Was macht einen guten Schweizer Diplomaten aus?
Das Aussenministerium hat das diesjährige Auswahlverfahren für junge Leute eröffnet, welche die Interessen der Schweiz auf dem diplomatischen Parkett vertreten möchten. Das Verfahren ist unter Kritik geraten: Es würden nicht genügend Frauen und Spezialisten ausgebildet.
Ein Artikel in der renommierten deutschen Wochenzeitung Die Zeit von Anfang Jahr hatte drei Kritikerinnen eine überraschend grosse Plattform geboten, ihrem Ärger und ihrer Enttäuschung über das Auswahlverfahren, den «Concours diplomatique», Luft zu machen.
«Ein solches Auswahlverfahren ist unprofessionell und nicht mehr zeitgemäss. […] Den Diplomaten, den das aktuelle Verfahren hervorbringt, können wir uns nicht leisten. Wir brauchen wirklich die Besten», heisst es in dem Artikel, der mit den Namen von drei gescheiterten Kandidatinnen signiert ist. Sie waren im ersten, schriftlichen Durchgang des Auswahl-Prozesses ausgeschieden.
Der elfköpfigen Zulassungskommission werfen sie vor, diese habe die akademischen Zeugnisse und Berufserfahrungen der drei Frauen ignoriert. Auch sollte das Quotensystem wieder eingeführt werden, um die Zahl von Diplomatinnen zu erhöhen.
Dominik Furgler, Präsident der Zulassungskommission, nimmt die Kritik gelassen. «Es ist nicht das erste Mal, dass wir mit solcher Kritik konfrontiert werden», erklärt der Schweizer Botschafter in Ägypten gegenüber swissinfo.ch in einem Telefon-Interview. Er ist von dem Zulassungsverfahren, das seit Jahrzehnten angewendet und im Verlauf der Jahre angepasst worden ist, überzeugt, schliesst aber etwaige Fehler nicht aus.
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Szenen aus dem Berufsleben
Vor etwa zehn Jahren habe das Aussenministerium ein massgeschneidertes Kompetenzmodell entwickelt – ein Werkzeug zur Karriereplanung, das eingesetzt werde, um geeignete Kandidaten zu finden und Diplomaten aus- und fortzubilden. Das Modell definiert besondere Fähigkeiten, inklusive interkulturelle Kompetenzen und Gastfreundschaft sowie die Fähigkeit, in Krisensituationen gut zu funktionieren.
Eine Assessment-Firma habe die Topqualität des Verfahrens bestätigt. «Das belegt, dass unser Auswahlverfahren im Grossen und Ganzen sehr gut ist», sagt Furgler, der die Zulassungskommission leitet, der vor allem Frauen angehören.
Er schliesst jedoch nicht aus, dass unter Umständen hervorragende Kandidaten oder Kandidatinnen für die diplomatische Ausbildung übersehen werden, weil die von ihnen eingereichten Unterlagen nicht überzeugend genug waren.
«Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir wirklich alle geeigneten Kandidierenden zu einer ersten Einschätzung einladen und danach eine Auswahl treffen», sagt Furgler. Die höchste Hürde müssten Kandidatinnen und Kandidaten gleich am Anfang überwinden – für die erste Testrunde aufgeboten zu werden.
«Von den mehr als 280 Bewerbern 2012 wurden nur 80 zur ersten Runde der Tests eingeladen», erklärt er.
Im letzten Jahr hatten sich 282 Personen für einen Platz als Stagiaire im diplomatischen Dienst der Schweiz beworben. 22 wurden ausgewählt, darunter vier Frauen.
In der Regel rekrutiert das Aussenministerium pro Jahr etwa 10 Personen für das diplomatische Ausbildungsprogramm. Die Zahl der Bewerbungen schwankt über die Jahre stark, oft aufgrund der Wirtschaftslage.
