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Neue Streitigkeiten um das Fremde

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Keystone / Laurent Gillieron

Die Debatte um die Grenzen zwischen dem Fremdartigen und dem Schweizerischen hat sich in letzter Zeit beruhigt. 2020 wird sich das ändern. Neue Barrieren werden aufgestellt. Es geht wieder um Abgrenzung, Ausgrenzung: um Identität und Differenz. 

Unser Jahresausblick Teil 2 hat die Politik im Fokus, Teil 1 widmete sich der Wirtschaft.


Tun sie’s 2020 oder tun sie’s nicht? Nach mehr als vier Jahren Verhandlungen ist das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU noch immer nicht besiegelt. Im Gegenteil, die Fronten sind verhärtet.

2019 war geprägt von Stillstand: Die EU machte deutlich, dass sie nicht nachverhandeln werde. In der Schweiz findet der vorliegende Vorschlag aber keine Mehrheit im Parlament.

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Die Situation bleibt auch 2020 volatil. Beobachter erwarten unter der neuen EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kaum neue Töne aus Brüssel, ihr Spielraum ist beschränkt. Zu einem ersten informellen Treffen mit ihr kommen einige Mitglieder des Bundesrats wohl schon im Januar am WEF in Davos. Die Schweizer Botschaft an von der Leyen und die EU wird dann sein: Bitte jetzt nicht provozieren, wir starten hier gerade einen Abstimmungskampf.

Denn in der Schweiz gelangt im Mai die Begrenzungsinitiative der SVP zur Abstimmung: Sie verlangt das Ende der Personenfreizügigkeit mit der EU. Sagt das Volk dazu ja, kommt das einer grundsätzlichen Trennung mit Europa gleich. 

Wahrscheinlicher aber ist ein Nein. Das wäre ein Votum des Schweizer Souveräns für eine geordnete Beziehung mit der EU – und ein guter Ausgangspunkt für den weiteren Dialog mit Brüssel – wenn nicht gar ein Reset.

Angesichts der Weltlage werden für die Schweiz die Beziehungen zu Grossmächten wie den USA, China und Russland wichtiger. Die aussenpolitische Strategie für die nächste Legislatur will diesem Umstand Rechnung tragen.



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Ziel: Die Schweiz soll sich in einer vermehrt von Machtpolitik geprägten Welt gegen aussen kohärenter aufstellen.

Problem dabei: Das neutrale Land könnte öfters gezwungen werden, sich zu positionieren, beispielsweise bei einer weiteren Eskalation des Handelsstreits zwischen den USA und China. 

Sollte die Schweiz Farbe bekennen müssen, wird sie wohl eher den Handelsvertrag mit dem Reich der Mitte aufs Spiel setzen, als es sich mit den USA zu verderben. Dies allein schon wegen des Drucks aus der Bevölkerung. Nach der Veröffentlichung vertraulicher Dokumente über die systematische Verfolgung und Internierung von Uiguren durch Peking wächst in der Schweiz die Skepsis gegenüber China.



Fest steht aber: Die Begrenzungsinitiative wird eine Diskussion wieder anheizen, die in der Schweiz während der letzten Jahre ruhiger geworden ist: Jene um Identität und Differenz, das Eigene und das Fremde, um Inländer und Ausländer. Es geht um Abgrenzung und Grenzen. Denn die SVP-Initiative «für eine moderate Einwanderung» will nicht nur die Personenfreizügigkeit beenden, sondern auch, dass die Schweiz die Einwanderung von Ausländern autonom regelt.


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Die Initianten sind der Ansicht, dass die Personenfreizügigkeit mit der EU und ihren 500 Millionen Einwohnern zu einem massiven Zustrom ausländischer Arbeitskräfte führt. Dies führe zu mehr Arbeitslosigkeit und niedrigeren Löhnen in der Schweiz.

Die Regierung ist gegen den Vorschlag. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Alterung der Bevölkerung geht der Bundesrat davon aus, dass die Schweiz künftig mit dem gegenteiligen Problem konfrontiert sein wird: Mit der Suche nach einwanderungswilligen  Arbeitskräften gegenüber der Schweiz. 

Das Parlament empfiehlt dem Volk ebenso, die Initiative der SVP abzulehnen. 

Auch im Asylbereich zieht die Schweiz die Schrauben an. Der Bundesrat will Auslandreisen für Asylsuchende, vorläufig Aufgenommene und schutzbedürftige Personen verbieten, wenn diese nicht für das Asyl- oder ein Rückkehrverfahren erforderlich sind. Organisationen aus dem Bereich der Flüchtlingshilfe lehnen diese Pläne ab. Sie sehen darin Grundrechte verletzt sowie einen Eingriff in die Bewegungsfreiheit. Sie erinnern auch daran, dass Auslandsreisen für Betroffene oft die einzige Möglichkeit darstellen, um mit Familie und Freunden in Kontakt zu bleiben.



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Zu erwarten ist, dass das Parlament den Vorschlag des Bundesrates noch dieses Jahr übernimmt.

Und noch eine Verschärfung ist geplant: Künftig können Computer oder Mobiltelefone von Asylsuchenden beschlagnahmt werden. Das Parlament wird einen Gesetzentwurf einbringen, der die Ermittlungsbefugnisse der Migrationsbehörden ausweitet, wenn sie die Identität eines Asylsuchenden nicht mit anderen Mitteln feststellen konnten. In der Schweiz wird gleichzeitig mit einem weiteren Rückgang der Asylgesuche gerechnet. Seit dem Höchststand 2015 ist die Zahl der Gesuche von Jahr zu Jahr etwas geringer. Das Staatssekretariat für Migration verfügt nun über 13’000 Gesuche, verglichen mit 39’000 vor vier Jahren.

Wird die Schweiz das Tragen von Burka und Niqab im ganzen Land verbieten? 2020 werden die Initiative «Ja zum Verhüllungsverbot» und ein indirekter Gegenvorschlag des Bundesrates das Parlament beschäftigen.

Die Idee stammt vom Egerkinger Komitee, das sich mit seiner Anti-Minarett-Initiative vor zehn Jahren einen Namen machte. Diese wurde lanciert aus Furcht, dass zusätzlich zu den vier Minaretten in der Schweiz noch neue dazukommen könnten. Das Verbot aller zukünftigen solcher Bauten wurde mit 53,4% akzeptiert.

Frau mit Niqab
In der Schweiz wird oft die Burka zitiert, obwohl sie in der Schweiz fast nicht existiert. Vielmehr geht meistens eine Niqab gemeint, wie auf diesem Bild. Keystone / Gian Ehrenzeller

Im Jahr 2017 hat ebendieses Komitee, das sich hauptsächlich aus Mitgliedern der rechtskonservativen SVP zusammensetzt, seine Anti-Burkainitiative eingereicht. Sie betrifft ein paar Dutzend Frauen in der Schweiz. Die Initianten wollen sich nicht als Feinde des Islams verstanden wissen. Sie argumentieren, dass ihre Vorlage auch auf die maskierten Chaoten abziele, wie sie jeweils bei Demonstrationen wüten.

Der Bundesrat hält den Vorschlag für zu radikal und hat einen Gegenvorschlag vorgelegt, der strengere Regeln bei der Identitätskontrolle vorsieht. Dies verzögert das Verfahren, so dass das Parlament noch darüber entscheiden muss und ein Urnengang wohl erst 2021 möglich wird.

Auf kantonaler Ebene haben das Tessin und St. Gallen das Verhüllen des Gesichts im öffentlichen Raum bereits verboten.


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