rückten vier internationale Expertinnen und Aktivistinnen auch die ganz Jungen in den Mittelpunkt.

Der Titel des Artikels ist natürlich völlig übertrieben. Aber die Aktivistinnen und Expertinnen, die viel Erfahrung im Bereich Inklusion vereinten, trugen eine ganze Reihe von Argumenten zusammen, weshalb die Kinder als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft ernst genommen werden sollten. Insbesondere von den Politiker:innen.

Podiumsdiskussion mit vier Personen
Moderator und swissinfo-ch-Journalist Renat Kuenzi stellt die Teilnehmerinnen der Podiumsdiskussion in Luzern vor. Salvör Nordal, die isländische Ombudsfrau für Kinderfragen, war aus Reykjavik zugeschaltet. Edda Dietrich / Democracy International

«Wir würden bessere politische Entscheidungen treffen, wenn auch Kinder konsultiert würden», sagte Salvör Nordal, die Ombudsfrau für Kinder in Island. Sie erinnerte daran, dass die Pandemie gezeigt habe, dass die Fragen und Sorgen gerade der Kinder besonders ernst genommen werden müssten.

Die Ethikerin ist überzeugt, dass Kinder ein Recht darauf haben, ihre Meinung zu äussern. Deshalb, so Nordal, sollten Kinder systematisch in die öffentliche Meinungsbildung einbezogen werden.

Die Podiumsdiskussion mit vier internationalen Aktivistinnen und Expertinnen für den Einbezug ausgeschlossener Gruppen in die politische Teilhabe wurde von swissinfo.ch organisiert.

Sie war Teil des fünftägigen Global Forum on Modern Direct Democracy in Luzern mit Teilnehmer:innen aus über 60 Ländern weltweit

Die Veranstaltung umfasste Podiumsdiskussionen, Plenarsitzungen, Workshops und Rahmenaktivitäten mit Aktivist:innen, Forscher:innen sowie Vertreter:innen von Behörden und Medien.

Als Beispiel nannte sie eine Kinderversammlung, an der vor zwei Jahren isländische Kinder im Alter von 11 bis 15 Jahren eine Plattform erhielten, ihre Fragen, Sorgen und Vorschläge zu äussern. Dies in einem «Safe Space», wie Nordal sagte. Das heisst, dass die Kinder anfänglich ganz unter sich blieben und sich austauschten.

Erst später stiessen Erwachsene dazu. Namentlich Politikerinnen, die sich gewissermassen Auge in Auge anhörten, was ihnen die Generation der Jüngsten zu sagen hatten und auf welche Fragen sie gerne eine Antwort hätten.

«Viele Politiker:innen hatten danach eingeräumt, dass sie sich nicht bewusst gewesen seien, dass die Kinder spezifische Sorgen haben und welche dies sind. Dabei sind auch Kinder Mitglieder der Gesellschaft.»

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Nordal ist seit dieser Woche Präsidentin des Europäischen Netzwerks für Ombudsfrauen und –männer für Kinder. Sie war in Luzern online aus Reykjavik zugeschaltet, weil sie an der Reise verhindert war.

Funke springt von Kids auf Eltern

Die Mexikanerin Greta Ríos, die 2011 die Nichtregierungsorganisation Ollin gegründet hatte, berichtete von einem Inklusionsprojekt, dass sie mit einer Gruppe indigener Mexikaner:innen initiiert hatte. «Die Begeisterung der Kinder für die politischen Beteiligung wurde teils so stark, dass sie ihre Eltern baten, auch mitzumachen.»

Junge Frau spricht in ein Mikrofon
Greta Rios, Leiterin der mexikanischen NGO Ollin, die sie 2011 gegründet hatte, um politische Debatten und Prozesse in ihrem Land für junge Menschen zu öffnen. Edda Dietrich / Democracy International

Rios› Fazit: «Menschen sind dann bereit, sich zu engagieren, wenn sie das Gefühl haben, dass sie etwas verändern können.»

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Die Diskussionsteilnehmer:innen waren sich einig, dass Kinder aber nur eine von mehreren Gruppen sind, die von der Teilhabe an demokratischen Prozessen ausgeschlossen ist.

Drei-Minuten-Ansprache vor Publikum wirkt fast Wunder

Für Sarah Händel vom Vorstand der deutschen Nichtregierungsorganisation «Mehr Demokratie» ist klar, dass es sei an der Zeit sei, neue Formen der Beteiligung zu schaffen, um Minderheiten in der Gesellschaft eine Stimme zu geben. Selbst wenn sich diese nicht immer bequem gebärdeten.

«Inklusion ist der Schlüssel zur Verbesserung der Demokratie, insbesondere in Zeiten zunehmender Polarisierung», sagte Händel.

Junge Frau mit blonden Haaren spricht in ein Mikrofon
Sarah Händel von «Mehr Demokratie» aus Deutschland, der grössten NGO im Bereich partizipative Demokratie. Edda Dietrich / Democracy International

Sie erinnerte sich an eine Diskussion, in der ein zorniger Teilnehmer extreme Voten abgegeben habe, was sofort zu einem Streit eskaliert sei. Danach aber hätten alle die Möglichkeit erhalten, drei Minuten alleine auf einer Bühne zu stehen und zu den andern zu sprechen. Sofort seien die Voten gemässigter ausgefallen, so Händel, und am Schluss habe sie sich sogar mit dem «Querulanten» einigermassen unterhalten können.

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«Das Erlernen von Reden und Zuhören ist ein Format, das die Gruppe anbietet, um Wege zur Bewältigung grosser gesellschaftlicher Herausforderungen zu finden. Und es fördert direktes demokratisches Engagement», so Händel.

Ihr Fazit: «Wir müssen versuchen, so viele Menschen wie möglich einzubeziehen, um das Vertrauen zwischen Bürger:innen und Politiker:innen wiederherzustellen.»

Lokaldemokratie lebt, sogar in Libyen

Antonella Valmorbida, seit 25 Jahren Generalsekretärin der Europäischen Vereinigung für Lokale Demokratie (Alda) machte deutlich, dass Worte allein nicht ausreichten, um die Notwendigkeit von mehr und besserer Demokratie zu begründen.

Frau beim Vortrag an einem Stehtisch
Knowhow aus 25 Jahren an der Spitze der Europäischen Vereinigung für lokale Demokratie: Antonellla Valmorbida aus Italien. Edda Dietrich / Democracy International

Es brauche unbedingt Taten, und dafür sei die lokale Ebene mit Gemeinden und Gruppen der Zivilgesellschaftlich prädestiniert.

«Lokale Demokratie ist universell, denn die direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bringt überall einen Mehrwert», sagte Valmorbida. Sie erinnerte an Libyen, das seit dem Sturz Gaddafis ohne nationale Regierung sei. «Aber viele Menschen engagieren sich dort stark für die Lokaldemokratie.»

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