Im Zusammenhang mit dem Gleichstellungs-Artikel in der Bundesverfassung wurde 2003 eine indirekte Quote eingeführt, um den Anteil an Botschafterinnen längerfristig anzuheben. Dafür wurde bei der Rekrutierung angehender Diplomatinnen und Diplomaten auf Geschlechterparität zwischen Mann und Frau geachtet. Diese Regelung wurde im letzten Jahr suspendiert.
Ein umstrittener Versuch, den Zugang zum diplomatischen Dienst für Quereinsteiger zu erleichtern, wurde 2011 gestoppt.
Das heutige Auswahlverfahren für den diplomatischen Dienst (Concours diplomatique) wurde 1956 eingeführt und über die Jahre etwas angepasst.
Kandidaten und Kandidatinnen müssen das Schweizer Bürgerrecht besitzen und dürfen nicht älter sein als 35 Jahre. Die Teilnahme am Concours ist nur einmal möglich.
Weitere Anforderungen: Gute Kenntnisse von mindestens drei Sprachen (zwei davon Schweizer Amtssprachen), Lizenziat, Master oder gleichwertiger Abschluss einer ausländischen Universität. Berufserfahrung von Vorteil. Keine Vorstrafen.
Diplomatische Akademie
Etwas anders gelagerte Kritik kommt von Foraus, einem Think-Tank zur Schweizer Aussenpolitik, bei dem sich vor allem junge Akademikerinnen und Berufstätige engagieren.
Foraus-Präsident Nicola Forster hält eine generelle Revision des diplomatischen Ausbildungssystems für notwendig, wobei er nicht in erster Linie an das Rekrutierungssystem oder die Wiedereinführung der Gender-Quote denkt. Er fordert ein System, das grundsätzlich flexibler ist, um auf veränderte, neuere Bedürfnisse der Diplomatie eingehen zu können.
«Es braucht mehr Mediatoren mit spezifischen Kenntnissen, die kurzfristig an Krisenherde entsandt werden können», erklärt Forster. Diese würden die traditionellen Diplomaten ergänzen, die für einen bestimmten Zeitraum auf einem Auslandposten die Interessen der Schweiz vertreten.
Eine Reform müsste auch familienfreundlichere Stellenmodelle anpeilen, und massgeschneiderte Stellen ermöglichen für Leute mit ausserordentlichem Talent, sagt er. Um die Chancen von Aussenseitern und Aussenseiterinnen zu steigern, ist Forster auch gegen ein Höchstalter für Leute, die sich für die diplomatische Ausbildung bewerben wollen. Heute liegt dieses bei 35 Jahren.
Zudem regt er die Schaffung einer «Diplomatischen Akademie» an, um das Schulungssystem für Schweizer Diplomaten zu ersetzen, das er als «Ausbildung am Arbeitsplatz» betrachtet.
Generalisten
In seinem Büro bei der Direktion für Ressourcen, der Personalabteilung des Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) in Bern, verteidigt Markus Reubi die Politik, auf Diplomaten als Generalisten zu setzen.
Dies hänge mit der begrenzten Grösse des diplomatischen Corps der Schweiz zusammen. Ausgehend von seiner persönlichen Erfahrung während der Krisensituation in Japan vor zwei Jahren lobt Reubi das Schweizer System. «Es belegte, dass Generalisten in der Lage sind, sich in einer Notsituation schnell anzupassen und sich rasch mit einem neuen Thema vertraut zu machen.»
Reubi fügt hinzu, eine gewisse Differenzierung – sei es für Diplomaten bei internationalen Organisationen oder für Spezialisten für Finanz- oder Wirtschaftsthemen – sei auch im Schweizer System möglich. «Wir brauchen Generalisten-Diplomaten, die bereit sind, sich zu spezialisieren. Und letzten Endes liegt der Schlüssel darin, in jeder Mission die richtige Mischung von Generalisten und Spezialisten zu finden.»
