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«E-Voting ist Teil unserer strategischen Missionen»

Die Post will bei der Weiterentwicklung der elektronischen Stimmabgabe in der Schweiz eine wichtige Rolle spielen. Marcel Bieri

Die Post will im nächsten Jahr in Zusammenarbeit mit dem Kanton Neuenburg eine Plattform für die elektronische Stimmabgabe lancieren. Sie plant zudem, rasch weitere Kantone zu überzeugen, ihr System zu nutzen, das potentiell allen Stimmberechtigten ermöglichen soll, via Internet abzustimmen, wie Claudia Pletscher, Leiterin für Entwicklung und Innovation, erklärt.

swissinfo.ch: Wieso steigt die Post in den E-Voting-Markt ein?

Claudia Pletscher: Mit den 19 Millionen Briefen, die wir jedes Jahr im Rahmen von Abstimmungen und Wahlen befördern, sind wir in diesem Bereich schon heute der bedeutendste Partner der Kantone und wollen das auch in Zukunft bleiben. Das E-Voting, die elektronische Stimmabgabe, reiht sich ein in die Transformation unseres Kerngeschäfts, das sich von der physischen immer mehr auf die digitale Ebene verschiebt. Das Gesamtvolumen der per Post versandten Briefe nimmt jedes Jahr um ein bis zwei Prozent ab.

Die Post ist schon heute ein sehr digitalisiertes Unternehmen. Die Übermittlung vertraulicher Daten gehört zu unseren Kerngeschäften. Daher haben wir alle Karten in der Hand, um erfolgreich zu sein. Auch gehen wir davon aus, dass die elektronische und briefliche Stimmabgabe noch viele Jahre parallel existieren werden.

swissinfo.ch: Mit seinem Entscheid, dem Konsortium von neun Kantonen, die sich dem E-Voting-Projekt des Kantons Zürich angeschlossen hatten, die Bewilligung zu verweigern, hat der Bundesrat der Post unter die Arme gegriffen.

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C.P.: Unser Zeitplan steht nicht im Zusammenhang mit diesem Entscheid des Bundesrates. Wir sind bereits seit 2014 mit unserem spanischen Partner Scytl im Gespräch. Anfang Jahr begannen wir, unsere Plattform zu entwickeln. Dann folgte die Partnerschaft mit dem Kanton Neuenburg, mit dem Ziel, 2016 erste Tests durchzuführen. Der Moment, diese Zusammenarbeit bekannt zu geben, war jetzt ideal – unabhängig von äusseren Umständen. 

swissinfo.ch: Haben ausser Neuenburg auch andere Kantone Interesse für Ihre E-Voting-Plattform gezeigt?

C.P.: Ich kann mich nicht zu Diskussionen äussern, die mit anderen Kunden im Gange sind. Ich kann Ihnen aber garantieren, dass das Interesse gross ist. Ich bin überzeugt, dass wir mit unserer Lösung in den kommenden Jahren auch andere Kantone anziehen werden können.

swissinfo.ch: Bisher wurden in der Schweiz bereits drei Systeme getestet. Ist es wirklich sinnvoll, ein viertes System zu entwickeln?

C.P.: Wir haben ein System der zweiten Generation konzipiert, das unserer Meinung nach zu 100% den Sicherheitsanforderungen der Bundeskanzlei entspricht, um allen Stimmberechtigten, in der Schweiz und im Ausland, zu ermöglichen, per Internet an Wahlen und Abstimmungen teilzunehmen. Das bedeutet, dass sowohl Wählerinnen und Wähler als auch die Wahlbehörden jederzeit überprüfen können, ob die Stimmabgabe registriert und korrekt erfasst wurde. Das ist eine grosse Neuheit.

