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Ein Symbol der Einheit in einem geteilten Europa

Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels stiess auch bei der ausländischen Presse auf grosses Interesse. Reuters

Auch die ausländische Presse verfolgte die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels mit grossem Interesse. Während überall die Schweizer Professionalität und Präzision gelobt werden, werden auch Fragen zur Bedeutung dieser Alpenverbindung in dieser Zeit eines geteilten Europas gestellt.

«Mit diesem Jahrhundertbauwerk leistet die Schweiz einen wichtigen Beitrag an den europäischen Transport», schreibt Il Sole 24 Ore. Die italienische Tageszeitung bemerkt aber auch, dass der Gotthard-Basistunnel und der Basistunnel am Monte Ceneri im Kanton Tessin erst eine echte Wirkung entfalten können, wenn sie «durch die Entwicklung und die Aufrüstung der Infrastruktur im Norden und Süden der Alpen» begleitet werden.

Die grossen deutschen Zeitungen ziehen eine Parallele dazu, was die Schweiz erreichen kann, und was Deutschland. «Wenn man wissen will, was die grosse Bundesrepublik von der kleinen Confoederatio Helvetica unterscheidet, muss man sich nur vergegenwärtigen, dass die Planungen für den Gotthardtunnel und für den neuen Berliner Flughafen etwa zur gleichen Zeit begannen», unterstreicht Die Welt.

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Für Die Welt liegt das Geheimnis des Schweizer Erfolgs in deren demokratischem System und der Macht, die diese ihrem Volk gewährt. «Alle Macht geht vom Volke aus. Die Basis bilden 2324 Gemeinden in 26 weitgehend autonomen Kantonen, die über mehr Rechte und Zuständigkeiten verfügen als die deutschen Bundesländer.»

Der Tunnel sei «nicht nur ein umjubeltes Meisterwerk der Ingenieure, sondern auch eines der Demokratie», schreibt die Süddeutsche Zeitung.

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Die spanische Website der Deutschen Welle ist ebenfalls des Lobes voll: «Wie schaffen sie es nur, solch grosse Projekte zu stemmen?», fragt sie und erinnert daran, dass sowohl der Zeitplan wie auch das Budget dieses «Superprojekts» eingehalten worden seien.

«Symbol der europäischen Einheit»

In Kolumbien berichtet El Espectador über die Worte des Schweizer Bundespräsidenten Johann Schneider-Ammann, der in seiner Eröffnungs-Ansprache erklärt hatte, der Tunnel werde «die Menschen und Wirtschaften Europas zusammenbringen». Dies auch dann, während die politische Einheit auf dem Kontinent «stark geprüft wird durch den massiven Zustrom an Flüchtlingen und die Bedrohung eines Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union».

Auch in Portugal blasen die Zeitungen ins gleiche Horn. Der Gotthard, dieses «Meisterwerk schweizersicher Ingenieurskunst, will ein Symbol der europäischen Einheit sein, in einer Zeit der Teilungen und Missverständnisse», schätzt Diário de Notícias.

L’Expresso betont, die Eröffnung des Tunnels sei ein Quantensprung für die Transportpolitik. «Auf diese Weise versucht man den modernen Trend abzuschwächen, die gesamten Güter per Lastwagen zu transportieren. Der Schweiz, zwischen Frankreich, Deutschland und Italien gelegen, hatte die Gefahr gedroht, zu einem riesigen Verkehrskreisel Europas zu werden, verstopft und verdreckt durch einen Warenfluss, mit dem sie wenig bis nichts zu tun hat.»

In den USA schreibt auch das Wall Street Journal über das «verbindende Symbol» des neuen Gotthard-Basistunnels. Dies trotz dem Umstand, dass «die Schweiz und andere europäische Länder einer Welle der populistischen Agitation gegenüberstehen, mit Aufrufen, im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen, die dem Krieg und Chaos im Nahen Osten entkommen wollen, die Grenzkontrollen wieder einzuführen».

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Hollande mit Anspielung an «Brexit»

Auch die französischen Medien waren voll von Berichten über die Gotthard-Eröffnung. «Der Eisenbahntunnel vereint alle Rekorde auf sich», schreibt Le Figaro, der sich auf 7 «verrückte Zahlen» des Bauwerks stützt.

Besonders interessierten sich die französischen Medien natürlich für die Rede ihres Präsidenten François Hollande. Besonders stach ihnen die Anspielung ins Auge, die er auf den drohenden Austritt Grossbritanniens aus der Europäischen Union machte. Über diese wird am 23. Juni abgestimmt. Hollande sprach die Verbindung an, «die vor über 20 Jahren» mit dem Eurotunnel zwischen Grossbritannien und Kontinentaleuropa geschaffen wurde. «Wir sind seither vereint wie nie zuvor, und ich hoffe, dass sich die Briten daran erinnern, wenn der Tag kommt», betonte er.

Die englischen Medien, besonders die BBC, stellen die technischen Daten des Tunnels ins Zentrum.

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Die Daily Mail hingegen konzentriert sich auf die Eröffnungszeremonie, «eine der bizarrsten aller Zeiten». Die Schweiz habe, so die Boulevardzeitung, die Eröffnung des weltweit längsten Eisenbahntunnels mit «einem geflügelten Kind, halbnackten Tänzern und einen Mann mit einem Vogelnest auf dem Kopf» gefeiert.

Japan entthront

In China ist sich die Presse einig, dass auch der Tourismus vom neuen Bauwerk profitieren werde. «Die Touristen werden mehr Zeit haben, die Schweiz zu entdecken, bevor sie in den Zug steigen», schreibt Xin xi shi bao, eine Tageszeitung aus der Region Kanton.

Andere Medien des Reichs der Mitte freuen sich darüber, dass der Gotthard-Basistunnel mit seinen 57 Kilometern Länge den Seikan-Tunnel von der japanischen Hauptinsel Honshu zur Nordinsel Hokkaido (23 km) vom Sockel gestossen hat.

Diese Tatsache hat auch die japanische Presse aufgegriffen. Der nationale Newskanal NHK ging dafür ins Museum des Seikan-Tunnels in Aomori, um Besucher zu befragen. «Heute Morgen habe ich über die Eröffnung des Tunnels im Fernsehen erfahren. So schade, dass der Seikan-Tunnel nicht mehr die Nummer 1 der Welt ist», sagte einer.

Der Direktor des Museums äusserte sich etwas diplomatischer: «Ich bin gleichzeitig enttäuscht und erleichtert, dass der Tunnelbau in der Schweiz endlich zum Abschluss gekommen ist. Der Bau des Seikan-Tunnels war auch sehr schwierig. Toll, dass man dieses Mal so einen langen Tunnel gebohrt hat.»

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(Übertragen aus dem Französischen: Christian Raaflaub)

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