Die Regierung, sagt Reubi, betrachte eine kontinuierliche diplomatische Vertretung vor Ort, auch wenn es sich um ein kleines Team handle, als entscheidend für das Aufbauen und Erhalten eines Netzwerks von Kontakten. Ein Ad-hoc-System von so genannten «Laptop-Diplomaten», die man bei Bedarf in eine Region fliege und dann wieder ausfliege, würde den Interessen der Schweiz laut Reubi nicht dienen.
Zurzeit gibt es 348 Schweizer Diplomaten und Diplomatinnen. Sie arbeiten entweder in einer der 173 Botschaften im Ausland, bei internationalen Organisationen oder am Hauptsitz in Bern.
Die grösste Schweizer Botschaft ist jene in Moskau, mit etwa 100 Angestellten.
2012 öffnete die Schweiz neue Botschaften in Myanmar, Katar und Kirgistan. Andererseits gibt es Pläne, die Botschaft in Guatemala zu schliessen und das Netzwerk von Konsulaten weltweit zu reduzieren.
Francesca Pometta war 1977 die erste Frau, die Schweizer Botschafterin wurde. Heute machen Frauen im diplomatischen Corps einen Anteil von rund 30% aus. 18 Frauen tragen den Titel Botschafterin und stehen einer Schweizer Vertretung vor.
Die Anfänge der Schweizer Diplomatie waren sehr bescheiden. Bis um 1860 gab es nur zwei ständige Vertreter – in Wien und in Paris.
Ein erster Versuch, das System zu professionalisieren, wurde vor der Jahrhundertwende fallengelassen. Das diplomatische Netzwerk wurde schliesslich erst nach dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg deutlich ausgeweitet und erreichte seinen Höhepunkt in den 1990er-Jahren.
Karrieren
«Ein Diplomat ist ein Mann, der zweimal denkt, bevor er nichts sagt», ist ein Wortspiel, das dem ehemaligen britischen Premierminister Edward Heath zugeschrieben wird.
Botschafter Furgler seinerseits sagt, die Aufgabe eines Diplomaten, ob Schweizer oder nicht, sei immer die gleiche: Es gehe darum, die Interessen eines spezifischen Landes zu vertreten, wie vielfältig diese auch sein mögen. «Die Schweiz ist nicht mehr einzigartig mit ihren Guten Diensten oder weil sie ein neutraler Staat ist.»
Rolle und Status eines Botschafters haben sich im Lauf der Zeit verändert. Diplomaten waren früher Teil einer Elite, doch gehört solcher Glanz mehr und mehr der Vergangenheit an. «Diplomaten müssen immer mehr als Manager in einem sehr komplexen Umfeld agieren», sagt Reubi.
Anders als zum Beispiel in den USA gibt es in der Schweiz keine politischen Ernennungen auf diplomatische Posten. «Das wäre unvereinbar mit dem politischen System der Schweiz mit ihrer Mehr-Parteien-Regierung», fügt Reubi hinzu. Ernennungen von Quereinsteigern auf diplomatische Posten sind selten.
Manager
Neben traditionellen Aufgaben als Vermittler und Mediator mit stark ausgeprägten sozialen Fähigkeiten muss ein Diplomat, eine Diplomatin heute die Nutzung der verschiedenen Medien beherrschen und sowohl ausländische als auch einheimische Interessen berücksichtigen, sagt Reubi.
Daneben werden Führungsqualitäten und die Fähigkeit, in Krisensituationen gut zu arbeiten, immer unerlässlicher, vor allem bei einer Stationierung in gefährlichen Regionen der Welt.
Ein Diplomat kann heute nicht mehr einfach mit einer reibungslosen Karriere rechnen. Die Konkurrenz unter Mitgliedern des diplomatischen Corps für angesehene Posten ist hart geworden. «Individuelle Präferenzen können angegeben werden, aber nicht alle schaffen es bis zum Rang eines Botschafters», sagt Reubi.
(Übertragung aus dem Englischen: Rita Emch)
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