Ein Schweizer hilft dem krisengeschüttelten Mosambik
Eine Dschihadistengruppe terrorisiert den Norden Mosambiks und stürzt das Land in eine tiefe humanitäre Krise. Der Schweizer UNO-Gesandte Mirko Manzoni warnt vor einer internationalen Militärintervention. Wir haben mit ihm gesprochen.
Eine Gruppe, die sich zum IS zählt, provoziert einen Krieg. Eine humanitäre Krise entsteht. Und das in einer Region, die an einen strategischen Seeweg und riesige Gasreserven grenzt. Das ist der explosive Cocktail, der Mosambik bedroht.
Das Land im südlichen Afrika ist anderthalb Mal so gross wie Frankreich (19 Mal so gross wie die Schweiz) und verfügt über eine Küstenlinie von mehr als 2000 km am Indischen Ozean. Im Land leben fast 28 Millionen Menschen, 46% unter der Armutsgrenze.
Der Konflikt, der 2017 in der Provinz Cabo Delgado an der Grenze zu Tansania begann, hat es zwar nicht in die Schlagzeilen der internationalen Presse geschafft. Aber er beunruhigt Grossmächte wie die USA, die Europäische Union und vor allem Frankreich.
Am 24. März verübten Dschihadisten einen Überraschungsangriff auf die Stadt Palma. Viele Bewohnerinnen und Bewohner flüchteten. Ebenso Mitarbeitende des Ölkonzerns Total, der an der Ausbeutung der riesigen Gasvorkommen der Provinz beteiligt ist. Der Seekanal zwischen Mosambik und der Insel Madagaskar ist auch eine wichtige Passage für den internationalen Handelsverkehr.
Der ehemalige Schweizer Botschafter in Mozambik, Mirko Manzoni, lebt heute immer noch in der Hauptstadt Maputo – inzwischen als persönlicher Gesandter des UNO-Generalsekretärs in Mozambik.
Der gebürtige Tessiner ist verantwortlich für die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der Frelimo-Regierung und den Renamo-Rebellen. Als Schweizer Botschafter hat er das Friedensabkommen selbst ausgehandelt. Ein Bürgerkrieg zwischen Frelimo und Renamo verwüstete Mozambik während den ersten 20 Jahren seiner Unabhängigkeit.
swissinfo.ch: Welche Auswirkungen hat der Konflikt in Cabo Delgado auf den Friedensprozess zwischen der Frelimo-Regierung und den Renamo-Rebellen?
Mirko Manzoni: Die mosambikanische Regierung und Armee sind immer noch im Zentrum des Landes im Einsatz. Um das Friedensabkommen umzusetzen, müssen die verbliebenen Renamo-Rebellen entwaffnet und demobilisiert werden. Die mosambikanische Armee kann daher nicht alle ihre Kräfte für den Konflikt im Norden des Landes mobilisieren.
Umso dringlicher ist es, den Prozess der Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration der Kämpfer abzuschliessen, damit die Regierung anschliessend alle Kräfte vollständig in den Norden des Landes umlenken kann. Die mosambikanische Armee ist nicht in der Lage, an zwei Fronten eingesetzt zu werden.
Wie ist die Situation vor Ort nach dem Angriff der dschihadistischen Rebellen auf die Stadt Palma Ende März?
Dieser Krieg gleicht ein bisschen dem Beginn des Konflikts in Mali, wo ich zwischen 2012 und 2014 gearbeitet habe. Es handelt sich also nicht um einen konventionellen Konflikt. Die Rebellen, die sich als Kämpfer des IS ausgeben, verwenden ebenfalls terroristische Methoden und führen sehr gut organisierte Angriffe durch.
Jeden Tag werden Dörfer oder Konvois angegriffen. Die Kämpfer sind aber auch in der Lage, eine Offensive auf eine Stadt zu starten.
Das ist eine sehr instabile Situation, die natürlich die Bevölkerung terrorisiert und unglaubliche Bevölkerungsbewegungen verursacht. Fast die Hälfte der Bevölkerung der Provinz Capo Delgado, etwa 850’000 Menschen, ist aus den Kampfgebieten geflohen. Dies verursacht eine gigantische humanitäre Krise.
