Schweizer Perspektiven in 10 Sprachen

Der Ruck der Mitte nach rechts – auch in der Schweiz

Angst und Abwehr gegen muslimische Einwanderer und den Islam nehmen europaweit zu. Ex-press

In Europa haben Rechtspopulisten Aufwind. Sie schüren die Angst vor muslimischen Migranten, kämpfen gegen den Bau von Moscheen, wollen kriminelle Ausländer abschieben. Laut dem österreichischen Politologen Reinhold Gärtner liegt die Schweiz voll im europäischen Trend.

swissinfo.ch: In der Schweiz wird Ende November über eine Initiative der Schweizerischen Volkspartei (SVP) abgestimmt, die kriminelle Ausländer ausschaffen will. Im letzten Jahr nahm das Stimmvolk die Anti-Minarett-Initiative an. Liegt die Schweiz somit ganz im Trend Europas, wo rechtspopulistische Parteien zur Zeit im Aufwind sind?

Reinhold Gärtner: Das kann man so sagen. Die Schweiz ist ein Beispiel unter vielen in Europa: Auch bei uns gibt’s Initiativen zu einem Bauverbot für Minarette. So wurde die Bauverordnung in Kärnten und Vorarlberg entsprechend geändert. Und in Köln gab es massive Aktionen gegen den Bau einer grossen Moschee.

Und nicht nur in der Schweiz, auch in anderen Ländern wird darüber diskutiert, straffällig gewordene Ausländer abzuschieben.

Betroffen wären auch etwa 350’000 Menschen, die in der Schweiz geboren sind und dort leben, aber nicht Schweizer Staatsbürger sind. In Österreich gibt es 120’000 Leute, die hier geboren, aber nicht eingebürgert sind.

Wie werden wir mit denen umgehen? Wo schickt man die hin? Für sie wäre die Ausschaffung nicht der richtige Weg.

swissinfo.ch: Im November wird in der Schweiz auch über einen Gegenvorschlag von Regierung und Parlament abgestimmt, der ähnliche Ziele hat wie die Ausschaffungs-Initiative der SVP. Konservative Mitteparteien geraten offenbar zunehmend unter Druck von rechts. Was machen die Mitteparteien falsch?

R.G.: Es ist so, dass Mitteparteien tendenziell nach rechts rücken. Ob das in Frankreich mit Sarkozy oder in Österreich mit der ÖVP geschieht: Die Fehlkalkulation dabei ist, dass man glaubt, die Rechten rechts überholen zu können. Das wird nicht funktionieren und hat auch in der Vergangenheit nicht funktioniert.

Jetzt ist die politische Mitte angesprochen: Sie müsste klar sagen, das ist unsere Position, aber wir grenzen uns ab von dieser Art der Agitation und Hetze. Das ist unser Lösungsansatz. So könnte die Mitte wesentlich stärker punkten als mit diesem Ruck nach rechts.

swissinfo.ch: Wo sehen Sie die Gründe für die grosse Popularität rechtspopulistischer Parteien?

R.G.: In jeder Gesellschaft gibt es Probleme, die objektiv vorhanden sind und die subjektiv nicht oder nicht zufriedenstellend gelöst werden oder wurden.

Lange Zeit gab es sehr starre politische Strukturen. Die sind nun aufgebrochen. Wählerinnen und Wähler werden mobiler, ein gewisser Teil spricht jetzt auf diese scheinbar einfachen Lösungen an, die Rechtspopulisten anbieten.

Diese arbeiten sehr viel mit Angst, mit negativer Emotionalisierung. Sie merken, dass man damit Wähler ansprechen kann, vor allem jene, die subjektiv verängstigt sind.

Hinzu kommt, dass viele Angst haben, etwas zu verlieren. Diese Ängste werden geschürt und bringen Erfolg. Wir leben in einer Zeit der Globalisierung. Viele leiden darunter, weil ihr Job in Gefahr ist und sie möglicherweise ihren Wohlstand nicht mehr in dieser Form aufrechterhalten können.

Je nachdem, wohin sich die Wirtschaftskrise entwickelt, könnten diese Verteilkämpfe noch stärker werden und dürften mit ein Grund sein für das Erstarken rechtspopulistischer Parteien.

swissinfo.ch: Und die Muslime sind die Sündenböcke in dieser Zeit grosser Verunsicherung?

R.G.: Das würde ich schon so sehen. Zu allen Zeiten gibt’s Feindbilder und Sündenböcke. Und zurzeit, speziell seit den Anschlägen vom 11. September 2001, sind das eben die Muslime oder der Islam.

Der Islam wird gleichgesetzt mit Kriminalität und Terrorismus, Ausländer mit Türken und Muslimen. Das ist eine ganz grobe Verkürzung: der Islam wird als homogene Einheit gesehen, die er genau so wenig ist wie andere Religionsgemeinschaften.

Tatsache ist, dass der Islam mittlerweile in vielen Ländern Europas Realität ist. In Österreich ist er seit 1912 anerkannt und vermutlich die zweitstärkste Religionsgemeinschaft, relativ gross in Frankreich und Deutschland. Dann gibt es in Europa muslimische Länder wie Kosovo oder Bosnien-Herzegowina.

swissinfo.ch: Das Ausnutzen der Ängste vor einer Islamisierung Europas gehört also zum Erfolgsrezept dieser Parteien. Sind diese Ängste berechtigt?

