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Die OECD wird 50, sozialer und grüner

Generalsekretär Angel Gurria (rechts) und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy bei der Eröffnung der Feierlichkeiten in Paris. Keystone

Mit einem Festakt und einer Minister-Ratssitzung feiert die OECD in Paris ihr 50-jähriges Bestehen. Die Organisation, die in der Schweiz vor zwei Jahren mit ihren grauen Listen für Schlagzeilen sorgte, entdeckt nach der Deregulierung neu auch soziale Themen.

«Während einer Dekade haben wir der Deregulierung wie einer Religion gehuldigt, wie wenn sie das allein Seligmachende wäre. Was war das Resultat? Die grösste Wirtschaftskrise zu unseren Lebzeiten», sagte OECD-Generalsekretär Angel Gurria vor den Medien: «Vielleicht sollten wir den Prinzipien der Regulierung wieder mit etwas mehr Respekt begegnen.»

Die Minister-Ratssitzung zum 50-Jahr Jubiläum steht thematisch im Zeichen einer «besseren Politik für ein besseres Leben». Die Minister wollen sich dabei mit Lösungsansätzen zu Problemen wie Staatsverschuldung, Arbeitslosigkeit und die weltweiten Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen befassen. Auf der Agenda steht zudem eine Strategie für «grünes Wachstum».

Wettbewerb mit andern Organisationen

«Die OECD ist nicht davor gefeit, sich selber zu wandeln, und sie muss sich natürlich auch wandeln», sagt der Direktor der Schweizerischen Koordinationsstelle für Bildungsforschung, Stefan Wolter, gegenüber swissinfo.ch. «Als internationale Organisation steckt sie in einem Wettbewerb mit andern internationalen Organisationen.»

Und da gehe es eben auch darum, mittels Öffentlichkeitswirkung von den Mitgliedstaaten Gelder zu erhalten. Die internationalen Organisationen müssten sich eben auch vermarkten, so Wolter: «Da geht es um sehr grosse Summen und teilweise auch um das Überleben dieser Organisationen. Der Wertewandel ist immer auch ein Ausdruck unserer Zeit.»

Neue Mitgliedsländer

2007 hat der «Club der reichen Industrieländer» begonnen, sich den Anliegen der Schwellen- und Transitions-Länder zu öffnen und hat – etwa mit Slowenien oder Estland – auch neue Mitgliedsländer aufgenommen.

Die OECD wurde 1961 als Nachfolgeorganisation des Marshall-Plans gegründet. Sie verfolgte damals das Ziel, dem kriegsversehrten Westeuropa beim Wiederaufbau zu helfen. Seither hat sich die Organisation ständig weiterentwickelt. Heute gehören ihr 34 Mitgliedsländer an. Sie veröffentlicht jährlich 250 Publikationen (Länderberichte und Ländervergleiche), beschäftigt mehr als 2500 Mitarbeitende und hat ein Jahresbudget von 320 Millionen Euro.

OECD und Bankgeheimnis

Die Schweiz ist eines der Gründerländer der OECD. Dennoch spielte die Organisation in der Wahrnehmung einer breiten schweizerischen Öffentlichkeit keine grosse Rolle.

Das änderte sich schlagartig im März 2009. Damals hatte der Bundesrat beschlossen, in Zukunft die OECD-Amtshilfe-Regeln über Steuerhinterziehung und Steuerbetrug zu übernehmen. Damit durchlöcherte die Schweizer Regierung das bis anhin als «unantastbar» gepriesene Bankkundengeheimnis. Zuvor hatte die OECD der Schweiz gedroht, das Land auf der grauen Liste der Steuerparadiese zu belassen.

Vor allem rechtsstehende Politiker kritisierten damals die OECD als eine Art internationale Finanzpolizei, die sich in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Landes einmische.

Marktverzerrungen behindern Entwicklungen

Der Teil der Aktivitäten, bei denen die OECD «quasi rechtssetzende Funktionen hat», sei sehr klein, sagt Wolter. «Das falsche Bild kommt wahrscheinlich daher, dass die andern Tätigkeiten der OECD nicht publikumswirksam den Weg in die Medien finden. Der grösste Teil der Arbeit besteht primär in einem Wissens- und Informationsaustausch unter den Mitgliedsstaaten. Sie deckt praktisch die ganze Breite der Regierungstätigkeit ab.»

Die von der OECD erarbeiteten Regulierungen und Standards sollen vor allem dazu beitragen, «dass sich die Volkswirtschaften in den Mitgliedsstaaten möglichst gut entwickeln», so Wolter. «Grundsätzlich sind es nicht Disziplinierungs-Vorgaben.»

In der Logik der OECD sei das schweizerische Bankgeheimnis «eine Marktverzerrung, die gewissen Ländern Steuersubstrat abzieht und damit deren wirtschaftliche Entwicklung» behindere.

Gewisse Länder auf Examen angewiesen

Regelmässig unterzieht die OECD ihre Mitgliedsländer einem Examen zu jeweils einem Bereich der Regierungstätigkeit. Das erlaube es den Mitgliedern zu sehen, «wer macht etwas gut und wer kann was von wem lernen. Die OECD ist also auch eine Lernorganisation».

Die Länder-Examen und die daraus abgeleiteten Empfehlungen der OECD seien für die betroffenen Länder eine «positive Dienstleistung, weil eine neutrale Behörde den nationalen Wirtschaftsakteuren Noten erteilt», sagt Wolter.

«In einem Land, in dem die Politiker der eigenen Regierung misstrauen, weil diese Daten schönt und behauptet, die wirtschaftliche Lage sei ganz in Ordnung, sind diese darauf angewiesen, dass eine neutrale Organisation von aussen kommt und die Leistungen der Regierung begutachtet.»

Zur Eröffnung der 50-Jahr-Jubiläumsfeierlichkeiten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wurden Mahnungen wegen der nach wie vor schwierigen Lage der Wirtschaft laut.

OECD-Generalsekretär Angel Gurria erinnerte an die hohe Arbeitslosigkeit in vielen der 34 Mitgliedsstaaten, wo insbesondere die Jugendarbeitslosigkeit teils dramatisch angestiegen sei. «Die Krise ist noch nicht vorbei», sagte Gurria am Sitz der Organisation in Paris.

EU-Ratspräsident Herman van Rompuy gab ein Bekenntnis zur gemeinsamen europäischen Währung ab: «Wir lassen den Euro nicht scheitern.» Eine Restrukturierung der griechischen Schulden berge weit mehr Risiken als Nutzen, warnte er.

Die OECD wolle mit ihren Mitteln und Möglichkeiten helfen, das Leben der Menschen zu verbessern, erinnerte der Mexikaner Gurria an das Motto der Feierlichkeiten, «Mit besserer Politik zu besserem Leben». Dazu wurde der «Better Life Index» präsentiert, der als neuer OECD-Index für Lebensqualität zeigen soll, worauf es im Leben wirklich ankomme und nicht nur den Zuwachs von Konsum und Produktion messe, verwies Gurria auf eine neue Orientierung im Denken der Ökonomen.

Die OECD werde in Zukunft ihre Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern weiter ausbauen und besonderes Augenmerk auf die Region Nordafrika und Nahost legen, kündigte er an.

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