Diaspora will Kosovo helfen, kann aber nicht
Der politische Wandel im Heimatland weckt grosse Hoffnungen bei Kosovarinnen und Kosovaren in der Schweiz. Viele wollen helfen, aber stossen auf Hürden.
Zahlreiche der rund 200’000 Kosovarinnen und Kosovaren in der SchweizExterner Link nehmen aktiv am politischen Leben in ihrem Heimatland teil. Wie das Online-Magazin «lecanton27.ch» berichtete, reisten für die Parlamentswahl im vergangenen Februar über 10’000 in den Balkanstaat.
Die linke Partei Vetëvendosje («Selbstbestimmung») gewann – auch dank der Diaspora. Noch nie hatten so viele im Ausland lebende Kosovarinnen und Kosovaren an einer Abstimmung teilgenommen, erklärte das National Democratic Institute in den USA, welches die Wahl als frei und fair einstufteExterner Link.
Seit April hat Kosovo eine neue Präsidentin: Die 38-Jährige Vjosa Osmani wurde vom Parlament in Pristina auf Vorschlag der neuen Regierungspartei zum Staatsoberhaupt gewählt. Ex-Präsident Hashim Thaci musste das Amt im November 2020 räumen, nachdem er wegen Kriegsverbrechen angeklagt worden war.
Osmani ist eine Reformerin. Die ausgebildete Juristin will zusammen mit ihrer Partei das patriarchalisch geprägte Land aufrütteln und umgestalten. Die kosovarischen Gemeinschaften im Ausland beobachten die Reformbemühungen genau. Sie leisten nicht nur politische, sondern auch finanzielle Hilfe.
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Was würde Kosovo ohne die Diaspora machen?
Die Überweisungen aus Deutschland, der Schweiz und den skandinavischen Ländern machen rund zwölf Prozent des kosovarischen Brutto-Inlandprodukts aus. Über ein Fünftel aller Beiträge stammen gemäss Angaben der Zentralbank Kosovos aus der Schweiz. Vor der Covid-Pandemie reisten jährlich Tausende in ihre Heimat, um Angehörige zu besuchen.
Der aktuelle politische Wandel hat bei vielen Diaspora-Gemeinschaften die Hoffnung geweckt, dass sich die Lage in einem der ärmsten Länder Europas endlich bessern wird. Viele wollen helfen. So auch in der Schweiz. Doch sie stossen auf Probleme, die vor allem gesetzlicher Natur sind.
Konkrete Lösungen gefordert
Diese Hürden wurden im Juni auf einer Online-Konferenz der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz (SP) deutlich. Die Idee zur Tagung kam von der Gruppe «SP Migrant:innen»Externer Link, die viele kosovarische Mitglieder zählt.
Die SP-Gruppierung, die über ein eigenes Sekretariat und Budget verfügt, wurde vor zehn Jahren aufgebaut von Peter Hug Sekretär der SP International, und Osman Osmani, einem ehemaligen Schaffhauser Stadtrat. Osmani ist heute Präsident des Vereins ProintegraExterner Link, einem Schweizer Zentrum für Albanischsprachige.
Ein Problem sind die Geldtransfers. Für Schweizer Kosovarinnen und Kosovaren ist es teuer, Geld nach Hause zu schicken. Doch Hilfe ist in Sicht: Die Schweizer Regierung hat kürzlich ein Programm lanciert, das die Kosten für Überweisungen nach Kosovo senken und die Zahl der Transfers erhöhen soll. Das Vorhaben ist Teil des «Remittances and Payment Program» (RPP), das vom Schweizer Staatssekretariat für Wirtschaft Seco finanziert und von der Weltbank umgesetzt wird.
60 Prozent sind arbeitslos
An der Tagung wurde aber klar, dass kosovarische Bürgerinnen und Bürger im Ausland mehr bieten können, als ihren Angehörigen Geld zu überweisen. Die Diaspora könne helfen, die Wirtschaft im Land anzukurbeln, sagt Osman Osmani.
Das Land hat die Hilfe nötig. Laut einer offiziellen Erhebung von 2019Externer Link sind in der Balkan-Republik 60 Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15-64) arbeitslos. Fast die Hälfte der 15- bis 24-Jährigen ist ohne Stelle.
Junge Frauen (62,9%) trifft es dabei viel härter als junge Männer (42,9%). Osmani fordert von der neuen Regierung, einen rechtlichen und institutionellen Rahmen zu schaffen, damit die Diaspora wirksame Hilfe leisten kann.
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Kosovo auf die Beine helfen
An der SP-Tagung nahm auch Liza Gashi teil, die stellvertretende Aussenministerin von Kosovo. Sie sagte, dass ihre Regierung das Problem ernstnehme und sich um Lösungen bemühe. Als Mitbegründerin der Diaspora-Organisation GerminExterner Link weiss sie um das Potenzial, das in den Gemeinschaften im Ausland steckt.
