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Die Stasi in der Schweiz

Nicht jeder Spion ist so leicht zu erkennen. RDB

Informelle Mitarbeiter, tote Briefkästen, internationaler Waffenhandel: Was der Historiker Erwin Bischof in seinem zweiten Buch beschreibt, klingt nach Agententhriller, war aber real und bislang kaum bekannt: Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten.

Sein Deckname war «Robert». Über sechs Jahre lang lebte und arbeitete der bekannte Radiojournalist und Hörspielregisseur Joachim Staritz Anfang der 1980er-Jahre in der Schweiz, bestens vernetzt mit Journalisten, Kulturschaffenden und Wissenschaftlern. Was niemand ahnte: Staritz war ein informeller Mitarbeiter (IM) des Ministeriums für Staatssicherheit, kurz Stasi, der DDR.

Tagsüber inszenierte er Hörspiele beim öffentlichen Schweizer Radio DRS, gab Seminare an der Universität Freiburg und Schauspielunterricht am Theater. Nachts stattete er Stasi-Offizieren Bericht ab. Er verriet Details aus dem Leben seiner Schweizer Freunde und Bekannten, nannte Namen hoher Bundesbeamter, zu denen er Kontakte geknüpft hatte, und gab Auskunft über deren politische Einstellung.

Erwin Bischof, Jahrgang 1940, studierte Geschichte und Germanistik in Bern, Bonn und Genf.

Von 1971 bis 1980 war er als Schweizer Diplomat u.a. bei der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) und seitdem selbständiger PR-Berater.

Von 1986 bis 1991 war er FDP-Kantonsparlamentarier in Bern.

1993 gründete Bischof den Verein interforum, der Symposien und Seminare für Wirtschaftskreise in der Schweiz veranstaltet.  

Die Stasi in der Schweiz

Der Fall «Staritz» ist einer von 13 Spionagefällen, die der Historiker, ehemalige Diplomat und freisinnige Kantonsparlamentarier Erwin Bischof in seinem Buch «Verräter und Versager – Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten» beschreibt, das dieses Frühjahr erschienen ist.

Seit fast 20 Jahren recherchiert Bischof in 14 Archiven in Deutschland und der Schweiz, zehntausende Akten hat er gesichtet, um ein Stück Geschichte aufzuarbeiten, das in der Schweiz bislang weitgehend unbekannt ist: die Beziehungen der Schweiz zur DDR.

Im Jahr 2010 ist mit «Honeckers Handschlag» sein erstes Buch zum Thema erschienen. In «Verräter und Versager» schildert er nun, wie die Stasi auf politischem, wirtschaftlichem und militärischem Gebiet in der Schweiz operierte.

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Kommunistische Unterwanderung

Bischofs Ziel: der Verharmlosung der DDR entgegenwirken. «Die Bedrohung durch den Kommunismus war wesentlich grösser, als wir geahnt haben», sagt Bischof gegenüber swissinfo.ch. «An 13 von 500 existierenden Spionagefällen habe ich gezeigt, wie die DDR die Schweiz unterwandert hat. Das hat man damals nicht gewusst. Man war völlig naiv und hat geglaubt, dass die Bedrohung aus dem Osten die neutrale Schweiz nicht betreffe.»

Mit seinen Büchern will Bischof dazu beitragen, die Beziehungen Schweiz-DDR in verschiedenen Aspekten ins Bewusstsein der Schweizer Öffentlichkeit zu bringen. Laut Bischof wurde das Thema auch von diversen Politikern kommentiert. «Die meisten begrüssen, dass man das endlich macht.»

In seinem erstem Buch Honeckers Handschlag geht es um die Beziehungen der Schweiz zur DDR in den Jahren 1960 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands 1990.

Insbesondere beleuchtet Bischof dabei die Beziehungen der DDR zu Schweizer Parteien, Kirchen, Vereinen, Intellektuellen und Medien. Er weist u.a. nach, dass die SED die Schweizer Partei der Arbeit nicht nur ideell, sondern auch finanziell unterstützte.