Warum ist dieser Konflikt erst seit kurzem ein Thema für die internationale Gemeinschaft? Geht es um das Gasvorkommen, die Seeroute oder die dschihadistische Bedrohung?
Ich bin ein Veteran des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) und wage – ohne naiv sein zu wollen – zu hoffen, dass es das Schicksal der fliehenden Zivilbevölkerung ist, das die anderen Länder aufrüttelt.
Klar ist aber auch: Je grösser der Konflikt wird, desto stärker treten seine geopolitischen und regionalen Folgen hervor. Ein Verlust der Kontrolle über das Gebiet könnte die umliegenden Länder destabilisieren.
Es ist daher normal und richtig, dass die internationale Gemeinschaft den Konflikt in Capo Delgado langsam ernst nimmt. Ich hoffe nur, dass die Priorität auf der Bewältigung der humanitären Krise liegt und nicht auf einer bewaffneten Intervention, wie sie in letzter Zeit immer wieder diskutiert wird.
Und wie schätzen Sie die dschihadistische Bedrohung ein?
Diese hat sich über mehrere Jahre entwickelt, ausgehend auch vom benachbarten Tansania. Man sollte die religiöse Dimension aber nicht überschätzen. Von Anfang an sagte die muslimische Bevölkerung Mozambiks, die in dieser Region die Mehrheit stellt, dieser Konflikt sei nicht religiöser Natur.
Die Religion wird von allen instrumentalisiert. Eigentlich handelt es sich um Terrorismus und Kriminalität aller Art, darunter auch Menschenhandel, die sich mangels staatlicher Kontrolle entwickeln konnten.
Präsident Filipe Nyusi wünscht sich in diesem Konflikt militärische Unterstützung von aussen. Dieses Thema stand im Mittelpunkt seines Treffens letzte Woche in Paris mit Präsident Emmanuel Macron. Hat dieser Austausch zu irgendeinem Fortschritt geführt?
Mosambik braucht zuverlässige Partner, um seine Sicherheitsprobleme zu lösen. Ich glaube aber auch, dass Mosambik sich nicht übermässig unter Druck setzen lassen will. Es will die Kontrolle über sein eigenes Schicksal behalten.
Die Regierung braucht also keine fremden Truppen, sondern moderne militärische Ausrüstung und Ausbildung. Das hat der Präsident Mozambiks klar gesagt. Aber er nimmt jede Art von Hilfe an. Ich glaube, das hat er auch in Frankreich wiederholt.
Die Regierung wird für ihre Nachlässigkeit in diesem Konflikt, der schon 2017 begann, ebenso kritisiert wie für die schlechte Entwicklung des Landes. Ist die Unterstützung nicht mit Risiken verbunden?
Gewaltsamer Extremismus entwickelt sich tatsächlich aufgrund mangelhafter Regierungsführung durch die Behörden. In Mosambik sind einige Regionen vernachlässigt worden.
Die Regierung hat dies erkannt. Vor mehr als einem Jahr hat sie eine Entwicklungsagentur gegründet, die von der Weltbank unterstützt wurde. Deren primäres Ziel ist es, diese Region mit einer spezifischen Strategie zu entwickeln.
Aber Armut und schlechte Regierungsführung erklären nicht alles. Wir haben auch immer noch zu wenige Informationen über die genaue Natur dieser bewaffneten Banden. Wir wissen zum Beispiel wenig über ihre Verbindungen zu anderen dschihadistischen Gruppen und dem organisierten Verbrechen.
Die Schweiz hat vor einem Jahrzehnt die Niederlassung von Schweizer Unternehmen in Mosambik gefördert, bevor 2016 eine Wirtschaftskrise das Land traf. Wie ist die Situation heute?
Als Botschafter konnte ich kleine und mittlere Schweizer Unternehmen begleiten, die der Krise getrotzt haben und in Mosambik immer noch präsent sind. So gründeten zwei Schweizer den Industriepark Beluluane, der mit 7000 Arbeitsplätzen zum grössten Arbeitgeber in Maputo und dieser Provinz geworden ist.
