Didier Burkhalter: Die Kunst, China nicht zu verärgern
Bundesrat Didier Burkhalter besucht zum ersten Mal China. Dabei geht es um eine vertiefte Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie. Burkhalter äusserte sich auch vorsichtig zur Verhaftung des Künstlers und Regimekritikers Ai Weiwei Anfang April.
«Ai wer? Weiwei? Wer ist das? Noch nie gehört!» Die Studenten der Universität für Auslandstudien in Peking, die nichts über den im Ausland so bekannten oppositionellen chinesischen Künstler wissen, sind zahlreich. Nur knapp die Hälfte von ihnen, die swissinfo.ch getroffen hat, wissen einigermassen, um wen es sich handelt, einige haben von seinen Missgeschicken gehört. «Ihr, seid es, die ausländischen Medien, die Schlüsse ziehen, ohne irgendwelche Tatsachen zu kennen, die ihm vorgeworfen werden», erklärt zum Beispiel eine junge Frau, die internationale Beziehungen studiert.
Ein junges Paar – sie studiert Englisch, er Arabisch – äussert sich dagegen ganz anders: «Wir bewundern den Mut von Ai Weiwei enorm, was ihm zustösst ist schlimm. Er kämpft für Gerechtigkeit, und wir, wir träumen von Meinungs- und Informationsfreiheit. Glücklicherweise protestiert der Westen. Wir sind zuversichtlich, trotz der gegenwärtigen Repression: Die Zukunft gehört uns, uns Jungen, es kann nur besser werden.»
Die Welt ist beunruhigt, die Schweiz diskret
Ai Weiwei wurde am 3. April auf dem Flughafen von Peking von der Polizei festgenommen und ist seither verschwunden. Er wollte nach Hong Kong fliegen, wo er den Schweizer Kunstsammler und früheren Botschafter Berns in Peking, Ueli Sigg, treffen sollte. Seit seiner Verhaftung gibt es absolut keine Informationen über Ort und Bedingungen der Haft Weiweis, der zusammen mit den Schweizer Architekten Herzog und De Meuron das «Vogelnest», das Olympiastadion in Peking, erschaffen hat.
Die ganze Welt ist beunruhigt. Die USA und die Europäische Union (EU) kritisieren die Verhaftung als willkürlich, während sich die Schweiz durch ihre Diskretion von den anderen unterscheidet. Auf der Website des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) findet der Fall Weiwei keine Erwähnung. Allerdings hat das EDA am 7. April gegenüber den chinesischen Behörden seine tiefe Besorgnis über die Verhaftung Weiweis ausgedrückt.
In dieser gespannten Lage besucht Innenminister Didier Burkhalter zum ersten Mal China, um «die wissenschaftliche und technologische Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern zu intensivieren». Das ist wichtig, weil die Zukunft der Welt über China läuft. Didier Burkhalter: «Die Schweizer Regierung ist überzeugt, dass China ein bedeutender Partner ist in Bereichen, die uns sehr wichtig sind. Vor allem Wissenschaft und Technologie, aber auch Wirtschaft.»
Von der Bedeutung der grossen Freiheiten
Soll man von den Menschenrechten, von Weiwei sprechen, mit dem Risiko, China zu verärgern? Der Schweizer Innenminister sagt dazu, die Schweiz könne helfen, «die Bedeutung der grossen Freiheiten verständlich zu machen». Die Schweiz gehöre im Bereich der Wissenschaft weltweit zu den Spitzenreitern. «Zwischen China und der Schweiz gibt es keine Grössenunterschiede im Bereich der Wissenschaft. Das erlaubt uns einen Dialog in allen Bereichen.» Die Schweizer Position könne vor allem im kulturellen Dialog geäussert werden.
A propos Kultur: Dieser begegnet Bundesrat Burkhalter während seines China-Besuchs oft. Zum Beispiel bei der Eröffnung der Wissenschaftsbibliothek der Universität Tsinghua in Peking, die vom Schweizer Architekten Mario Botta errichtet wurde – sein erstes Werk in China.
