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«Die OSZE steht und fällt mit den Regierungen»

Familienbild am OSZE-Gipfel in Kasachstan. Keystone

Am OSZE-Gipfel in Kasachstan verständigten sich die Teilnehmer am Donnerstagabend auf eine sehr allgemein gehaltene Schlusserklärung. Christine Egerszegi, Vizepräsidentin der parlamentarischen OSZE-Delegation der Schweiz,sagt, was die Organisation erreichen kann und was nicht.

Das erste Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) nach elfjähriger Unterbrechung ist am späten Donnerstagabend in der kasachischen Hauptstadt Astana zu Ende gegangen. Das Treffen konnte die Erwartungen nicht erfüllen. In der sehr allgemein gehaltenen Schlusserklärung wurden im Wesentlichen nur die Grundprinzipien der 1975 ins Leben gerufenen Institutionen bestätigt.

Aussenministerin Micheline Calmy-Rey hatte an der OSZE-Konferenz in Astana gefordert, dass die Hauptaufgaben besser gelöst werden sollen. Gleicher Meinung ist Christine Egerszegi, FDP-Ständerätin und Vizepräsidentin der parlamentarischen OSZE-Delegation der Schweiz.

swissinfo.ch: Welche Rolle spielt die Schweiz in der OSZE?

Christine Egerszegi: Sie ist aktiv. Als Vizepräsidentin der parlamentarischen Schweizer Delegation erlebe ich die OSZE so, dass sie sich mit zu vielen Themen befasst und ihre Grundaufgabe etwas aus den Augen verliert. Diese wäre, die Vermittlungsrolle in Konflikten zu spielen, und zwar, bevor sie ausbrechen. Diese Grundaufgabe unterstützt die Schweiz in vielfältiger Weise.

swissinfo.ch: Wie sind die Kräfte verteilt?

C.E.: Wir haben in der OSZE oft das Seilziehen zwischen den USA und Russland. Dass die USA und Kanada überhaupt dabei sind, hat mit der Entstehung der OSZE zu tun. Die Alliierten haben nach dem zweiten Weltkrieg ihre Stellungen besetzt, beispielsweise in Westberlin.

swissinfo.ch: Welche Aufgaben nimmt die OSZE zur Zeit wahr?

C.E.: Sie stellt Wahlbeobachter, was eine sehr wichtige Aufgabe ist. Sie greift auch frühzeitig Konfliktthemen auf, zum Beispiel haben wir die Cyberwar-Thematik schon vor drei Jahren angegangen, nachdem Russland in die Systeme eines baltischen Staates eingedrungen ist.

Wir haben auch das Konfliktpotential bei der Energieversorgungssicherheit als Thema behandelt, als Russland in der Ukraine den Gashahn zugedreht und halb Europa gefroren hat.

Ein wichtiges Gebiet ist auch der Umgang mit Minderheiten innerhalb und ausserhalb eines Landes.

swissinfo.ch: Was hat daraus resultiert?

C.E.: Diese Themen hat man frühzeitig angepackt, aber oft laufen sie Gefahr –wahrscheinlich aus diplomatischen Gründen – dass sie wieder versanden. Man fasst zwar Beschlüsse, und alle sind einverstanden, aber dann müsste auch noch die Umsetzung kommen.

Die OSZE behandelt während der Gipfel auch Themen wie Diskriminierung von Homosexuellen oder Genderfragen. Sie sind zwar nicht unwichtig, aber das sind doch nicht Themen einer Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit!

swissinfo.ch: Dies sind gesellschaftspolitische Fragen?

C.E.: Natürlich hat sich das Konfliktpotential ausgeweitet, ich denke an den Kampf um die Ressourcen, wie die Wasser- oder Energieversorgung oder durch Bedrohungen durch das organisierte Verbrechen oder die Internetkriminalität.

Aber man kann nicht alle gesellschaftlichen Konflikte in der OSZE lösen. Diese Fragen müssen angegangen werden, aber man sollte sie anderen Institutionen überlassen, dem Europarat, der Unesco, der Unifem, usw. Man müsste die Aufgaben dieser Gremien besser voneinander trennen, das ist ein wichtiges Anliegen unserer OSZE-Delegation.

swissinfo.ch: Vorbeugende Konfliktlösungen zu suchen wäre vielleicht noch schwieriger…

C.E.: Ja, klar, aber die Effizienz der OSZE wäre grösser.

swissinfo.ch: Wird in der OSZE über die Schweiz diskutiert?

C.E.: Ja. Ich war beispielsweise im Auftrag des Bundesrates im Juni in Kasachstan an der Ministerkonferenz der OSZE. Es ging darum, den Ausgang der Abstimmung über die Minarettinitiative zu erklären. Die Schweiz wurde damals relativ heftig angegriffen. Ich habe dort erklärt, wie unsere Demokratie funktioniert: Unsere Bevölkerung hat die Möglichkeit, die Verfassung durch eine Volksinitiative zu ändern. Auch wenn Regierung und Mehrheit des Parlamentes eine Ablehnung empfehlen, hat die Bevölkerung das letzte Wort. Und das gilt.

