Die Krim, dann die Ostukraine und schliesslich Kiew?
Die Abstimmung über den Anschluss der Schwarzmeer-Halbinsel Krim an Russland lasse nichts Gutes erahnen, so der Tenor in der Schweizer Presse am Tag danach. Die Rede ist gar von der schwersten Krise zwischen dem Westen und Russland seit dem Ende der Sowjetunion.
Bei der international scharf kritisierten Abstimmung auf der Krim soll die Bevölkerung nach Angaben der Wahlkommission mit weit über 90% für eine Angliederung an Russland votiert haben.
«Nein, ein Ausdruck ‹lupenreiner Demokratie› war das nicht, was gestern auf der Krim über die Bühne ging, sondern eine demokratische Schmierenkomödie. Schlimmer noch: ein demokratisch verbrämter Anschluss der Schwarzmeer-Halbinsel an Russland», schreibt die Aargauer Zeitung.
«Der Luftraum nur für Flüge von und nach Moskau geöffnet, russisches Militär, das die Zufahrtswege kontrolliert, auf den Stimmzetteln keine Möglichkeit, ein Nein anzukreuzen. So dreist war nicht einmal Hitler, als er 1938 die Österreicher über den Anschluss ans Deutsche Reich abstimmen liess», heisst es weiter.
«Die Krim war für die Ukraine verloren, bevor die ersten Zettel in die – durchsichtigen – Wahlurnen fielen», bilanziert die Aargauer Zeitung. Das Referendum sollte lediglich legitimieren, was der russische Präsident Putin längst durchgesetzt habe: die Machtübernahme. Zu befürchten sei, dass sich der Kremlchef mit der Abspaltung der Krim kaum zufriedengeben werde. In der überwiegend russischsprachigen Ostukraine zeichne sich bereits die nächste Konfrontation ab.
Ähnlich sehen es Der Bund und der Tages-Anzeiger: Nach der faktischen Besetzung der ukrainischen Krim durch Russland und der absurd hohen Zustimmungsrate für das von Moskau gesponserte Referendum werde nichts mehr sein wie vorher: nicht in der Ukraine, nicht in Russland und auch nicht in Europa.
«Die Ukraine kann zwar ohne die Krim leben, doch die letzten Tage haben deutlich gemacht, dass der Spuk mit der Abspaltung der Halbinsel wohl nicht vorbei ist. Radikale wittern ihre Chance, die Ostukraine von Kiew abzutreiben, auch dank der Unterstützung aus Russland. Präsident Putin hat erneut erklärt, Moskau sei besorgt über die Gewalt in der Ostukraine. Er will sich auch dort das ‹Recht› einer Intervention vorbehalten, wenn sich die Lage destabilisiere.»
Überdeutliches «Ja» für Krim-Abspaltung – SRF-Tageschau am Mittag vom 17.03.2014
Für die Basler Zeitung und die Neue Luzerner Zeitung war das Referendum eine reine Formsache: «Eine, die illegal veranstaltet wurde und sowohl der Verfassung der Ukraine wie ihrer Autonomen Republik Krim widersprach; auch im UNO-Sicherheitsrat unterstützte niemand die russischen Argumente zu ihrer Legitimation.» Das Ergebnis sei Makulatur.
«Die zwei Fragen auf dem Stimmzettel liessen dem Wähler auf der Krim nicht einmal die Möglichkeit, gegen die faktische Abtrennung von der Ukraine zu stimmen. Bezeichnend war auch, dass der aktivere Teil der Bevölkerung, vor allem die Krimtataren, die Abstimmung boykottierte. Diese ist nicht mehr gewesen als das Anhängsel zum Militärputsch, mit dem Russland die Krim vor zwei Wochen in Besitz genommen hat.»
Das offizielle Moskau beteuere, man wolle die Russen auf der Halbinsel vor aggressiven rechtsradikalen Horden aus Kiew und der Westukraine beschützen, so die BaZ weiter. Bloss, warum dann gleich annektieren?
In seiner Funktion als Vorsitzender der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat Bundesrat Didier Burkhalter auf das Krim-Referendum reagiert und am Wochenende auf höchster politischer Ebene Gespräche über die «gesetzeswidrige Abstimmung» geführt.
Dabei ging es um die Situation in der Ukraine und um mögliche Lösungen, wie die OSZE am Sonntagabend mitteilte.
Aussenminister Burkhalter bestätigte, dass noch immer die Bereitschaft bestehe, die Krise auf diplomatischem Wege beizulegen. Er habe «alle Seiten dazu aufgerufen, keine voreiligen Entscheidungen zu treffen und einseitige Aktionen zu unterlassen, die weitreichende Konsequenzen» haben könnten, hiess es in der Mitteilung.
Von den OSZE-Mitgliedern verlangte Burkhalter, die Probleme durch Dialog, mit friedlichen Absichten und unter Respektierung internationalen Rechtes zu lösen. Die «schädliche Dynamik» dürfe sich nicht weiter entwickeln.
Bezüglich der Rolle der OSZE forderte Burkhalter, die Mitglieder müssten auf einen Konsens über eine Beobachter-Mission hinarbeiten. Diese gelte es rasch einzusetzen und somit die Präsenz der Organisation in der Ukraine zu erhöhen.
(Quelle: sda)
Wie weiter?