R.G.: Aus meiner Sicht nicht. Feindbilder sind austauschbar. Jetzt haben wir den Islam. Früher waren es die Juden, in Osteuropa die Roma und Sinti.

Wir können nicht auf Religionsfreiheit pochen und gleichzeitig sagen: Aber bitte ohne Moscheen. Das ist scheinheilig.

Eidgenössische Abstimmungen: Abstimmungsthemen besser verstehen, informiert abstimmen und einfach auf die Ergebnisse und Analysen der Abstimmung zugreifen. Abonnieren Sie unseren Newsletter.

swissinfo.ch: Zur Zeit scheint in Europa eine grossflächige Abwehrfront gegen den Islam im Gang zu sein. Sind diese rechtspopulistischen Parteien länderübergreifend vernetzt?

R.G.: Es gibt immer wieder Treffen, wie vor einigen Tagen in Wien. Und 2007 gab es den Versuch, im europäischen Parlament eine rechtspopulistische Fraktion zu bilden. Nach internen Streitereien löste sich die Fraktion noch im gleichen Jahr wieder auf.

Diese Partien treten untereinander sehr häufig in Konflikt. Nationalismus ist offenbar schwer vereinbar mit Internationalismus.

swissinfo.ch: Wie wichtig sind charismatische Figuren wie Le Pen, Haider selig, Wilders?

R.G.: Bei fast allen diesen Parteien gibt es eine Führungspersönlichkeit, die sehr viel zur Identität dieser Parteien beiträgt. Ohne Jörg Haider wäre es kaum zum Aufstieg der FPÖ gekommen.

Das Gleiche gilt für Christoph Blocher, das Urgestein der SVP, oder für Jean-Marie Le Pen in Frankreich.

swissinfo.ch: Können rechtspopulistische Parteien in Zukunft weiter zulegen, oder ist ihr Potenzial langsam ausgeschöpft?

R.G.: Das ist schwer zu sagen. Wenn wir die Erfolgreicheren anschauen, wie die SVP mit knapp 29% bei den letzten Wahlen, scheint eine Steigerung möglich.

Grenzenlos nach oben wird es aber nicht gehen, weil es auch so etwas wie andere politische Positionen und Heterogenität in unseren Gesellschaften gibt. Irgendwann wird der Zenit erreicht sein, ob das bei 30, 35 oder 25% ist, traue ich mich nicht zu sagen.

swissinfo.ch: Ist es für eine Demokratie besser, wenn die rechtspopulistischen Parteien in die Regierung eingebunden sind, wie z.B. in der Schweiz oder Italien, oder wenn sie in der Opposition bleiben?

R.G.: Die Schweiz hat mit der Zauberformel eine andere politische Kultur oder Tradition. In Österreich ist die FPÖ in der Regierung gescheitert. In Italien sitzt die Lega Nord nach wie vor drinnen. Es gibt kein Rezept.

Für rechtspopulistische Parteien ist es aber schwierig, ihre Programme umzusetzen, wenn sie Regierungsverantwortung tragen. Denn diese einfachen Lösungen, die sie predigen, gibt es nicht.

Belgien
Neu-Flämische Allianz (N-VA) von Bart de Wever: Mit 17,4% bei den Parlamentswahlen 2010 stärkste Partei.

Dänemark
Dänische Volkspartei (DF) von Pia Kjaersgaard: 13,9% bei Parlamentswahlen 2007.

Deutschland
Den Sprung auf die nationale Ebene hat bisher noch keine Rechtsaussenpartei geschafft. In der Christlich-Sozialen Union (CSU) sind einige Rechtspopulisten engagiert.

Frankreich
Front National (FN) von Jean-Marie Le Pen: 4,3% bei Parlamentswahlen 2007.
Auch Sarkozys Regierungspartei UMP gehören Rechtspopulisten an.

Italien
Lega Nord von Umberto Bossi: 8,3% bei Parlamentswahlen 2008
Sitzt in der Regierung. Berlusconis Regierungspartei Popolo della Libertà gehören auch Rechtspopulisten an.

Niederlande
Partei für die Freiheit (PVV) von Geert Wilders: 15,5% bei Parlamentswahlen 2010.

Österreich
Freiheitliche Partei (FPÖ) von Heinz-Christian Strache: 17,5% bei Parlamentswahlen 2008.

Schweden
Schweden-Demokraten (SD) von Jimmie Akesson: 5,7% bei Parlamentswahlen 2010.

Schweiz
Schweizerische Volkspartei (SVP) von Toni Brunner: 28,9% bei Parlamentswahlen 2007. Wählerstärkste Partei.
An Regierung beteiligt.
Lega dei Ticinesi von Giuliano Bignaca: Mit 1 Person im Nationalrat vertreten.
Mouvement citoyens genevois (MCG) von Eric Stauffer: Nur regional verankert.

Ungarn
Jobbik (Bewegung für besseres Ungarn) von Gabor Vona: 16,7% bei Parlamentswahlen 2010.

Reinhold Gärtner ist Professor am Institut für Politikwissenschaft an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck.

Zu seinen Forschungs-Schwerpunkten gehören Rechtsextremismus, Rassismus sowie die Migrations-Politik.

Meistgelesen
Swiss Abroad

Meistdiskutiert

In Übereinstimmung mit den JTI-Standards

Mehr: JTI-Zertifizierung von SWI swissinfo.ch

Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!

Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft

SWI swissinfo.ch - Zweigniederlassung der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft