«Die Schweiz kann die OSZE revitalisieren»
Die vom Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter ins Spiel gebrachte OSZE sei die ideale Vermittlerin im Konflikt in der Ukraine, sagt David Svarin, Experte für russische Aussenpolitik und den eurasischen Raum. Die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Vermittlerin helfe der kritisierten Organisation, wieder auf die Füsse zu kommen.
Mit der Entsendung des erfahrenen Krisenvermittlers Tim Guldimann nach Kiew habe Didier Burkhalter ein diplomatisches Ass ausgespielt, sagt Svarin im Gespräch mit swissinfo.ch. Der 28-jährige Schweizer ist Projektkoordinator beim Thinktank «Foraus – Forum Aussenpolitik» und Doktorand am King’s College in London.
swissinfo.ch: Der Schweizer Aussenminister und OSZE-Vorsitzende Didier Burkhalter will die Organisation in der Ukraine als Vermittlerin zwischen den Konfliktparteien etablieren. Ist dies angesichts der starken «Konkurrenz» der USA und der EU realistisch?
David Svarin: Durchaus. Ob die «Konkurrenz» der USA und der EU sehr stark ist, bezweifle ich. Was die Vermittlung betrifft, waren die USA in der Krise der Ukraine nicht sehr aktiv, die EU dagegen schon. Das Problem der EU und zugleich die Stärke der OSZE aber ist die Legitimität, die sie als Organisationen besitzen.
Letztere ist eine einzigartige Organisation mit 57 Mitgliedstaaten, von denen vier dem UNO-Sicherheitsrat angehören. Weil die OSZE den Westen wie auch den Osten repräsentiert, verleiht ihr dies eine Legitimität, die ihr hilft, in der Ukraine aufzutreten.
Aussenminister Burkhalter hat sie als ein «gemeinsames Dach für die euro-atlantische und eurasische Region» bezeichnet. Aufgrund dieser Idee einer Brücke zwischen den verschiedenen Regionen hat die OSZE bei ihrer Mission in der Ukraine sehr gute Chancen. Es gibt kein besseres Forum, das nicht parteiisch ist.
Die Ukraine – westlich und russisch (Tagesschau von SRF vom 23.2.2014)
swissinfo.ch: Es gibt also keine idealere Vermittlerin in der Ukraine als die OSZE?
D.S.: Auf jeden Fall. Ursprünglicher Zweck der OSZE sind die Sicherstellung von Frieden und Stabilität in Europa, und die Ukraine ist ein europäisches Land.
Vor dem UNO-Sicherheitsrat in New York schlug Aussenminister Burkhalter am Montag seitens der OSZE eine internationale Kontaktgruppe vor, die Lösungen zur Konfliktbeilegung erarbeiten soll.
Ihr sollen neben der Ukraine auch die EU, die USA und Russland angehören.
Burkhalter wird seine Pläne auch noch US-Aussenminister Joe Biden unterbreiten.
Der Schweizer Vorschlag werde in Washington auf offene Ohren stossen, glaubt der Schweizer Ex-Diplomat François Nordmann.
Dies auch deshalb, weil die Schweiz der Balkanregion hohe Priorität beimesse. «Die USA wünschen, dass die Schweizer Diplomatie erreicht, dass Kosovo zum 58. Mitglied der OSZE wird», schrieb Nordmann in der Westschweizer Zeitung Le Temps.
swissinfo.ch: Aber die OSZE war in der letzten Zeit politisch kaum mehr handlungsfähig und glaubwürdig. Was will Burkhalter jetzt in Kiew in die Waagschale werfen?
D.S.: Es stimmt, dass die OSZE in dieser Hinsicht in den letzten Jahren sehr viel Kritik einstecken musste. Diese war teilweise auch angebracht. Sie bezog sich eher auf die politische Mission. Was die Feldmissionen angeht, etwa Wahlbeobachtungen, war sie durchaus handlungsfähig. Und bis anhin hat kein Mitglied die Organisation verlassen.
Die Schweiz hat sehr gute Möglichkeiten, die OSZE wieder etwas zu revitalisieren. Dies vor allem aufgrund ihrer sehr grossen Glaubwürdigkeit, die sie innerhalb der Organisation geniesst. Dann ist die Konfliktvermittlung eine Stärke der Schweiz, gerade in dieser Region. Das verleiht ihr jene Glaubwürdigkeit, die ihr hilft, die OSZE wieder etwas auf die Füsse zu bringen.
Konkret kann sie den Sondergesandten Tim Guldimann in die Waagschale werfen, der extrem viel Erfahrung mit OSZE-Missionen besitzt (siehe Extra). Guldimann, der auch Russisch spricht, ist ein Ass, das die Schweiz im Ärmel hatte und jetzt ausspielt.
Es ist auch wichtig, dass dieser OSZE-Gesandte ein Schweizer ist. Weil er neutral ist, entfallen Konflikte, etwa wegen allfälliger Einflussnahme seitens der EU.
Botschafter Tim Guldimann in der Ukraine (Tagesschau von SRF vom 26.2.2014).
Der Schweizer Aussenminister Didier Burkhalter, der 2014 im Namen der Schweiz die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) präsidiert, hat Tim Guldimann mit einer OSZE-Vermittlungsmission in der Ukraine betraut.
Der Schweizer Botschafter in Deutschland hat in Kiew bereits am Montag erste Gespräche geführt.
Der 63-jährige Spitzendiplomat blickt auf eine lange Praxis als Konfliktvermittler zurück: 1996/97 leitete Guldimann als Botschafter in Moskau die OSZE-Mission in Tschetschenien, wo er den ersten Friedensvertrag aushandelte.
Er leitete auch die OSZE-Missionen 1997 bis 1999 in Kroatien und in Kosovo (2007-2008).
Von 1999 bis 2004 war er Botschafter in Teheran, wo er auch die Interessen der USA gegenüber dem Mullah-Regime vertrat.
swissinfo.ch: In Kiew ist der Fahrplan in Umsetzung, was Verfassungsreform, Neuwahlen und eine Übergangsregierung der nationalen Einheit angeht. Welches sind die Hauptschwierigkeiten für Guldimanns OSZE-Vermittlungsmission?
D.S.: Die Lage in der Ukraine ist nach wie vor sehr instabil. Alles ging sehr schnell, auch die Aufstellung der Übergangsregierung. Die OSZE muss versuchen, mit allen Akteuren in Kontakt zu sein und die Prozesse zu begleiten. Die Opposition war ja nicht homogen, sondern es handelt sich um verschiedene Gruppierungen und Parteien.
Dann gibt es Spannungen zwischen dem Osten und Westen des Landes. Die OSZE muss versuchen, alle diese unterschiedlichen Strömungen miteinzubeziehen. Wichtig ist insbesondere die Beobachtung der Präsidentenwahl, damit kein Wahlbetrug stattfindet.
In dieser Gesamtsicht darf die Krim nicht ausser Acht gelassen werden, ein sehr russisch dominierter Teil der Ukraine, der auch eine russische Militärbasis aufweist. Da war ja schon von Ablösung oder Autonomie die Rede. Auch diese Regionen muss man in den politischen Prozess miteinbeziehen.
swissinfo.ch: Sie sagen, dass eine erfolgreiche Mission eine Win-Win-Win-Situation bringen könne, weil die Ukraine, die OSZE und die Schweiz dabei gewinnen können. Was winkt der Schweiz?
D.S.: Die Schweiz kann als neutraler und glaubwürdiger Akteur dazu gewinnen, der helfen kann, in Europa und der Welt zu Frieden und Stabilität beizutragen. Dies ist ein Image der Schweiz, das zutrifft und das gepflegt werden muss. Die Schweiz als kleines Land hat wenig Macht. Eine Organisation wie die OSZE gibt ihr eine gewisse Chance, sich stärker in der internationalen Diplomatie einzubringen.
Zudem sind viele der 57 Mitgliedstaaten wichtige bilaterale Partner der Schweiz. Zu Russland, einem wichtigen OSZE-Land, pflegt die Schweiz gute Beziehungen. Eine gute Führung durch die OSZE-Präsidentschaft kann sich auch positiv auf die bilaterale Zusammenarbeit auswirken.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch