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Die Macht der Lobbys im Heidiland

Keystone

Die Schweiz ist eine der am besten entwickelten Demokratien der Welt. Sie gehört aber auch zu jenen Ländern, in denen der Einfluss von Interessengruppen auf die Politik wenig reguliert und kontrolliert ist. Das trübt die Verbindung zwischen Politik und Wirtschaft.

«Es ist leider so. Es gibt zu viele Parlamentarier, die fast nur spezielle Wirtschaftsinteressen vertreten, statt gemeinsame Werte oder Interessen zu unterstützen», beobachtet der junge freisinnige Abgeordnete Andrea Caroni, der seit 2011 im Nationalrat ist. «Einige sind bereit, ihre Stimme für alles zu geben, sogar ihre Grossmutter zu verkaufen, um als Gegenleistung Stimmen zu erhalten, wenn es um ihre Interessen geht.»

Die Macht der Wirtschafts-Lobby ist im Schweizer Parlament gut vertreten. Immer wieder müssen die eidgenössischen Räte Themen beraten, die zum Beispiel die Banken, Versicherungen, Krankenkassen, die Energie- oder Lebensmittelbranche betreffen. Dann reichen sich die Vertreter dieser Gruppe das Mikrofon weiter, um ihre Sache zu verteidigen.

Für Chiara Simoneschi-Cortesi, ehemalige Parlamentarierin der Christlichdemokratischen Volkspartei CVP, die ihr Amt 2011 abgab, war es «absolut skandalös zuzuschauen, wie Kollegen am Rednerpult im Parlament Texte, die sie von ihrer Lobby erhalten hatten, vorlasen, ohne diese jedoch zu verstehen».

Diese zu engen Beziehungen zwischen gewissen Parlamentariern und der Wirtschaft gehen häufig auf Kosten gewisser Bevölkerungskreise, deren Interessen untervertreten sind, wie etwa von Konsumenten, Versicherten oder Patienten.

Das Schweizer Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Nationalrat, der das Volk vertritt und 200 Sitze zählt, und dem Ständerat, der die Kantone vertritt und über 46 Sitze verfügt.

In der Regel treffen sich die Parlamentskammern lediglich vier Mal pro Jahr, einmal pro Jahreszeit, um jeweils drei Wochen lang Sitzungen durchzuführen.

In der Schweiz spricht man von einem Milizparlament, weil Abgeordnete neben ihren politischen Aktivitäten weiterhin einem Beruf nachgehen können.

Zahlreiche Abgeordnete sind eng mit der Wirtschaftswelt verknüpft. Sie unterstützen die Interessen von Unternehmen, für die sie tätig sind, sitzen in zahlreichen Verwaltungsräten ein oder sind selber Unternehmer.

Seit einigen Jahren sind Nationalräte und Ständeräte verpflichtet, der Bundeskanzlei ihre Interessenbindungen offenzulegen. Die Angaben werden jedoch nicht kontrolliert.

Die freisinnig-liberale Nationalrätin Isabelle Moret hat letztes Jahr eine Parlamentarische Initiative lanciert, in der sie die Parlamentarierinnen und Parlamentarier auffordert, bei ihren Interessenbindungen anzugeben, ob sie für jene Tätigkeiten eine Entschädigung erhalten oder ob sie diese ehrenamtlich wahrnehmen.

Integrierender Faktor einer Demokratie

An und für sich verrichten die Lobby-Organisationen – auch jene der Wirtschaft – eine wichtige, ja sogar nützliche Arbeit in einem demokratischen System. Für eine Demokratie wie jene der Schweiz, die traditionsgemäss auf der Suche nach Konsens zwischen den grösseren Parteien basiert, sowohl in der Regierung wie auch im Parlament, gilt dies umso mehr.

Bevor ein wichtiger Gesetzesentwurf ins Parlament kommt, geht er in die Vernehmlassung, an der sich alle interessierten Kreise beteiligen können.

«Lobbying ist ein integraler Bestandteil unserer Demokratie. Unser System ist so ausgestaltet, dass alles auf einen Volksentscheid oder die Vermeidung eines Referendums hinausläuft», erklärt Fritz Sager, Politikwissenschaftler an der Universität Bern.

«Das führt dazu, dass man versucht, alle Beteiligte einzubinden und möglichst allen Interessen gerecht zu werden, bevor ein Geschäft ins Parlament geht. Daher ist Lobbyismus nichts Anderes als die Vermittlung der Interessen und der Informationen, die einem Entscheid zugutekommen und diesen breit abstützen sollen.»

Für Sager kann der Nutzen von Lobbying damit gerechtfertigt werden, dass die Schweiz ein Milizparlament hat, in dem der Grossteil der Mitglieder keine Berufspolitiker sind.

«Parlamentarier können nicht mit der ganzen Breite von Themen und Dossiers umgehen, welche die Politik gesamthaft beinhaltet. Das ist gar nicht möglich für eine Person. Sie brauchen jemandem, der ihnen diese Informationen vermittelt, der ihnen erklärt, worum es geht», so Sager.

«Das passiert zum Teil über die Fraktionen und zum Teil werden sie auch individuell von den Lobbyisten aufgeklärt. In diesem Sinne ist Lobbyismus ein ehrbares Geschäft, das zum System gehört.»

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Undemokratischer Hauch

Dass Lobbyismus noch immer einen ziemlich schlechten Ruf hat, führt der Experte vor allem auf den Mangel an Transparenz bezüglich Beziehung zwischen Lobbys und Parlamentariern zurück.

«Die Tatsache, dass nicht alles im Licht der Öffentlichkeit geschieht, bedeutet nicht, dass zwangsläufig etwas faul ist. Wegen der mangelnden Transparenz besteht aber ein schlechter Ruf: Lobbyismus wird mit Gemauschel in Verbindung gebracht und erhält einen undemokratischen Hauch. Vor allem wenn wirtschaftliche Interessen im Spiel sind», sagt Sager.