Ich gab zu Bedenken, dass im Abstimmungskampf Bilder von Frauen erschienen waren, die gesteinigt werden, dass ein islamischer Rechtsgelehrter an einer Schweizer Universität die Einführung der Scharia forderte, und dass es etliche Beispiele gab von Zwangsheiraten.

Zusätzlich waren die Terroranschläge islamischer Fundamentalisten noch immer präsent. Und das waren Fakten und keine Märchen. Das beschäftigte die Bevölkerung. Das verunsicherte sie. Dagegen kam man mit nüchternen politischen Empfehlungen nicht an.

Nach meinen Erklärungen sind viele Delegationen zu mir gekommen und haben gesagt: «Wenn wir diese demokratischen Möglichkeiten und eine Abstimmung durchgeführt hätten, hätte unsere Bevölkerung wahrscheinlich gleich entschieden.»

Es waren gute und wichtige Diskussionen. Ich spürte auch viel Verständnis seitens verschiedener islamischer Länder.

swissinfo.ch: Verrät die OSZE nicht ihre Grundideen, wenn sie Konferenzen in der «Quasi-Diktatur» Kasachstan abhält?

C.E.: Kasachstan ist eine zentralasiatische Republik mit einer anderen Demokratie, als die unsrige. Deren gibt es viele. Es sind die früheren sowjetischen Teilrepubliken, die sich recht erfolgreich entwickeln. Das Land hat einen grossen Einfluss in dieser Region. Es ist eine Schnittstelle zwischen Asien und Europa. In der Region gibt es viele Konflikte. Afghanistan, Kirgisistan,Turkmenistan sind einige Beispiele. Da sind stabile Länder wie Kasachstan wichtig.

swissinfo.ch: Was will die OSZE erreichen?

C.E.: Die OSZE setzt sich ein für demokratische Strukturen. Dazu braucht es die Gewaltentrennung mit dem Parlament als Gesetzgeber, der Regierung als Umsetzer und unabhängigen Gerichten. Die OSZE pocht auch auf die Einhaltung der Menschenrechte und Völkerrechte. Dazu gehört auch die Medienfreiheit.

swissinfo.ch: Hat die OSZE Möglichkeiten, ihre Forderungen durchzusetzen?

C.E.: Die Beschlüsse werden von den Ländern unterschrieben, aber damit hat es sich. Mehr kann man von einem solch vielfältigen Gremium auch nicht erwarten.

swissinfo.ch: Wie könnte man das ändern?

C.E.: Es steht und fällt mit dem Verhalten der einzelnen Regierungen. Es ist ähnlich wie mit andern internationalen Gremien. Man fasst zwar Beschlüsse, aber umgesetzt werden sie nicht immer. Je heikler sie sind, umso schwieriger wird es. Mehr Abstimmung zwischen den einflussreichen Blöcken, zwischen Ost und West, würde schon helfen.

Ich finde, dass die Schweiz hier eine gute, aktive Rolle spielt innerhalb der OSZE. Die Schweiz wird auch sehr geschätzt.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist ein Vermächtnis aus dem Kalten Krieg. Die Schweiz ist ein Gründungsmitglied ihres Vorläufers, der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit (KSZE). Sie wurde in den frühen 70er-Jahren ins Leben gerufen. Die KSZE war lange Zeit das einzige sicherheitspolitische Forum, im dem die Schweiz voll mitwirken konnte.

Der Schweizer Botschafter Samuel Campiche schlug vor, sämtliche inhaltlichen Vorschläge in vier «Hauptkörbe zu gruppieren»; in (I) politische und Sicherheitsangelegenheiten, (II) wirtschaftliche und verwandte Fragen, (III) menschliche Kontakte, Kultur und Information und (IV) den Helsinki-Folgeprozess.
Dies war der Ursprung der dreidimensionalen Gliederung der heutigen OSZE und ihres Rahmens für umfassende Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.

Das erste Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) seit 11 Jahren ist in Kasachstan ohne greifbares Ergebnis zu Ende gegangen.

Die Vertreter der 56 OSZE-Mitglieder rangen weit über das offiziell geplante Ende des Treffens hinaus erfolglos um ein aussagekräftiges Schlussdokument.

Für den geplanten Aktionsplan zur Lösung mehrerer seit Jahren schwelender internationaler Konflikte, vorrangig in Zentralasien ,und Osteuropa und zur Reform der OSZE fand sich keine Mehrheit.

Als Minimalkonsens wurde lediglich eine nach dem Konferenzort benannte «Erklärung von Astana» verabschiedet.

Kasachstans Staatschef Nursultan Nasarbajew als Gastgeber sprach dennoch von einem Erfolg des Gipfels.

Die Europäische Union dagegen nannte die Abschlusserklärung unzureichend.

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