Didier Burkhalter – Bundespräsident im Schicksalsjahr
Lange Zeit galt er als stiller Schaffer. In den vergangenen Monaten hat seine Politik an Konturen gewonnen. 2014 ist Aussenminister Didier Burkhalter Bundespräsident. In den Augen von Schweizer Korrespondenten ausländischer Medien macht er einen guten, aber wenig öffentlichkeitswirksamen Job.
Er habe eine «Abneigung gegen Politshows» sagte er, kurz bevor er 2009 in den Bundesrat gewählt wurde und zuerst das Innenministerium übernahm. Seit knapp zwei Jahren ist Didier Burkhalter nun Aussenminister.
In dieser Zeit hat er fast alle seiner 27 Amtskollegen der EU-Länder getroffen. Als erster Schweizer Aussenminister besuchte Didier Burkhalter im Herbst 2013 Australien, das 2014 Vorsitz der G20 innehat. Das Ziel, dass Australien die Schweiz zum G20-Ministertreffen einlädt, hat er nicht erreicht. Australien hat der Schweiz am 1. Dezember einen Korb erteilt.
Die Iran-Konferenz in Genf endete mit einem Durchbruch im Atom-Streit. Damit war sie eine der erfolgreichsten Konferenzen der vergangenen Jahre, die dank der Vermittlung des Schweizer Aussenministeriums zustande gekommen ist.
Die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU stecken seit Jahren in einer Sackgasse. Burkhalter hat sich von der bisherigen Verzögerungstaktik verabschiedet und zeigt sich – nach anfänglichen Startschwierigkeiten – entschlossen, das Problem zu lösen.
Die Bundesversammlung hat am Mittwoch
Didier Burkhalter
zum neuen Bundespräsidenten gewählt. Der 53-jährige Vorsteher des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erhielt 183 von 202 gültigen Stimmen.
Der Neuenburger folgt im Amt auf Verteidigungs- und Sportminister Ueli Maurer, der 2012 mit 148 Stimmen gewählt wurde.
Die Bernerin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements (EJPD), wurde mit 180 von 205 gültigen Stimmen zur Vizepräsidentin gewählt.
Dank TV und YouTube um die ganze Welt
Die Aufzählung ist längst nicht vollständig, aber sie zeigt: Burkhalters Leistungsausweis kann dem seiner Vorgängerin Micheline Calmy-Rey mühelos das Wasser reichen. Dennoch nimmt die Öffentlichkeit ihn und seine Aussenpolitik weniger wahr. Das ist eine direkte Folge seiner diskreten und sachlichen Auftritte.
Calmy-Rey hingegen überschritt die innerkoreanische Grenze, nur symbolisch zwar, aber mit roten Schuhen und begleitet von TV-Kameras. Sie trug ein Kopftuch, als sie zusammen mit Irans Präsidenten Ahmadinejad für einen regionalen Schweizer Energieversorger einen Gasliefervertrag unterzeichnete. Zuweilen ging sie abends ins Fernsehen Edith Piaf-Lieder singen. Die Bilder all dieser Events gingen um die Welt.
Nur oberster Elite bekannt
«In Deutschland, das unser wichtigster Handelspartner ist, kennt ausser der obersten Elite keiner den Namen Burkhalter. Calmy-Rey war bekannter», sagt Peer Teuwsen, Leiter der Schweizer Redaktion der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit, gegenüber swissinfo.ch.
«Ich glaube, dass auch Leute im Ausland, die sich nie an einen Schweizer Aussenminister erinnern würden, eine Idee gehabt haben von Calmy Rey», sagt Haig Simonian, ehemaliger Schweizer-Korrespondent der englischsprachigen Wirtschaftszeitung Financial Times.
Burkhalter hingegen sei in Grossbritannien überhaupt nicht bekannt. Er kenne ihn persönlich nicht, sagt Simonian. Aus der Distanz betrachtet sei er «anständig, beherrscht Französisch und Deutsch, ist dezent, liberal und bodenständig, aber anonym und farblos. Aber: Es gibt Leute aus seinem näheren Umfeld, die sagen, das sei vielleicht ein erster Eindruck, aber der Mann sei umgänglich, lustig und liebenswürdig. Wenn man ihn besser kenne, sei er gar nicht so farblos und er mache einen guten Job».
Didier Burkhalter wurde 1960 geboren und wuchs in Auvernier am Neuenburgersee auf. An der Universität Neuenburg studierte er Wirtschaftswissenschaften, die er mit dem Lizenziat abschloss.
Danach war er in verschiedenen Funktionen an der Universität und in der Privatwirtschaft tätig. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Seit 1985 ist er Mitglied der Freisinnig-Demokratischen Partei FDP. 1991 wurde er in die Neuenburger Stadtregierung gewählt, der er bis 2005 angehörte.
2003 wurde er in den Nationalrat gewählt. 2007 schaffte er den Wechsel in den Ständerat.
Am 16. September 2009 wählte ihn die Vereinigte Bundesversammlung in den Bundesrat. 2010 und 2011 leitete er das Eidgenössische Departement des Innern EDI. Seit dem 1. Januar 2012 steht er dem Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA vor.