Die Initiative der Schweiz war sehr erfolgreich. Sie hat Schweizer Investoren angezogen. Bald will die Schweiz auch in den landwirtschaftlichen Sektor expandieren.
Grössere Schweizer Unternehmen hingegen haben das Land verlassen, obwohl sie einen starken Rückhalt hatten. Das ist schade, zumal andere ausländische Firmen teilweise deren Platz eingenommen haben.
Viele grosse Schweizer Unternehmen wissen zu wenig über afrikanische Länder. Sie konzentrieren sich deshalb lieber auf Asien. Aber der afrikanische Kontinent und insbesondere Mosambik haben ein enormes Potenzial.
In der Provinz Cabo Delgado im Norden Mosambiks verbreiten islamistische Gruppen seit 2017 Angst und Schrecken. Laut Internationaler Organisation für Migration (IOM)Externer Link sind mehr als 697’500 Menschen vertrieben worden. Eine Gruppe nennt sich «Al-Shabaab» (wörtlich «die Jugend») und behauptet, zum Islamischen Staat (IS) zu gehören.
Im März 2021 nahmen bewaffnete Gruppen die Küstenstadt Palma ein. Der IS bekannte sich zu dem Angriff, wobei allerdings unklar ist, wer die Angriffe tatsächlich steuert. Zwar konnte die mosambikanische Armee die Kontrolle über Palma zurückerlangen, doch der Konflikt droht zu eskalieren. Die EU erwägt gar einen Militäreinsatz in Mosambik.
Der Norden Mosambiks ist eine der ärmsten Regionen des Landes mit einer muslimischen Mehrheit und einer christlichen Minderheit – im Unterschied zum Rest des Landes, wo es umgekehrt ist. Armut und fehlende Perspektiven, eine konfliktreiche Vergangenheit, politische Marginalisierung und Frustration angesichts der zunehmenden Korruption prägen die Region. Dazu kommen enttäuschte Hoffnungen, denn die Entdeckung von Gasvorkommen im Norden hat nicht neue Arbeitsplätze und wirtschaftlichen Aufschwung gebracht, sondern die Taschen der Multis gefüllt. Ein idealer Nährboden also für Islamisten, um Kämpfer zu rekrutieren.
Die Friedensforschung zeigt, dass militärische Interventionen nur wenig Stabilität bringen, wenn die Konfliktursachen nicht angegangen werden. Gerade in Mosambik könnte eine militärische Einmischung des Auslands zugunsten der Regierungspartei neue oder alte Konflikte befeuern.
Es ist nämlich nicht der erste bewaffnete Konflikt in Mosambik: Kurz nach der Unabhängigkeit Mosambiks im Jahr 1975 begann ein blutiger Bürgerkrieg zwischen der sozialistischen Regierungspartei «Mosambikanische Befreiungsfront» (Frelimo) und der konservativen anti-kommunistischen Oppositionspartei «Nationaler Widerstand Mosambiks» (Renamo).
Mitten im Kalten Krieg errichtete Frelimo eine «Volksdemokratie», die mit dem sowjetischen und chinesischen kommunistischen Block verbündet war. Als Reaktion darauf förderten die Apartheid-Regime Südafrikas und Rhodesiens den Guerillakrieg des Renamo. Der Krieg war besonders gewalttätig und forderte fast eine Million Todesopfer. Er endete 1992 mit einem ersten Friedensabkommen zwischen den beiden Kriegsparteien.
Seither engagiert sich die schweizerische Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) für den Wiederaufbau und die Friedensförderung in Mosambik. Insbesondere hat die Schweiz unter der Leitung des Botschafters Mirko Manzoni die Verhandlungen für ein zweites Friedensabkommen zwischen der Frelimo und dem Renamo begleitet, das 2019 unterzeichnet wurde.
Manzoni wurde im Juli 2019 von UNO-Generalsekretär Antonio Guterres als dessenpersönlicher Gesandter ausgewählt, um die Umsetzung des Friedensabkommens zu begleiten.
Sibilla Bondolfi
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