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Die Schweiz wird im Fadenkreuz der USA bleiben

Die UBS ist nicht die einzige Schweizer Bank, die unter Druck der IRS steht. Keystone

Washington wird nach Einschätzung amerikanischer Experten den Druck auf Bern im Steuerbereich auch in der zweiten Amtszeit von Barack Obama aufrechterhalten. Und Meinungsumfragen zeigen, dass die amerikanische Öffentlichkeit wenig übrig hat für Steuerbetrüger.

In einem Interviev mit swissinfo.ch hatte Yves Rossier, Staatssekretär im Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), jüngst erklärt, der Bankenstreit stehe wohl «nicht zuoberst auf der Agenda des Präsidenten». Rossier äusserte die Ansicht, dass es sicher noch ein «paar Monate» dauern werde, bevor man mit den USA ein Abkommen abschliessen könne. Dies, nachdem die Schweiz vor fast einem Jahr erklärt hatte, man stehe einer Lösung relativ «nahe».

Nach Einschätzung von drei amerikanischen Beobachtern und Akteuren im bilateralen Streit rund um Steuern und Bankgeheimnis werden die Schweiz und ihre Banken nach der Wahl Obamas für eine zweite Amtszeit sowie der ebenfalls bekräftigten Mehrheiten der Demokraten im Senat und der Republikaner im Repräsentantenhaus wie seit 2006 weiter im Fadenkreuz der USA stehen.

IRS-Priorität

 

«Der Druck der USA auf die Schweiz wird wie vor den Wahlen weitergehen. Schwierig zu sagen, ob er noch zunehmen wird, denn er ist ja schon recht stark», sagt zum Beispiel Heather Lowe, Direktorin für die Beziehungen zur amerikanischen Regierung bei der Nichtregierungs-Organisation Global Financial Integrity (GFI) in Washington, die auf das Thema illegale Finanzströme spezialisiert ist.

Der ehemalige Staatsanwalt Lawrence Horn, heute Anwalt in der Kanzlei Sills, Cummins & Gross, denkt ebenfalls, dass die Intensität des Drucks auf die Schweiz wohl kaum abnehmen werde. Die US-Steuerbehörde IRS (Internal Reveneu Service) räumt dem Thema Steuerflucht und Steuerhinterziehung nach wie vor erste Priorität ein. Fragen wie Steuerflucht und Steuernischen hätten für die politischen Kreise in den USA «grosse Priorität», unterstreicht Horn.

Der Druck auf die Schweiz könnte aufgrund der Budgetkrise in den USA sogar noch zunehmen, fügt Horn hinzu. «Demokraten und Republikaner, das Weisse Haus und der Kongress, müssen schauen, wie sie die Einnahmen des Staates vermehren können, und da sie die Steuern nicht erhöhen wollen, müssen sie anderswo Einnahmen finden», erklärt der Anwalt, der amerikanische Kunden der UBS vertritt.

Ein «populistisches» Dossier

In diesem Budgetkontext und in einem wirtschaftlich und sozial nach wie vor schwierigen Umfeld hatte das Sperrfeuer der Wahlkampagne von Barack Obama gegen Mitt Romney im Zusammenhang mit 3 Mio. Dollar, die der Republikaner bis 2010 bei der UBS platziert hatte, nach Ansicht von Heather Lowe dazu beigetragen, dass das Thema Steuerflucht «zu einer heissen Frage, einem populistischen Dossier» geworden ist, das auf der politischen «Agenda weit oben» steht.

«Verschiedene Interessengruppen, vor allem Gewerkschaften, haben ihre eigenen Meinungsumfragen zu dem Thema durchgeführt und sind zum Schluss gekommen, dass die amerikanische Öffentlichkeit sehr besorgt und auch verärgert ist, was dieses Dossier angeht» erklärt Lowe. «Den Gewerkschaften ist bewusst geworden, dass das Dossier bei den Leuten, die sie vertreten, auf Widerhall stösst – und die Botschaft ist, dass es nicht sehr amerikanisch ist, sein Geld im Ausland zu parkieren», fügt die NGO-Vertreterin hinzu.

Scott Michel, Professor für Steuerrecht an der Universität von Miami und Präsident der renommierten Anwaltskanzlei Caplin & Drysdale in Washington, die amerikanische Kunden von Schweizer Banken vertritt, hat jüngst neben Kathryn Keneally, der für diese Themen zuständigen neuen Vize-Justizministerin, an verschiedenen Veranstaltungen teilgenommen.

