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Der Nationalrat hat genug vom Diktat Frankreichs

Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf erläutert das Abkommen im Nationalrat. Keystone

Der Nationalrat hat sich am Donnerstag deutlich gegen das neue Erbschaftssteuerabkommen mit Frankreich ausgesprochen. Neben den Aspekten, die der Schweiz Nachteile brächten, gab der Rat auch seiner Unzufriedenheit über die zunehmend feindliche Haltung des grossen Nachbarlandes Ausdruck.

Mit 122 zu 53 Stimmen und 11 Enthaltungen fiel der Entscheid klar aus. Das Geschäft kommt noch vor den Ständerat, doch die Chancen sind minim, dass die Senatoren anders entscheiden werden.

Konkret soll das neue Erbschaftssteuerabkommen jenes aus dem Jahr 1953 ersetzen. Doch die neuen Regeln bringen der Schweiz verschiedene Nachteile. Die wichtigste Neuerung: Frankreich könnte auch dann eine Erbschaftssteuer auf das Vermögen einer in der Schweiz verstorbenen Person erheben, wenn diese während mindestens acht Jahren in Frankreich gelebt hatte. Laut bisherigem Abkommen kann lediglich jenes Land, in dem die verstorbene Person wohnhaft war, eine Erbschaft besteuern.

Die Neuerung mag technisch erscheinen. Finanziell kann sie jedoch grosse Folgen haben. In der Schweiz werden Erbschaften von Eltern zu ihren Kindern grundsätzlich nicht besteuert. In Frankreich jedoch beträgt die Steuer je nach Höhe der Erbschaft zwischen 5% und 45%.

Zu viel Konzessionen

Die hohen Steuersätze könnten eine abschreckende Wirkung auf die vermögenden Franzosen haben, die sich in der Schweiz niedergelassen haben und deren Nachkommen in Frankreich leben. Doch auch die Gemeinde der Auslandschweizer in Frankreich ist besorgt.

«Frankreich will seine Auswanderer zur Kasse bitten. Man kann davon ausgehen, dass die Bürger ihr Land auch wegen der hohen Steuern verlassen haben. Aber wir können nicht akzeptieren, dass die 180’000 Schweizer, die in Frankreich leben, mit Füssen getreten werden», sagte SVP-Nationalrat Jean-François Rime.

«Wir haben das Gefühl, dass wir gegenüber Frankreich zu viele Konzessionen eingehen müssen. Die Leute haben genug davon, dass Frankreich von der Schweiz im Steuerbereich immer mehr Konzessionen fordert», sagte Dominique de Buman, Nationalrat der CVP.

«Mit diesem Abkommen verliert die Schweiz viel, gewinnt jedoch nichts. Es lohnt sich, sich zu wehren und zu zeigen, dass das Schweizer Volk das nicht duldet. Wir wollen den nachbarschaftlichen Diktat nicht nachgeben», sagte FDP-Nationalrat Christian Lüscher.

ASO erleichtert

Andere Nationalräte erinnerten daran, dass Frankreich verschiedenen Schweizer Kantonen noch einen Teil der von den Grenzgängern bezahlten Steuern zurückbezahlen muss. So steht es in einem Staatsvertrag von 1983. Doch Frankreich ist mit den Zahlungen im Verzug. Allein dem Kanton Waadt schuldet Paris 80 Millionen Franken.

Doch das ist nicht die einzige Querele rund um die Grenzgänger. Ende November schrieb Frankreichs Finanzminister Pierre Moscovici einen Brief an Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, in dem er sich über den Kanton Waadt wegen der Besteuerung von Grenzgängern beschwerte. In der Anrede schrieb der Minister «Chère Eveline», was den Finanzdirektor des Kantons Waadt, Pascal Broulis, offenbar erboste. In einem Interview qualifizierte er die Intervention als «betrüblich» ab. Auch in der Frage der Krankenkassen der Grenzgänger kam es zu Spannungen.

In der Schweiz erregen die zahlreichen «Frontaliers» aus Frankreich zunehmend den Zorn der Bevölkerung. Vor allem in Genf scheint die Wut weit verbreitet, eilt doch die rechte Bewegung «Mouvement citoyens genevois», die den Fokus ihrer Politik auf die Grenzgänger-Problematik legt, von Erfolg zu Erfolg.

Zufrieden über das Nein der Grossen Kammer äusserte sich die die Auslandschweizer-Organisation (ASO). Ein solches Abkommen hätte sich ungerecht und benachteiligend für die über 180’000 in Frankreich lebenden Schweizer ausgewirkt, hiess es in einer Mitteilung.

Der ablehnende Entscheid des Nationalrates zeige ferner, dass eine Gleichbehandlung von in Frankreich wohnhaften Schweizer Staatsbürgern mit Personen, die ihr Vermögen am französischen Fiskus vorbei in der Schweiz anlegen, abgelehnt werde.

Nur offiziell Freunde

Die Beziehungen zwischen der Schweiz und Frankreich sind seit Jahren spannungsgeladen. Das vor allem, weil Frankreich eines der ersten Länder war, das die Schweiz in Steuerfragen und in Sachen Bankgeheimnis attackierte.

So forderte der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy 2011 am G20-Gipfel in Cannes, die Schweiz auf die Liste der Steuerparadiese zu setzen. Sarkozy ist zwar nicht mehr Staatspräsident, doch die Beziehungen sind seither angespannt, auch wenn sich die beiden Länder in der offiziellen Sprachregelung als «Freunde» bezeichnen.

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