SP-International-Sekretär Hug will die Kooperation zwischen Heimatland und Diaspora besser abstimmen und festlegen: «Der Beitrag der Diaspora muss im schweizerischen Kooperationsprogramm mit Kosovo 2022–2025 verankert werden», fordert er.
Die Deza, der entwicklungspolitische Arm der Schweizer Regierung, erklärte in einer Stellungnahme: «Es ist wichtig, vor allem lokale Akteure aus der Zivilgesellschaft sowie staatliche Stellen einzubeziehen, um nachhaltige Lösungen zu erreichen.» Wichtig ist, gleiche Rahmenbedingungen für alle Akteure zu schaffen – auch für die verschiedenen Diaspora-Organisationen.»
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Auch der Schweizer Rechtsanwalt Lirim Begzati, Menschenrechts-Anwalt im Kanton Neuenburg, sprach an der Online-Tagung. Er sagte, dass es an einer kohärenten Zusammenarbeit mangle und ein rechtlicher Rahmen notwendig sei. Begzati befürwortet die Schaffung von Kommissionen und Arbeitsgruppen, welche die echten Bedürfnisse und Erwartungen der Diaspora eruieren sollen.
Knowhow teilen
Osman Osmani ist der Meinung, dass die Diaspora viele nützliche Informationen weitergeben könnte: «Wir lernen in der Schweiz so viel. Etwa, wie die Verwaltung funktioniert, oder das Bildungswesen, das Rechtssystem, die öffentlichen Dienste und die Politik. Das ist Knowhow, das wir gerne an unser Herkunftsland weitergeben möchten», sagt er.
Osmani fügt hinzu, dass die Schweizer Kosovarinnen und Kosovaren in den Startlöchern stehen: «Die transnationalen Fachkräfte sind bereit und motiviert. Sie sind kostengünstig, da sie keine sprachliche oder kulturelle Einführung oder Vermittlung benötigen.» Es brauche generationenübergreifende Lösungen.
Die Gruppe «SP Migrant:innen» strebt zudem nach einem Kooperationsabkommen zwischen der SP und der Partei Vetëvendosje, um die Stimme der Diaspora zu stärken. Die Partei setzt sich für die Entsendung eines Sozial- und Wirtschaftsattachés in die Schweiz ein, der als Ansprechpartner für hilfsbereite Kosovarinnen und Kosovaren fungieren soll.
Schwierige Verhältnisse
Der erdrutschartige Sieg der Linken in Kosovo wurde als Antwort auf den strauchelnden Fortschritt des Landes nach dem Krieg gewertet. Einem offiziellen Dokument der Schweiz zufolge ist die Korruption im Kosovo nach wie vor weit verbreitet. Die Gerichte gehen zu nachsichtig mit Tätern um – Vetternwirtschaft wird auf allen Ebenen der Gesellschaft geduldet. Viele Kosovarinnen und Kosovaren haben das Vertrauen ins System inzwischen verloren.
Die Schweizer Regierung setzt sich im Rahmen ihres Projekts «Kosovo’s Support to Anti-Corruption Efforts» (SAEK) für eine Gesetzgebung ein, welche die Fähigkeit des Kosovo zur Korruptionsbekämpfung verbessert. Ziel ist, die Kapazitäten im Bereich der Rechtsstaatlichkeit zu erhöhen, den politischen Rahmen und die Gesetze zu verbessern und die weit verbreitete Nachfrage nach Rechenschaftspflicht durch bürgerschaftliches Engagement zu fördern. Das Projekt läuft bis Juni 2024.
Jurist Begzati sagt jedoch, dass es schwierig sei, Praktiken abzuschaffen, die seit zwanzig Jahren bestehen. Er hofft, dass von der Diaspora unterstützte Bildungsprogramme dazu beitragen können, jungen Menschen eine bessere Vorstellung davon zu vermitteln, wie Kosovos Gesellschaft wachsen kann – ohne Korruption und ohne Ausgrenzung von Frauen und Minderheiten.
Auch 22 Jahre nach dem Krieg mit Serbien ist die NATO in Kosovo stationiert. Die Schweiz ist Teil der Friedenstruppe KFOR und stellt 195 Mitarbeitende für die SwisscoyExterner Link.
Die Schweiz war 2008 eines von 116 Ländern, welche die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannten. Heute ist sie einer der wichtigsten Partner- und Geberstaaten: Von 2017-2020 stellte sie 16,6 Millionen Franken für die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen zur Verfügung.
2019 erhielt Kosovo gemäss Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) insgesamt 315,92 Millionen Franken an internationaler Entwicklungshilfe.
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Warum die Schweiz ausländische Arbeitskräfte braucht
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
(Übertragung aus dem Englischen: Christoph Kummer)
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