Diese Schweizer Botschaften müssen zittern
Ein harscher Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle stellt den Nutzen von kleinen Vertretungen infrage. Ein Botschafter widerspricht.
Einsam? Alexander Hoffet überlegt kurz. Nein, einsam in der fremden Stadt fühle er sich nicht. Aber am Arbeitsplatz «muss ich Entscheidungen oft mit mir selbst treffen», sagt er.
Hoffet ist Botschafter in Bratislava und der einzige Schweizer Diplomat in der Slowakei. Neben ihm sind noch zwei lokal angestellte Mitarbeiterinnen in der Botschaft, ein Fahrer und eine Praktikantin aus der Schweiz.
Beschauliches Europa. Bis letzten Herbst war Hoffet Generalkonsul in der 26-Millionen-Stadt Shanghai. Er hatte 40 Mitarbeiter, 20 davon ihm direkt unterstellt.
An der Wand von Hoffets Büro hängt eine Karte der Slowakei, Stecknadeln markieren die Orte, an denen die 361registrierten Schweizer Staatsbürger leben. Es sind einige Nadeln. Er würde gern bald all die Orte besuchen, über Land reisen, sagt der Botschafter, doch sein Kalender sei voll mit Terminen in der Hauptstadt: Arbeitsessen mit Ministern und Abgeordneten.
Die Slowakei wählt gerade ein neues Staatsoberhaupt, ausserdem hat das Land den Vorsitz der OSZE. Daneben gibt es Ausstellungseröffnungen, Preisverleihungen. «Ich bekomme mehr Inputs, als ich verwerten kann», sagt Hoffet.
Doch der Sinn seiner Geschäftigkeit wird angezweifelt. Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), das oberste Buchprüfungsorgan des Bundes, hat den Nutzen von 31 kleinen Schweizer Botschaften und Konsulaten untersucht und letzte Woche einen harsch formulierten Bericht vorgelegt.
Die Kleinstvertretungen, steht da, verursachten jährliche Kosten von knapp 25 Millionen Franken, hätten aber «kein klar erkennbares Profil», nur «geringe Visibilität» und hinterliessen etwa im bilateralen Dossier mit der EU «kaum konkrete Spuren» von Wirksamkeit.
Weil das Frustrationspotenzial auf den Minivertretungen beträchtlich sei, sei es schwierig, gutes Personal für sie zu finden. Eine Überarbeitung der Strategie im Aussendepartement (EDA) sei «notwendig», für Vertretungen mit «begrenztem Mehrwert» müsse das EDA «Alternativen» andenken. Also wohl: zusperren. Und stattdessen Länderverantwortliche in Bern bestimmen, Botschafter-in-Residence, Gesandte, die zu Hause bleiben.
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Bye-bye, Los Angeles
Zwei der untersuchten Kleinstvertretungen sind bereits zu: Los Angeles und Karachi schlossen 2018. Doch das EDA wird nun kaum einfach die Liste abarbeiten und das Schweizer Vertretungsnetz ausdünnen. Unter den 31 überprüften Aussenstellen finden sich immerhin fast sämtliche Botschaften Skandinaviens sowie Dublin, Lissabon und Luxemburg.
Wer will, dass die Schweiz in diesen Hauptstädten nicht weiter diplomatisch präsent sein soll, muss mit politischem Widerspruch rechnen.
Grundsätzlich gibt sich das Aussendepartement aber empfänglich für die Kritik. Man teile die Sicht der Finanzkontrolle, wonach das Konzept der Kleinstvertretungen «die Grenzen der Funktionsfähigkeit erreicht hat».
Kleinstvertretungen – also Gesandtschaften mit nur einem Diplomaten sowie drei bis vier lokalen Angestellten – erlaubten es der Schweiz nach den Umstürzen der 1990er-Jahre, das Vertretungsnetz in Osteuropa und Zentralasien sowie in den Schwellenländern ohne viel Ressourcen zu erweitern.
Heute scheint das Prinzip «Mehr Diplomatie, gleiche Kosten» ausgereizt. Es gebe zwar «durchaus» Kleinstvertretungen, die «eine positive Wirkung» erzielten, schreibt das EDA wenig kampflustig. Doch weil diese Wirkung oft von einer Einzelperson abhänge, «kann es als Modell nicht überzeugen».
