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Der Gripen fliegt erst in den Köpfen

Der schwedische Gripen, laut Verteidigungsminister Ueli Maurer die beste Wahl. Keystone

Preislich vernünftig, aber dennoch schlechte Karten für den "Ikea-Vogel": Dies der Tenor der Schweizer Presse zum Entscheid des Bundesrates, 22 neue Kampfjets von Saab zu kaufen. Ein Grounding drohe nicht nur vor dem Stimmvolk, sondern bereits im Parlament.

«Gripen – die günstigste Lösung stach», schreibt die Zürichsee-Zeitung. Die Neue Luzerner Zeitung bezeichnet die Wahl als «helvetisch bescheiden», denn der Gripen sei die mit Abstand vernünftigste Lösung. Wenn die Schweiz wegen dem Kampfjet-Kauf anderswo Hunderte von Millionen einsparen müsse, solle sie jenes Modell wählen, «das für die geringsten Kosten dem grössten Nutzen entspricht».

Mit dieser positiven Einschätzung steht die NLZ im Schweizer Blätterwald zusammen mit Le Temps alleine da. Die Wahl des günstigsten und leistungsschwächsten Typs markiere eine kulturelle und mentale Revolution, so die Genfer Zeitung. Das Parlament dürfe aber nicht den Eindruck haben, beim Gripen handle es sich um eine Art Ikea-Kampfmaschine zum eigenhändigen Zusammensetzen.

Ueli Maurer ratlos, trotz Montageanleitung 

Das Bild des schwedischen Billig-Einrichters hat auch die Karikaturisten beflügelt. Chappatte zeigt auf der Front von Le Temps einen Offizier beim Öffnen eines Ikea-Kartons unter dem Weihnachtsbaum. Angesichts des zum Vorschein kommenden Gripens kann er Tränen der Enttäuschung nicht zurückhalten.

La Liberté zeigt Ueli Maurer vor dem Bundeshaus mit dem Ikea-typischen Sechskantschlüssel in der Hand, wie er sich vergeblich mit einem Stapel Kartons mit dem Gripen abmüht. Verzweifelt konsultiert der Armeeminister die Montageanleitung, die ihm aber angesichts der vor ihm ausgelegten Teile keine Hilfe zu sein scheint.

Zwar wird der mit dem Entscheid manifestierte Sparwille der Regierung lobend erwähnt, doch die Fragezeichen überwiegen. «Holt sich der Gripen beim Volk die Grippe?», fragt der Blick. Denn laut Boulevardzeitung ist absehbar: «Entscheiden wird das Volk.»

«Eine Wahl, die niemanden glücklich macht», urteilen die Westschweizer Zeitungen 24 Heures und La Tribune de Genève und stellen das Geschäft grundsätzlich in Frage: «Noch hat niemand die sicherheitspolitische Notwendigkeit dieses Kaufs bewiesen.»

GSoA in den Startlöchern 

«Für die Schweiz ist der Gripen gut genug», findet die Neue Zürcher Zeitung, relativiert aber sogleich: «Der Flieger ist noch nicht flügge». Einerseits stehe die Finanzierung der Gripen-Flotte auf sandigem Grund, andererseits sei linker Protest im Anflug. «Sozialdemokraten und Grüne werden – Schulter an Schulter mit der Gruppe Schweiz ohne Armee – alles daransetzen, die militärisch angezeigte Modernisierung neuer Kampfflugzeuge zu blockieren», so die NZZ.

«Das ‹Budget-Flugzeug› macht das Rennen», titelt das St. Galler Tagblatt. Weil der Flugzeugkauf aber im Parlament mit harten Sparrunden bei der Forschung oder dem Verkehr verbunden wäre, sieht auch die Zeitung aus der Ostschweiz den Gripen «noch lange nicht in der Luft».

Der Sparhammer droht 

Auch für die Westschweizer Zeitungen L’Express und L’Impartial ist die Partie noch nicht gelaufen, habe sie doch schon die Kritik der Kantone und der Linken in den Ohren angesichts der erforderlichen Opfer bei Verkehr, Sozialversicherungen sowie Bildung und Forschung.