Auch die DDR-Kontakte und –Reisen einiger Schweizer SP-Politiker wie Helmut Hubacher und Peter Vollmer sowie von Andreas Blum – dem früheren Direktor von Schweizer Radio DRS – sind Thema des Buches.

Honeckers Handschlag – Beziehungen Schweiz-DDR 1960-1990 ist 2010 im interforum-Verlag erschienen. Es umfasst 333 Seiten.

Sein zweites Buch Verräter und Versager – Wie Stasi-Spione im Kalten Krieg die Schweiz unterwanderten ist 2013 im interforum-Verlag erschienen. Es umfasst 256 Seiten.

Nicht immer wissenschaftlich

Gleichzeitig liest sich Bischofs Buch streckenweise wie eine Polemik gegen die – wie er sie nennt – «engagierte» politische Linke der Schweiz, wozu er die Partei der Arbeit, Akteure der POCH (Progressive Organisationen der Schweiz) sowie den linken Flügel der Sozialdemokraten zählt.

Marxistische Studenten der Universität Bern in den Jahren 1969/70 beschimpft er zum Beispiel als «kindisch», «arrogant und dumm» und macht sie und weitere Akteure der damaligen «engagierten Linken» indirekt mitverantwortlich für den Tod von vielen Millionen Menschen, die der Kommunismus weltweit auf dem Gewissen habe. Aber auch viele Schweizer Journalisten der 1970er-Jahre – vor allem der öffentlichen Radio- und Fernsehgesellschaft SRG – kritisiert Bischof wegen eines «Linksdralls» scharf.

Solche Kritik kommt unsachlich daher. Dies – kombiniert mit teils sehr umgangssprachlichen Formulierungen, abenteuerlichen Exkursen und eigenwilligen Schlussfolgerungen – mindert den Grad an Wissenschaftlichkeit des Buches und machen Bischof angreifbar, auch wenn alle Fakten durch nachgewiesene Quellen belegt sein mögen. «Ich will nicht unangreifbar sein», sagt er. «Ein Geschichtsbuch, das nicht wertet, ist eine reine Faktenhuberei, die niemanden interessiert.»

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Viele offene Fragen

«Der Zugriff von Herrn Bischof ist selektiv, nicht systematisch», sagt dazu Jochen Staadt, Projektleiter des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. «Seine Erkenntnisse sind für Deutschland nicht sensationell neu. Für die Schweiz sind sie aber ein wichtiger Impuls, denn dort wurde die Diskussion bislang nicht so geführt, wie man das hätte machen können und wie das in den 1990er-Jahren in Deutschland getan wurde.»

Die Stasi-Spione in der Schweiz bezeichnet Staadt als «Feld-Wald-Wiesen-Spione» und «kleinkarierte Spitzel» und erklärt dies mit dem «Vollständigkeitsfimmel» der DDR.

Dennoch blieben auch weiterhin viele Fragen offen, so Staadt weiter. So haben die USA zum Beispiel Unterlagen über Stasi-Geheimdienstaktivitäten an die Schweizer Ermittlungsbehörden weitergeleitet, die bis heute unter Verschluss seien. «Niemand weiss, was aus diesem Material geworden ist. Auch Bischof ist da nicht rangekommen», sagt Staadt.

Zu den noch ungeklärten Fragen zählt unter anderem der Verbleib von Geldern des DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski. Im Iran-Irak-Krieg habe die DDR Waffen im Wert von 1,2 Milliarden Dollar an die beiden Staaten verkauft, erklärt Staadt. «Diese Gelder mussten bewegt werden. Die Schweiz spielte da eine grosse Rolle. Schalck-Golodkowski unterhielt mehrere Depot-Konten bei der Bank für Handel und Effekten in Zürich, auf denen etliche Millionen in Dollar und Deutscher Mark geparkt waren.»

Hierzu gebe es in der Schweiz jedoch von offizieller Seite keine systematische Untersuchung. Bischofs Forschung hält Staadt daher für die Schweiz für politisch und gesellschaftlich relevant.

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