Andere Länder auf der Anklagebank

Scott Michel weist darauf hin, dass Kathryn Keneally «sehr deutlich und wiederholt ihrer Dankbarkeit für die Kooperation der Schweiz» zum Ausdruck gebracht habe. Sie habe auch «unterstrichen, dass der Druck der USA nicht nur die Schweiz betreffe». Das Justizministerium stelle auch Ermittlungen an, bei denen es um Israel, Hong Kong, Südkorea und vielleicht auch Singapur gehe.

Dennoch denkt der Anwalt, dass sowohl die Steuerbehörde IRS als auch das Justizministerium «ihren Druck auf die Schweiz aufrecht erhalten werden, um mehr Namen von Kontoinhabern zu erhalten». Er rechnet gar mit «neuen Anklagen und mehr schlechter Publizität für die Schweiz in den Medien».

Doch keiner der von swissinfo.ch befragten Experten rechnet mit raschen Schritten auf Seite der amerikanischen Behörden. «Nichts mahlt langsamer als die Mühlen der Regierung», erklärt etwa Lawrence Horn.

Mit der Vergangenheit aufräumen

Die Affäre droht also, sich noch lange hinzuziehen. Nach Ansicht von Scott Michel sollte dies aber insgesamt nicht zu einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen führen.

«Ich denke nicht, dass sich das Thema langfristig negativ auf das Bild der Schweiz in den USA auswirken wird. Die Schweiz ist eine Verbündete der USA, und das auf vielen Ebenen. Grundsätzlich sind die Beziehungen sehr freundschaftlich und die wirtschaftlichen Beziehungen bedeutend. Und bei dieser ganzen Angelegenheit, inklusive Anklagen und alles weitere, geht es vor allem darum, mit der Vergangenheit aufzuräumen», erklärt Michel.

Und Heather Lowe begrüsst es, dass die Schweiz erkannt habe, dass der «Weg, den sie beschritt, in der aktuellen wirtschaftlichen Lage nicht wirklich nachhaltig ist». Bei ihrer Organisation GFI sei man aber nicht sicher, «ob die Schweiz wirklich begriffen hat, wie sehr das Bankgeheimnis zum Steuerbetrug beigetragen hat».

Erneut droht einer Schweizer Bank eine Anklage aus den USA, nämlich der Genfer Privatbank Pictet & Cie. Die Bank hatte am Sonntag bestätigt, dass das US-Justizministerium vor kurzem
eine allgemeine Untersuchung über die US-Aktivitäten des Private Banking von Pictet eingeleitet habe.

Laut der Zeitung Sonntag sollen neu 13 Schweizer Banken auf der Liste der US-Behörden stehen.

Als erste Schweizer Bank war die UBS ins Fadenkreuz der amerikanischen Justiz- und Steuerbehörden geraten. 2009 wurde sie wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Busse von 780 Mio. Dollar verurteilt.

Im Jahr darauf unterzeichnete die Schweizer Regierung ein Abkommen über die Lieferung von Daten von 4500 amerikanischen Kunden der UBS an die US-Behörden. Das Abkommen wurde 2010 vom Parlament ratifiziert.

Steueramnestien in den USA haben 30’000 Steuersünder dazu veranlasst, ihre im Ausland versteckten Vermögen offenzulegen. In dem Zusammenhang gelangte die US-Justiz an zahlreiche Beweise für die Beihilfe von Schweizer Banken zu Steuerdelikten.

2011 eröffneten die US-Behörden wegen mutmasslichen Verstössen gegen US-Steuerrecht Untersuchungen gegen 11 Schweizer Banken, darunter die Credit Suisse.

Mehrere Schweizer Bankangestellte und Anwälte wurden in den vergangenen Monaten in den USA verhaftet oder angeklagt. Unter ihnen drei Manager der Privatbank Wegelin. Ende Januar 2012 gab die Bank den Verkauf eines grossen Teils ihres Geschäfts an die Raiffeisen-Gruppe bekannt.
 
Einige Tage später erhob die amerikanische Justiz Klage gegen Wegelin wegen Beihilfe und Anstiftung zur Steuerhinterziehung. Es war das erste Mal, dass in den USA eine ausländische Bank für solche Praktiken offiziell angeklagt wurde.

Ende 2011 verlangte die US-Justiz von den Schweizer Banken Unterlagen zu ihren USA-Geschäften, inklusive der Namen von Mitarbeitern und Informationen über Zehntausende ihrer Kunden.

Nachdem sie sich zuerst dagegen ausgesprochen hatte, gab die Schweizer Regierung später grünes Licht für die Übergabe dieser Daten an die USA, was in der Schweiz für eine Kontroverse sorgte.

Die Schweiz und die USA verhandeln seit Monaten über eine globale Lösung des Steuerstreits.

(Übertragung aus dem Französischen: Rita Emch)

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