Laut der Südostschweiz wird mit dem Referendum vom Wochenende «auf die Schnelle Geschichte» gemacht. «Eine Volksabstimmung über eine nationale Schicksalsfrage? Bitte, ist mit zwei Wochen Vorlaufzeit zu machen – wie das Referendum auf der Krim zeigt. Dies wäre zwar schwieriger gewesen, wenn das Ergebnis nicht schon von vornherein festgestanden hätte: Eine solide Mehrheit der Bewohner der Halbinsel will nicht nur ethnisch und sprachlich russisch sein, sondern auch lieber aus Moskau als aus Kiew regiert werden.»
Für den Tag danach stelle sich die Frage, so die Südostschweiz weiter, wie Putin das Votum aufnehme: «Bleibt er wie gehabt geradezu autistisch gegenüber jedweder Kritik an der vorgeführten Vereinnahmungspolitik und verkündet mit dem gebotenen Pathos die Wiedervereinigung mit der dummerweise vor 60 Jahren verschenkten Provinz – oder dankt er den Krimbürgern nur gerührt für ihr Vertrauen, verzichtet aber – vorläufig – dem Völkerrecht und Europas Hausfrieden zu liebe auf die formelle Vereinnahmung von bislang fremdem Hoheitsgebiet? Präsentiert er vielleicht gar, mit der Krim als Faustpfand, eine Verhandlungsinitiative zur Schaffung von neuer echter regionaler Autonomie in der Ukraine – was deren explosiven Osten befrieden könnte?»
Auch wenn sich der russische Präsident Putin über das weitere Vorgehen noch nicht festgelegt habe, so sei das Schlimmste zu befürchten: «Russland will zunächst einmal auf der Landkarte Fakten schaffen. Die Verlockung, ohne einen vergossenen Blutstropfen das für Russland so schicksalsträchtige Sewastopol samt Hinterland ‹heimzuholen›, dürfte stärker sein.
Rückkehr des Kalten Krieges?
Der Genfer Le Temps spricht von «der schwersten Krise zwischen dem Westen und Russland seit dem Ende der Sowjetunion».
Und die Tribune de Genève und 24heures schreiben gar von einer vollendeten «Scheidung» zwischen Russland und dem Westen. «Vorbei die Zeit, als man an eine Annäherung zwischen den ehemaligen verbissenen Feinden glaubte.»
Laut den beiden Westschweizer Zeitungen will Moskau kein konstruktiver Partner mehr sein – weder in der Ukraine, in Syrien noch im Iran. Die EU müsse nun Sanktionen verabschieden – aber dennoch die Türe für einen Dialog offen lassen.
Auch Der Bund und der Tages-Anzeiger stossen ins gleiche Horn: «Russlands Beziehungen zu den USA und zur EU sind so zerrüttet wie seit dem Kalten Krieg nicht mehr.»
Und die Tessiner Zeitung La Regione Ticino meint: «Die Proteste und Androhung von Wirtschaftssanktionen beleben erneut den Schreckgespenst eines neuen ‹Kalten Krieges›. Wie schon bei früheren Krisen wie in Georgien wird er aber nur kurze Zeit dauern und die Blitzaktion wird unbestraft bleiben.» Dennoch weist das Tessiner Blatt darauf hin, dass die Annexion der Krim ein anderes Gewicht habe: «Die Ukraine ist nicht Georgien.»
Nach dem Krim-Referendum hat die EU Sanktionen gegen Russland beschlossen. Die EU-Aussenminister einigten sich am Montag in Brüssel auf eine Liste von 21 Personen, gegen die Einreiseverbote verhängt und deren Konten gesperrt werden, berichteten Diplomaten.
Auch Verantwortliche in der Ukraine seien betroffen, teilte der litauische Aussenminister mit.
Die EU-Aussenbeauftragte Catherine Ashton sprach zu Beginn des Treffens vom «stärkst möglichen Signal» an Russland: «Und das Signal ist, dass wir sicherstellen wollen, dass sie (die Russen) den Ernst der Lage erkennen.»
Die EU bezeichnet die Volksabstimmung auf der Schwarzmeer-Halbinsel Krim vom Sonntag über einen Anschluss an Russland als illegal und völkerrechtswidrig.
Umfassende Wirtschaftssanktionen könnten bereits am Donnerstag bei einem Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel auf der Tagesordnung stehen.
(Quelle: sda)
Leise Kritik am Westen
Für das Bündner Tagblatt übt der Westen mit Recht Kritik am Vorgehen Russlands in der Krim und ist nach dem reinen Völkerrecht klar im Recht – aber er sollte diese Karte nicht überziehen. «Auch die westliche Führungsmacht USA oder Grossbritannien und Frankreich haben sich in der Vergangenheit relativ souverän über das Völkerrecht hinweggesetzt, wenn es ihnen aus historischen oder machtpolitischen Gründen angezeigt erschienen ist, beispielsweise in Irak, in Kosovo, auf Guantanamo.»
Da in der aktuellen Krimkrise niemand militärische Mittel einsetzen wolle, kämen nur direkte Verhandlungen infrage, schreibt das Bündner Tagblatt. «Wahrscheinlich hat der Westen aus Begeisterung für die Maidan-Revolution es versäumt, schon früher Russland in die Vorgänge in der Ukraine auf dem Verhandlungsweg einzubeziehen. Und dabei haben auch Russland und seine Interessen eine gewisse Rolle zu spielen, ob dies gefällt oder nicht.»
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