Die harte Hand im Prozess gegen die Roten Khmer
In Kambodscha gehen die Untersuchungen gegen hohe Pol-Pot-Funktionäre weiter. Nach der Verurteilung von Lagerkommandant Duch nimmt der Schweizer Richter Laurent Kasper-Ansermet fünf weitere Täter ins Visier, gegen den Widerstand aus Phnom Penh.
Duch, unter dem mörderischen Regime von Pol Pot Leiter des berüchtigten Lagers S21, wo Häftlinge gefoltert und hingerichtet worden waren, war jüngst zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden.
Nur sieben von bis zu 30’000 Häftlingen hatten das Vernichtungslager überlebt.
Jetzt sollen weitere Urteile gegen fünf noch lebende Funktionäre des Terror-Regimes folgen. Doch damit begibt sich das Gericht auf dünnes Eis.
Denn die Regierung in der Hauptstadt Phnom Penh stellt sich auf den Standpunkt, dass gemäss Abkommen mit der UNO das Genozidtribunal keine weiteren Strafverfolgungen gegen Schergen der Roten Khmer eröffnen darf.
Zum Tod verurteilte Arbeitssklaven
Einer der Angeklagten, der 69-jährige Im Cheam, hat jüngst in einer lokalen Zeitung Gräueltaten gestanden. Während der vierjährigen Schreckensherrschaft, der bis zu zwei Millionen Kambodschanerinnen und Kambodschaner zum Opfer gefallen waren, hatte er ein Bewässerungsprojekt in Trapeang Thma im Nordwesten des Landes geleitet.
Zur Arbeit wurden Zivilisten gezwungen, von denen viele an Erschöpfung und Unterernährung starben.
Laurent Kasper-Ansermet, den swissinfo.ch in Phnom Penh erreichen konnte, will die jüngsten Entwicklungen nicht kommentieren. Der Schweizer macht aber klar, dass er seine Untersuchungen fortsetzen werde.
«Ich verfüge über sämtliche Bewilligungen, um meine Funktion als stellvertretender Untersuchungsrichter ausüben zu können. Erst vor wenigen Wochen hat David Scheffer öffentlich klar gemacht, dass ich weitermachen kann», sagt Kasper-Ansermet.
Scheffer ist der Sonderberater der UNO für die Prozesse gegen die Roten Khmer, der von Generalsekretär Ban Ki-moon ernannt worden war.
Das oberste Gericht Kambodschas weigert sich, den Schweizer zum internationalen Co-Untersuchungsrichter zu ernennen. Derweil beharrt die UNO darauf, dass Laurent Kasper-Ansermet Siegfried Blunk ersetzt.
Der Deutsche war im letzten Oktober zurückgetreten, nachdem er die örtliche Regierung der Einmischung beschuldigt hatte. Auch Blunk hatte die Weigerung Phnom Penhs kritisiert, dem UNO-Tribunal weitere Prozesse zuzugestehen.
Gespaltenes Gericht
Das Genozidgericht, das aus kambodschanischen und internationalen Richtern besteht, ist in dieser Frage gespalten. «Dieser Streit erleichtert die Arbeit des Gerichts keineswegs», sagt Kasper-Ansermet dazu.
Für die Nichtregierungs-Organisationen ist der Fall klar: Die kambodschanische Regierung unter Premier Hun Sen wird alles unternehmen, um die Bemühungen der UNO und der internationalen Justiz gegen die alten Kämpfer der Khmer Rouge zu verhindern.
Solche Beschuldigungen erregen den Zorn von Rithy Panh. Der kambodschanische Regisseur weilte jüngst in Genf, wo er für seinen Film «Duch, le maître des forges de l’enfer» (Duch, der Höllenschmied) den Menschenrechts-Preis des internationalen Filmfestivals für die Menschenrechte entgegennahm.
Ungerechtfertigte Vorwürfe
«Wäre Hun Sen tatsächlich gegen das Tribunal, hätte es keinen einzigen Prozess gegeben», sagt Panh. Hun Sens Regierung habe keine Nachhilfe-Lektion nötig, denn sie sei es gewesen, die stets einen Prozess gegen die Führer der Roten Khmer verlangt hätte.