Bis jetzt sind fast alle Bemühungen zur Reglementierung und Kontrolle von Lobbying gescheitert. Die Forderungen kamen meist von linken Parteien. Erst seit wenigen Jahren sind die Parlamentarier angehalten, ihre Interessenbeziehungen zu Unternehmen, Wirtschaftsverbänden, Vereinen und anderen Lobby-Gruppen offenzulegen.

Die beiden Parlamentskammern haben die Forderung nach Transparenz über die Einnahmen der Abgeordneten und die Parteienfinanzierung jedoch abgelehnt. Da die Ehrlichkeit überwiege, sei es nicht nötig, sich in die Privatsphären und Aktivitäten der Parteien einzumischen, so die Begründung.

Der Einfluss der Lobbys auf das schweizerische Politsystem ist besonders augenfällig im Bereich der Krankenversicherungen. Praktisch alle Mitglieder der Gesundheitskommissionen beider Parlamentskammern haben Verbindungen zu Krankenkassen, Pharmaunternehmen, Spitälern, Ärztekammern oder Patienten-Organisationen.

Die verschiedenen im Parlament vertretenen Interessen in diesem Sektor sind seit Jahren daran beteiligt, dass eine Reform der Krankenversicherung blockiert bleibt, während die Krankenkassenprämien von Jahr zu Jahr galoppierend ansteigen.

Der Einfluss von Lobbys hat zudem das Kartellgesetz und die Zulassung von Parallelimporten gebremst, während die Parlamentarierinnen und Parlamentarier regelmässig den Anliegen von Banken, Versicherungen und Pensionskassen nachgekommen sind.

Neben dem Druck, den sie aufbauen, um Gesetze zu ihren Gunsten durchzubringen und solche gegen ihre Interessen zu verhindern, versuchen Lobbys auch, das Parlament zu beeinflussen, um Subventionen oder Steuervergünstigungen zu erhalten.

Laut einer Studie der Eidgenössischen Steuerverwaltung sorgen Steuervergünstigungen jährlich für Mindereinnahmen von 17 bis 21 Mrd. Fr. in der Staatskasse.

«Im Grossen und Ganzen hat man bei uns den Eindruck, dass der politische Prozess ziemlich gut funktioniere und wir genügend aufpassen, um enorme Missbräuche zu verhindern», erklärt Felix Uhlmann, Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich. «Aber vielleicht ist es nur eine Illusion, und wir glauben, wir befänden uns im Heidiland und sind uns der wirklichen Probleme nicht bewusst.»

Grauzonen

Verschiedene andere Länder Europas sowie die Kommission und das Parlament der EU haben in den letzten Jahren zahlreiche Massnahmen eingeführt, um den Lobbyismus zu begrenzen. Diese reichen von einem Lobbyisten-Register über Verhaltenskodexe bis hin zu Direktiven zur Parteien-Finanzierung.

Die striktesten Regeln kennen jedoch die Vereinigten Staaten. Dort müssen sich die Lobbyisten in ein spezielles Register eintragen, ihre Finanzierung offenlegen und sogar die Kontakte zu den Parlamentariern und Behörden bekanntgeben.

Ist dieses Beispiel nachahmenswert? Professor Felix Uhlmann gibt sich eher skeptisch: «Um Lobby-Aktivitäten einzuschränken, wie das in den USA geschieht, braucht es einen enormen Aufwand, einen grossen Regulierungsapparat und ein effizientes Kontrollsystem. Dafür sind tiefgreifende Eingriffe und Änderungen erforderlich, was in der Schweiz kaum vorstellbar ist.»

Und auch mit sehr strengen Regeln «bleiben immer noch Grauzonen, Formen von Lobbying, die sich der Reglementierung entziehen können. Auch in den USA bleibt der Einfluss des Geldes auf die nationale Politik äusserst gross, trotz komplexer Vorschriften», so Uhlmann.

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Siamesische Zwillinge

Aber nicht alle im Parlament haben die Hoffnung aufgegeben. Zu ihnen gehört Andrea Caroni, der eine neue Initiative zur Regulierung der Lobby-Aktivitäten zumindest für das Innere des Bundeshauses lanciert hat. Die Lobbyisten, die Zutritt zu den Vorzimmern des Parlaments erhalten wollen, müssten sich in einem extra dafür vorgesehenen Register eintragen, ihre Mandate angeben und einen Verhaltenskodex unterschreiben.

«Ich will und kann die Lobby-Aktivitäten nicht eindämmen. Ich möchte aber, dass diese präzisen Normen unterstellt werden, zumindest hier, in der Wiege unseres demokratischen Systems», erklärt Caroni. «Dies auch, um das Image einer zu starken Verbindung zwischen Lobbyisten und Parlamentariern zu umgehen, die heute der Öffentlichkeit oft wie siamesische Zwillinge erscheint.»

Die Einführung einer klaren Reglementierung der Lobbying-Aktivitäten wird auch von einer der grössten Vereinigungen von Berufs-Lobbyisten befürwortet.

2012 hat sich der Bund der Public Relations Agenturen der Schweiz (BPRA) für ein Lobbyisten-Register ausgesprochen. Lobbyisten sollen zudem einen Verhaltenskodex unterzeichnen und ihre Mandate von Unternehmen oder Verbänden öffentlich machen.

Laut BPRA kann mehr Transparenz dazu beitragen, das Image von Lobbyisten zu verbessern und ihre Anerkennung als legitime Elemente des demokratischen Systems zu verbessern.

(Übertragen aus dem Italienischen: Gaby Ochsenbein)

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