Der bei der Einweihung anwesende Tessiner Architekt erklärte sich «solidarisch mit dem grossen Künstler Ai Weiwei», dessen Mut er lobte. «Alle Stimmen, welche die Freiheit verlangen, sind willkommen», sagte er. Botta verglich das Engagement des festgenommenen chinesischen Künstlers mit jenem der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt und Max Frisch, «die der Schweiz zur Grösse verholfen haben». Und Botta weiter: «Mit der Globalisierung werden diese Freiheiten, die für uns derart wichtig sind, siegen.»
Der Schatten von Ai Weiwei
Gleichentags erklärte Didier Burkhalter, dass in China «nicht unbedingt genügend Freiheit existiert». Dies sagt er bei einem Besuch einer Pekinger Galerie, die sich ganz in der Nähe des Ateliers von Ai Weiwei befindet. Der Innenminister wohnte dort der Vernissage der Ausstellung ReGeneration 2 bei, produziert vom Musée de photographie de l’Elysée. Dessen Direktor Sam Stourzé sprach dabei vom «Schatten Ai Weiweis, der über das ganze von ihm geprägte Quartier gleitet», gleichzeitig aber auch von «der Freiheit, 80 Fotos aus allen künstlerischen Richtungen auszustellen».
Die Formulierung «Meinungsfreiheit» war in der Ansprache Didier Burkhalters an der Vernissage enthalten. Später sagte er im Zusammenhang mit diesem Künstler-Quartier vor einem hauptsächlich nicht-chinesischen Publikum: «Ich habe mir so viel Öffnung und Ausdrucksweise nicht vorgestellt, aber ich weiss, dass viele Dinge in diesem Land schwierig sind. Und man muss zugeben, dass noch viele Fortschritte gemacht werden müssen.»
Und schliesslich äusserte der Innenminister «die Besorgnis der Schweizer Bevölkerung und der Schweizer Behörden» nach der Verhaftung von Ai Weiwei und teilte dies auch offiziell Staatsrätin Liu Yandong mit. Sie ist Mitglied des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas und gehört somit zur Spitzenhierarchie des Landes.
«Dieser Künstler wird in der Schweiz zu zwei Ausstellungen erwartet. Er hat Verbindungen zu unserem Land. Man ist beunruhigt über seine Festnahme», erklärte der Bundesrat Liu Yandong. Die hohe Parteifunktionärin habe «ausführlich geantwortet, im strikten Rahmen des Dialogs zwischen Behörden», verlautete danach. Mehr darüber wird man wohl nie erfahren.
Erfolg. Didier Burkhalter bezeichnete seinen Besuch in China als «Erfolg». Dieser habe «eine Verstärkung der wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit im Interesse der Schweiz» gebracht.
Absichtserklärungen. Der Schweizer Innenminister führte Gespräche mit chinesischen Regierungsmitgliedern: dem Minister für Bildung und jenem für Wissenschaft und Technologie sowie dem Vizeminister für Gesundheit. Es wurden zwei Absichtserklärungen verabschiedet zur Intensivierung der wissenschaftlichen und technologischen Zusammenarbeit sowie zur Einrichtung einer medizinischen Partnerschaft zwischen Schweizer Kantonen und chinesischen Städten.
Universitäten. Im Bereich Bildung wollen die Schweiz und China «die Unterzeichnung eines künftigen Abkommens über Ausbildung» diskutieren, um damit den universitären Austausch zu ermutigen.
Wettbewerbe. Die Wissenschaftsbibliothek der Universität Tsinghua in Peking ist das erste Werk des Tessiner Architekten in China, aber nicht das letzte: Mario Botta gewann den Wettbewerb für den Bau eines Museums in Tsinghua, der jedoch nicht realisiert werden konnte. An dessen Stelle wurde Botta mit dem Bau der Bibliothek beauftragt.
«Aber heute morgen hat mir der Vizerektor der Universität mitgeteilt, dass das Museum wahrscheinlich doch gebaut werden kann», sagte Marion Botta, der sich über das neue Mandat freut, das er logischerweise erhalten wird.
Hotel. Im weiteren steht ein von Botta entworfenes Grosshotel in Shanghai kurz vor Bauabschluss. Ferner wird ein anderes Botta-Projekt in Hangzhou geboren.
(Übertragung aus dem Französischen: Jean-Michel Berthoud)
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