«Auch war es die Regierung allein, welche die Guerilla Pol Pots besiegt hatte, die bis Ende der 1990er-Jahre gekämpft hatte», sagt Rithy Panh. Der Filmautor gehörte selbst zu jenen, die vor der Hölle des steinzeitlich-kommunistischen Terrors hatten fliehen müssen.
«Müsste man alle Roten Khmer verurteilen, würde es 300 Jahre dauern», so Rithy Panh weiter. Aber dem Land wie auch der UNO würden die nötigen finanziellen Mittel fehlen, um die Prozesse führen zu können.
Tatsächlich steckt das Internationale Genozidgericht seit seiner Gründung 2006 in Finanzengpässen. Grösster Geldgeber ist Japan, das jüngst 6 Mio. Dollar überwies. Davon können die rund 300 lokalen Angestellten bezahlt werden, die seit vergangenem Oktober keine Löhne mehr erhalten hatten. Die 130 Mitarbeitenden, die aus anderen Ländern stammen, erhalten ihre Löhne pünktlich von den Vereinten Nationen.
Positive Auswirkungen
Kambodscha ist immer noch eine fragile Demokratie. Die neuen Freiheiten würden aber stärker respektiert als in vielen anderen Ländern der Region, sagt Raoul Marc Jennar, der im Prozess gegen Duch als Zeuge ausgesagt hatte und regelmässig die Regierung Hun Sens berät.
Regisseur Rithy Panh ist überzeugt, dass der Duch-Prozess bereits grosse positive Auswirkungen gezeigt hat. «Den Prozess gegen Duch haben über 120’000 Menschen aus allen Provinzen des Landes verfolgt. Dies wird sich im Prozess gegen die Funktionäre wiederholen», ist er überzeugt.
Als zweiten wichtigen Punkt erwähnt Panh, dass im Geschichtsunterricht seit zwei Jahren der Genozid unter Pol Pot gegen das eigene Volk behandelt werde.
«Die Justiz kann gegen den Genozid und seine Folgen nicht alles ausrichten. Wären zusätzliche Gelder vorhanden, sollten sie aber besser in die Dokumentation fliessen, um den Zugang der Kambodschaner zu ihrer jüngsten Vergangenheit zu erleichtern.»
Dies erachtet der Kulturschaffende für mindestens so wichtig wie die juristische Aufarbeitung der Verbrechen. «Kambodscha muss seinen Stolz wiederfinden», schliesst Rithy Panh.
Nach dem Film «S21, die Todesmaschine der Khmer Rouge». drehte der französisch-kambodschanische Filmemacher «Duch, der Höllenschmied».
Das neue Werk wurde soeben am 10. Festival du Film et Forum International sur les Droits Humains (FIFDH) mit einem Grossen Preis in der Höhe von 10’000 Franken ausgezeichnet.
Das Regime Pol Pots dauerte von April 1975 bis Januar 1979.
In diesen knapp vier Jahren verschwanden über zwei Millionen Menschen.
Dem Terrorregime folgte ein Bürgerkrieg, der erst 1998 beendet worden war.
2006 wurde in Phnom Penh ein UNO-Gericht zur Aufarbeitung des Genozids installiert, das aus nationalen und internationalen Richtern zusammengesetzt ist. Die Untersuchungen waren auf fünf Jahre befristet.
In einem ersten Prozess wurde Duch, der ehemalige Leiter des Todeslagers S21 der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und der Verletzung der Genfer Konventionen für schuldig befunden und zu lebenslanger Haft verurteilt.
Jetzt sollen hohe Funktionäre abgeurteilt werden. Es sind dies:
Khieu Samphan, unter Pol Pot Staatsoberhaupt Kambodschas.
Ieng Sary, ehemaliger Aussenminister.
Nuon Chea, damals Präsident der Nationalversammlung Kambodschas.
Ieng Thirith, ehemalige Sozialministerin, heute offenbar dement. Mediziner klären ihre Prozessfähigkeit ab.
Bereits sind weitere fünf Untersuchungen im Gange.
(Übersetzung aus dem Französischen: Renat Kuenzi)
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