2014 ist Burkhalter Bundespräsident und gleichzeitig auch Präsident der OSZE.
(Quelle: EDA)
Primat Europa ist richtig
«Ich nehme Didier Burkhalter viel positiver wahr, als seine Vorgängerin. Als Persönlichkeit ist er sehr viel reifer und ruhiger. Calmy-Rey war ein wenig aufgeregt und nervenaufreibend. Er macht eine bessere Arbeit», sagt Laurent Mossu, Schweizer-Korrespondent von Radio France: «Er hat ein kompliziertes Dossier, vor allem die Beziehungen mit der EU sind schwierig. Mit seiner Art, an die Themen heranzugehen, kann er sehr viel zur Beruhigung beitragen. Das gilt auch für die Beziehungen mit Frankreich, denn auch hier gibt es viele Schwierigkeiten.»
«Als er in den Bundesrat gewählt wurde, verkörperte er für mich eine grosse Hoffnung. Ich hatte den Eindruck, das sei jetzt eine Figur. Später hat er mich enttäuscht. Ich hätte erwartet, dass er als Aussenminister auch öffentlich sagt, was er mit dem Land vor hat. Das hat er nicht gemacht», kritisiert Peer Teuwsen und räumt ein: «In den vergangenen Monaten hat sich das geändert. So wie er die institutionellen Fragen mit der EU angegangen ist, hat er ein erkennbares Profil gezeigt. Für die Interessen der Schweiz ist es sicher richtig, dass er das Primat auf Europa legt.»
Unauffällig und professionell
Kurz nach Amtsübernahme legte Burkhalter die Schwerpunkte seiner Aussenpolitik dar und erklärte, er wolle den Fokus stärker auf die Beziehungen zu den Nachbarländern und zur EU richten. In der Zwischenzeit hat Burkhalter Bewegung in die EU-Frage gebracht.
Er hat auf den Druck der EU und ihrer Forderung nach der Übernahme des sich entwickelnden EU-Rechts reagiert. Noch 2013 wird die Landesregierung die Leitplanken für neue entsprechende Verhandlungen festlegen. Kernpunkt ist, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg im Streitfall bei der Auslegung des bilateralen Rechts Stellung nehmen soll. Ihre Souveränität will die Schweiz als nicht EU-Mitglied aber nicht aufgeben.
«Das macht er gut. Es ist wichtig, in diesem Bereich unauffällig, aber professionell zu arbeiten», sagt Haig Simonian. «Die Schweiz hat keine Wahl. Brüssel sagt klar, jetzt brauche es andere Art von Beziehungen. Das EU-Recht verändert sich so schnell, dass die EU nicht jede Minute mit der Schweiz verhandeln kann.»
Burkhalter habe das erkannt, «und ich glaube, das was er vorgeschlagen hat, ist eine ziemlich gute Lösung für beide Seiten», so Simonian: «Ich hoffe, dass die Schweiz sie akzeptieren wird.»
Der Bundespräsident leitet die Bundesratssitzungen und nimmt im In- und im Ausland Repräsentationsaufgaben wahr. Gleichzeitig führt er sein Departement und gilt als «Primus inter Pares», als Erster unter Gleichgestellten, ist also den anderen Bundesräten nicht übergeordnet.
Das Amt ist auf ein Jahr beschränkt. Für die Wahl gilt das Anciennitäts-Prinzip unter den Regierungsmitgliedern.
Für die Aussenpolitik ist laut Verfassung weder der Aussenminister, noch der Bundespräsident, sondern der gesamte Bundesrat zuständig.
Personenfreizügigkeit – ein Grundrecht
Die Akzeptanz ist der springende Punkt. Wie auch immer die institutionellen Probleme gelöst werden, kann es sein, dass die Lösung noch vom Volk abgesegnet werden muss. Der Widerstand ist programmiert. Bereits im Februar steht mit der Abstimmung über die Masseneinwanderungs-Initiative der rechtskonservativen SVP ein Entscheid an, der eines der EU-Grundrechte, die Personenfreizügigkeit, in Frage stellen könnte. Dasselbe gilt auch für die voraussichtlich im Herbst zur Abstimmung anstehende Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf das EU-Neumitglied Kroatien.
«Das nächste Jahr ist für die Schweiz ein Schicksalsjahr. Sie muss definitiv und endlich entscheiden, wie sie sich gegenüber Europa verhält, und da spielt Herr Burkhalter eine entscheidende Rolle», sagt Peer Teuwsen.
Eine entscheidende Rolle, das heisst: Der Bundespräsident muss 2014 nicht lediglich auf dem internationalen Parkett die Interessen der Schweiz vertreten und diplomatisch aktiv sein, er muss auch das eigene Volk überzeugen, damit dieses den europapolitischen Kurs der Regierung gutheisst. Das erfordert nicht nur Präsenz auf allen möglichen öffentlichen Kanälen, sondern auch einen gewissen Hang zur Hemdsärmeligkeit und zur Politshow.
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