Die Plattform wird vollständig von der Post betrieben werden, in ihren Hochsicherheits-Rechenzentren in der Schweiz. Sämtliche Daten werden vertraulich behandelt werden. Die Integration in die Informatik-Systeme der Kantone wird zudem sehr einfach erfolgen.

swissinfo.ch: Wie antworten Sie auf Vorwürfe, die Post wolle auf Kosten der Volksrechte Geld machen?

Quellcode

Der Quellcode ist in gewissem Sinne das «Rezept» zur Herstellung eines Informatik-Programms, und zwar in Form der Anweisungen, die beim Programmieren in den Computer eingegeben werden. Ein offener Quellcode – oder Open-Source-Code – ermöglicht jedem und jeder, die Charakteristiken eines Programms zu verifizieren, oder zum Beispiel zu überprüfen, ob Hintertüren eingebaut wurden, um unerlaubterweise an Daten heranzukommen. In einem Open-Source-System kann die Programmierer-Gemeinschaft bei der Verbesserung des Code mitmachen. Sicherheitsprobleme werden so oft rascher erkannt. 

C.P.: Auch heute transportiert die Post das Stimm- und Wahlmaterial nicht kostenlos. Die Entwicklung der E-Post und damit auch von E-Voting gehören zu unseren strategischen Missionen. Die Post erwirtschaftet 86% ihrer Einnahmen im freien Wettbewerb und hat das Recht, ihre Ressourcen dort zu investieren, wo sie es für richtig hält. Das gehört zum Mandat, das der Bundesrat der Post erteilt hat. Wir haben daher absolut einen Platz in diesem Markt.

swissinfo.ch: Wieso hat sich die Post für die Entwicklung des Projekts an eine Informatikfirma aus dem Ausland gewandt?

C.P.: Scytl ist seit 15 Jahren auf dem Markt und das weltweit führende Unternehmen im Bereich der digitalen Stimmabgabe. Scytls Spezialgebiet ist die Kryptographie (Verschlüsselung). Scytl kann daher die hohen Anforderungen erfüllen, die wir uns gesetzt haben. Die Post ist jedoch nicht einfach ein simpler Kunde von Scytl: Wir besitzen die Rechte am geistigem Eigentum bei der E-Voting-Plattform, die wir gemeinsam entwickeln.

swissinfo.ch: Besteht nicht dennoch ein Risiko, dass das Stimmgeheimnis der Schweizer und Schweizerinnen in die Hände eines Nachrichtendienstes wie der amerikanischen NSA gelangt?

C.P.: In dem Fall dürfte man überhaupt kein Informatik-System nutzen, das im Ausland entwickelt wurde. Und das ist nicht realistisch. Um es deutlich zu sagen: Weder die Post noch Scytl haben Zugang zu den Abstimmungs- oder Wahldaten, die zudem anonymisiert sind. Der Schlüssel zum Öffnen der elektronischen Urnen liegt allein bei den Kantonen.

swissinfo.ch: Wäre die Post bereit, den Quellcode ihres Systems öffentlich zugänglich zu machen, wie das der Kanton Genf nächstens tun will?

C.P.: Ja, wir haben nichts zu verbergen. Ich kann Ihnen schon heute sagen, dass wir den Quellcode unserer Plattform öffentlich machen werden, wenn wir im nächsten Jahr mit dem Kanton Neuenburg die ersten E-Voting-Tests durchführen werden.

swissinfo.ch: Auslandschweizer und Auslandschweizerinnen beklagen sich regelmässig, dass sie ihre Abstimmungs- oder Wahlunterlagen nicht rechtzeitig erhalten, weil das Material nicht digital verschickt werden kann. Kann man in diesem Bereich mit einer Entwicklung rechnen?

C.P.: Flexibilität ist einer der Vorteile unseres Systems. Wenn die Kantone es wünschen, könnten sie ihren Bürgern und Bürgerinnen die Unterlagen auf elektronischem Weg zukommen lassen. Mehrere Kantone haben diesen Ansatz bereits in ihren Fahrplan aufgenommen.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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