Für den Tages-Anzeiger ist das 3-Mrd.-Geschäft  nicht anderes als ein «kalkulierter Absturz», denn dem Gripen drohe schon im Parlament ein Grounding. Armeeminister Ueli Maurer nehme dort mit dem Entscheid für die billigste Variante möglicherweise bewusst ein Scheitern in Kauf. «Denn wenn die Jets abgelehnt werden, bleibt ihm mehr Geld für das Heer», so der Tagi.

Alles nur Taktik? 

Auch für den Berner Bund ist nicht klar, ob das «Schlitzohr» Maurer «tatsächlich meint, was er sagt», dass er also rasch neue Kampfflugzeuge für die Schweizer Armee beschaffen will. Im Gegenteil: «Mit der Wahl des schwedischen Flugzeugs sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass die Schweiz neue Flugzeuge kauft», so der Bund. Denn das mit einem Flugzeugkauf verbundene Sparprogramm drohe wegen der Wirtschaftskrise an der Urne zu scheitern.

Angesichts der Zweifel, ob der Saab angesichts seiner technischen Unterlegenheit gegenüber seinen zwei Mitbewerbern das richtige Flugzeug für die Schweiz sei, bringt die Südostschweiz eine vierte Variante zurück ins Spiel: Die F/A-18, also das aktuelle Kampfflugzeug der Schweizer Luftwaffe.

«Gemäss Luftfahrtexperten sollen überall auf der Welt viele nicht mehr gebrauchte F/A-Jets geparkt sein, die auf Käufer warten. Diese hätten für vergleichsweise wenig Geld gut in die bestehende F/A-18-Flotte integriert werden können. Deshalb wäre es gut, wenn in dieser Frage das Volk doch noch ein Wort mitreden könnte.»

Die wichtigsten Kampfflugzeug-Beschaffungen seit dem Zweiten Weltkrieg:

1938: Angesichts der wachsenen Kriegsgefahr kauft die Schweiz von Deutschland Messerschmitt ME 109-Jagdflugzeuge. Sie bilden mit den italienischen Macchi MC202 und französischen Morane-D-3800 das Rückgrat der Schweizer Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.

1948: Als Überbrückung bis zur Einführung von Düsenflugzeugen beschafft die Schweizer Armee 130 amerikanische Mustang P-51

1950: Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges beschafft die Schweizer Luftwaffe die ersten Düsenflugzeuge: total 178 britische Vampires. Sie stehen bis 1990 im Einsatz.

1954: Die Schweiz beginnt mit dem Lizenzbau von 226 Venom-Düsenjägern der britischen De Havilland-Werke.

1958: Nach Misserfolgen von Düsenjäger-Eigenentwicklungen (N-20 und P-16-Jäger) beschliesst der Bundesrat, in Grossbritannien 130 Jagdbomber des Typs Hawker Hunter zu beschaffen. Er steht bis 1994 im Einsatz.

1964/66: Da die Schweizer Armee mit einer atomaren Bewaffnung liebäugelt, will sie als Abfangjäger und Atomwaffenträger 100 französische Mirage-Flugzeuge beschaffen. Die massiven Kostenüberschreitungen führen zum Mirage-Skandal. Nur 59 Flugzeuge werden in Lizent gebaut. Die «Dreiecke» fliegen bis 1999.

1972: Der Bundesrat verzichtet, unter dem Eindruck des Mirage-Skandals auf die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge.

1976: 110 amerikanische Leichtjäger des Typs F-5 E Tiger werden für den Raumschutz beschafft, Kostenpunkt: 1,2 Mrd. Franken.

1993: Gegen die Pläne zur Beschaffung neuer Kampfflugzeuge erhebt sich nach Ende des Kalten Krieges Widerstand. Die Volksinitiative der GSoA (Genossenschaft für eine Schweiz ohne Armee) zur Verhinderung des Flugzeug-Kaufs wird an der Urne verworfen. 34 amerikanische Kampfbomber F/A-18 Hornet können für 3,5 Mrd. Franken erworben werden.

27. Juni 2007: Der Bundesrat beschliesst, die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge als Ersatz der Tiger-Kampfflotte anzugehen. Die Pläne stossen auf heftigen Widerstand. Die GSoA lanciert eine neue Volksinitiative. 

25. Aug. 2010: Der Bundesrat verschiebt die Beschaffung bis spätestens 2015. Die GSoA zieht ihre Initiative zurück.

30. Nov, 2012: Der Bundesrat entscheidet sich für den schwedischen Saab Gripen.

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