Der Aussenblick: Woher die Schweizer Grünen kamen und wie sie zur festen Grösse wurden
Die 2019 beliebteste Partei der Auslandschweizer:innen durchlief eine Geschichte, die alles andere als gradlinig war. Inzwischen ist die Grüne Partei zur festen Grösse in der Schweizer Politlandschaft avanciert.
Hätten bei den Nationalratswahlen 2019 einzig Auslandschweizer:innen entschieden, wären die Grünen mit einem Wähler:innenanteil von 21% stärkste Partei geworden.
Effektiv kamen die Grünen auf eine Parteienstärke von 13,2%. Im Vergleich zu den Wahlen von 2015 kommt das fast einer Verdoppelung gleich und ist das historische Höchstergebnis der Grünen. Auch die andere Partei mit «grün» im Namen, die Grünliberale Partei, legte bei den letzten nationalen Wahlen deutlich zu.
Diese starken Verschiebungen zu Gunsten der beiden Öko-Parteien – mehr oder weniger auf Kosten aller etablierten Bundesratsparteien – ist als «grüne Welle» in die Schweizer Wahlgeschichte eingegangen. Dabei war die grüne Welle auch eine violette und brachte viele Frauen in kantonale sowie ins nationale Parlament.
Am 13. Mai feiert die Grüne Partei Schweiz ihren 40. Geburtstag und am passendsten wäre ein möglichst farbiger Geburtstagskuchen, bestehend aus vielen verschiedenen Zutaten. Denn seit ihrer Gründung zeichnet sich die Grüne Partei durch eine ausgeprägte Integrationskraft, eine breite Vielfalt zentraler Anliegen und eine sehr wechselhafte Geschichte aus.
Mehr
Der Aussenblick: Wie die Schweizer:innen im Ausland entscheiden
Die Geschichte der Grünen in der Schweiz
Die Grünen der Schweiz haben ihren Ursprung in der Romandie. 1979 wurde mit dem Waadtländer Daniel Brélaz der weltweit erste Parlamentarier einer grünen Partei in ein nationales Parlament gewählt. Das geschah jedoch, bevor es in der Schweiz überhaupt eine nationale grüne Partei gab.
Die damals als grün oder alternativ betrachteten lokalen Zusammenschlüsse Gleichgesinnter waren eine bunte Truppe. Unter ihnen befanden sich Umweltaktivisten, Atomkraft-Gegner, Mitglieder der Friedensbewegung, Freunde basisdemokratischer Ideale und Feministinnen gleichermassen, die sich – unschwer zu erraten – von Anfang an nicht auf ein einheitliches politisches Programm einigen konnten.
Doch der Weltenlauf spielte den Grünen in die Hand. Nachdem bis dahin vor allem über das Waldsterben debattiert wurde, erreichten 1986 nach zwei Umweltkatastrophen (dem Reaktorbrand in Tschernobyl und dem Grossbrand des Pharmaunternehmens Sandoz in Basel) die ökologischen Diskussionen erneut eine breite Schweizer Öffentlichkeit.
Dies schlug sich in ersten deutlichen Wahlgewinnen der im selben Jahr aus eher gemässigten Kräften gegründeten Grüne Partei Schweiz (GPS) nieder.
Während unter den Gründungsmitgliedern der Grünen Partei auch bürgerlich Gesinnte waren, denen vor allem der Umwelt- und Landschaftsschutz am Herzen lagen, gewannen im Verlauf der späten 80er und 90er Jahren, als die Partei expandierte, linke Stimmen die Oberhand in der Politik der Grünen.
Gleichzeitig verschoben sich die Positionen der SP in Richtung postmaterialistischer Werte, wodurch sich die Konkurrenz zwischen SP und Grünen intensivierte. Einfach waren die 90er Jahre für die Grünen nicht.
Die Politologin Sarah Bütikofer und der Politologe Claude Longchamp begleiten für SWI swissinfo.ch das Wahljahr 2023 aus der Perspektive der Schweizer:innen im Ausland.
In 10 Beiträgen befassen sich die beiden mit Themen, die besonders von Interesse für die Stimmberechtigten im Ausland sind und schauen dabei immer wieder über den Tellerrand.