In Bratislava steht und fällt also alles mit Botschafter Hoffet. Er will sich ins Zeug legen, nicht zumachen, im Gegenteil: Er plädiert dafür, zu schauen, was seine kleine Botschaft leistet. Es gehe darum, Präsenz zu zeigen, auch ausserhalb der Hauptstadt. «Bei Treffen mit Bürgermeistern können wertvolle Informationen gesammelt, Wirtschaftskontakte geknüpft werden.»
Derzeit bereitet der Botschafter einen Vortrag zur Schweizer Europapolitik vor, mit dem will er durch die Slowakei touren. Aber wie lange wird er sein Büro allein lassen können? «Besucher nur nach Vereinbarung» steht auf der Messingtafel neben dem Eingang zur Botschaft.
Für die meisten Bürgerinnen und Bürger sind Botschaften und Konsulate in erster Linie Anlaufstellen bei Ärger im Ausland. Das gilt nicht nur für die rund 750’000 Auslandschweizer.
Das EDA weist auf die steigende Zahl der Ferienreisenden hin, die ein dichtes Vertretungsnetz rechtfertigen. Wo sonst sollen Touristen in Uruguay oder Guatemala anrufen, wenn ihnen Pass und Rucksack abhandengekommen sind?
Wobei: Konsularische Dienste, also die Behandlung von Visa- und Passanfragen, bieten die Kleinstvertretungen oft gar nicht an. Dafür muss die nächstgrössere Vertretung bemüht werden, oft in einem anderen Land. Auch Bratislava hat keine Konsularabteilung, verweist ans 70 Kilometer entfernte Wien.
Hilfe für Gestrandete
Informationsbeschaffung, Exportförderung, Landeswerbung: Diplomatische Vertretungen haben weitere Funktionen jenseits des Konsularischen. In manchen Staaten Afrikas und Asiens spiele ein Botschafter oder Konsul auch für die Entwicklungszusammenarbeit oder Friedensförderung eine wichtige Rolle, sagt Laurent Goetschel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Basel. «Wenn die Schweiz sich in dieser Art in einem Land einsetzen will, macht eine Kleinstvertretung Sinn.»
Überhaupt sind Vertretungen an entlegenen Orten wie Antananarivo, Bischkek oder Maputo vielleicht sinnvoller, als es scheint – im Gegensatz zum gut erschlossenen Luxemburg oder zu Norwegen sind dort Orientierungshilfen rar.
Zuletzt geht es für die Schweiz auch um Sicherheit durch ideologiefreie diplomatische Beziehungen mit der möglichst ganzen Welt. Als neutraler Staat, der nicht Mitglied einer Allianz sei, müsse die Schweiz über ein «breit abgestütztes Beziehungs- und Vertretungsnetz» verfügen, um ihre Interessen wahrnehmen zu können, schreibt das EDA.
So sind ein paar wenig produktive Konsulate für die Schweiz vielleicht durchaus von Nutzen. Kleinstbotschaften in europäischen Staaten sind schliesslich auch Lobbying-Stationen für das Nicht-EU-Land Schweiz. Der Abbau einer Vertretung gelingt zudem kaum je ohne Brüskierung des Gastlandes.
Die Eidgenössische Finanzkontrolle habe das Thema ausschliesslich aus finanzpolitischer Sicht behandelt, sagt Elisabeth Schneider-Schneiter, die Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission im Nationalrat. Das sei zwar ihr Auftrag, aber «einfach sämtliche kleinen Botschaften über einen finanzpolitischen Leisten zu schlagen, scheint mir zu kurz gegriffen».
Gerade die Schliessung von Botschaften im Osten der EU wie in Bratislava hält Schneider-Schneiter für falsch: Immerhin sei die Slowakei Mitempfängerin der Ostmilliarde, zudem gebe es eine historische Verbundenheit durch die Flüchtlinge des Prager Frühlings 1968. Auch geopolitisch sei es falsch, Staaten im Osten der EU den Rücken zu kehren, sagt Schneider-Schneiter: «Das stärkt nur Russland.» Kleine Botschaft, grosses Zeichen.
Dieser Artikel erschien erstmals im Tages-AnzeigerExterner Link vom 22. März 2019.
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