Einerseits wurde die Ökologie von sozial- und europapolitischen Themen in der öffentlichen Debatte in den Hintergrund gedrängt, andererseits nahmen die Grünen teilweise politische Positionen ein, die ihnen später um die Ohren flogen: So waren sie gegen den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum EWR (allerdings gegen den Willen der Grünen aus der Romandie), aber für eine EU-Mitgliedschaft. Zudem ergriffen sie – als Kritik an der zunehmenden Mobilität – das Referendum gegen den Bau der NEAT, der Nord-Süd-Transversale für den Schienenverkehr durch die Alpen.
Freund und Feind zugleich: die progressive Allianz
Erst bei den nationalen Wahlen von 2003 legten die Grünen wieder deutlich zu, doch der nächste Konflikt stand vor der Tür.
Im Kanton Zürich spalteten sich bisherige Mitglieder und Amtsträger von den Grünen ab und gründeten die Grünliberale Partei (GLP). Grün und liberal – ein Versprechen, auf das man, so schien es, in den Mittelschichten urbaner Zentren in den Nullerjahren nur so gewartet hatte. Fortan wurden die Grünen, neben der anhaltenden Konkurrenz durch die SP im linken Lager, auch noch von der GLP von rechts bedrängt.
Alle drei Parteien buhlen um ein ähnliches Wählersegment. Thematisch finden sie in gesellschaftspolitisch und ökologischen Themenfeldern zur progressiven Allianz zusammen. Bei klassischen Umverteilungsfragen hingegen trennt SP und Grüne mehr von der GLP, als sie verbinden würde.
Unsere Expertin Sarah Bütikofer ist zusammen mit Werner Seitz Herausgeberin eines Sammelbands über Geschichte und Perspektiven der Grünen in der Schweiz. «Die Grünen in der Schweiz. Entwicklung – Wirken – Perspektiven» ist im Mai 2023 auf DeutschExterner Link und FranzösischExterner Link erschienen.
18 Autor:innen aus Wissenschaft und Politikbeobachtung beleuchten darin die Grünen in der Schweiz in all ihren Facetten. Charakteristisch für die Grünen ist der intensive Gebrauch der direktdemokratischen Instrumente. Dieser wird genauso untersucht wie das politische Verhalten der Grünen im Nationalrat und jenes ihrer Vertretungen in den Institutionen. Zudem wird die Grüne Partei der Schweiz einem Vergleich unterzogen, der aufzeigt, dass die Schweizer Grünen im europäischen Kontext besonders wählerstark sind und sich deutlich links positionieren.
Die Grünen im Parlament
Im Nationalrat nehmen die Grünen aufgrund ihrer dezidiert linken Positionen und ihrem Status als Nichtbundesratspartei häufig eine Aussenseiterposition ein. Gleichwohl schaffen sie es gelegentlich, ihre Anliegen erfolgreich voranzubringen. Dies war in der auslaufenden Legislatur beispielsweise bei der Abstimmung zum Gegenvorschlag der Gletscherinitiative oder dem Gesetz zur Förderung der familienexternen Kinderbetreuung möglich.
Aufgrund der Stärkeverhältnisse im Nationalrat sind die Positionen der Grünen aber nur dann mehrheitsfähig, wenn die Zusammenarbeit über ihren politischen Zwilling SP und die progressive Allianz mit der GLP hinausreicht und auch einzelne Kräfte aus der politischen Mitte einbeziehen kann.
Mehr
So hat die Schweiz seit 1971 gewählt
Sind die Grünen eine Volkspartei?
Obschon die Entwicklung der Grünen nicht gradlinig verlief und sowohl Höhen als auch Tiefen kannte, vermochten sie sich über die Zeit in der Schweizer Parteienlandschaft als feste Grösse zu etablieren. Heute sind die Grünen in allen Sprachregionen der Schweiz verankert und haben im Nationalrat, im Ständerat sowie in kantonalen und kommunalen Regierungen und Parlamenten dauerhaft Einsitz genommen, auch wenn sie vorwiegend ein städtisches Wählersegment repräsentieren.
Ihr Ruf geht inzwischen weit über die Grenzen der kleinen Schweiz hinaus – das zeigt nur schon der Umstand, dass die im Ausland lebenden Schweizerinnen und Schweizer die Grünen überdurchschnittlich stark wählen.
Editiert von Mark Livingston.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch