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Die Ukraine als Spielball der Macht

Einwohner tragen in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, eine russische Fahne. Die Mehrzahl der Ukrainerinnen und Ukrainer auf der Halbinsel sind russischstämmig. Keystone

Die Schweizer Zeitungen bringen den Aufmarsch russischer Truppen auf der ukrainischen Halbinsel Krim und die Generalmobilmachung der Streitkräfte in der Ukraine vom Wochenende auf einen gemeinsamen Nenner: Der russische Präsident Wladimir Putin benutzt die Krim als Verhandlungspfand im Poker um die Macht am Schwarzen Meer.

«Putin ist am Ziel», titeln Der Bund und Tages-Anzeiger. «Vor einer Woche feierte er in Sotschi noch den Sieg auf dem Spielfeld, nun geht es um einen ganz anderen Sieg», schreibt die Kommentatorin. Zwar trete Putin nicht als Feldherr auf, doch das habe er gar nicht nötig, «denn faktisch ist Putin bereits am Ziel: Russland hat die Kontrolle über die Krim übernommen».

Der Konflikt mit Georgien habe gezeigt, wie Russland in Staaten der ehemaligen Sowjetunion abtrünnige Gebiete unter seinen Einfluss bringe. Der Ukraine drohe nun das gleiche Szenario. «Sollte die Ukraine es wagen, die Krim anzugreifen, wird die russische Armee zurückschlagen. Derweil macht Russland die Krim zu einem Stachel im Fleisch der Ukraine. Über dieses loyale Gebiet wird man im Bedarfsfall auch in der Ostukraine Unruhe stiften können.»

Radio-Beitrag SRF, Echo der Zeit vom 2.3.2014: Die Ukraine bereitet sich auf Krieg vor

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Dies verbaue der Ukraine eine Zukunft in der Europäischen Union (EU). «Die EU hat bei anderen Gelegenheiten klargemacht, dass sie keine ungelösten territorialen Konflikte in die Gemeinschaft hineintragen will. So kann Russland die Ukraine zwar nicht mehr zu seinem Partner machen in der Eurasischen Union, die Putin als Gegenstück zur EU aufbauen will. Doch wenigstens kann sich das Land auch nicht dem Westen anschliessen.»

Dieser stehe dem «russischen Treiben» weitgehend machtlos gegenüber, so Tagi und Bund. «Putin kann sich darauf verlassen, dass weder die Europäer noch die Amerikaner einen Krieg mit Russland beginnen werden wegen der Krim.»

Doch noch sei nicht klar, ob «Putin auch auf der Krim so billig davonkommt». «Sollten bewaffnete ukrainische Gruppierungen versuchen, ihm die Beute abzujagen, könnte die Lage ausser Kontrolle geraten und Putin genötigt sein, das zu tun, was er vermeiden will: einen offenen Krieg um die Krim zu führen. Und das hätte ohne Zweifel unabsehbare Folgen für Russland, die Ukraine und ganz Europa.»

Bundespräsident Didier Burkhalter hat am Montag zum Dialog in der Ukraine-Krise aufgerufen. Vor dem UNO-Menschenrechtsrat rief er alle Beteiligten auf, die territoriale Integrität des Landes zu respektieren.

Eine stabile, demokratische und vereinigte Ukraine sei im Interesse aller. In diesem Zusammenhang schlage die Schweiz als amtierende Vorsitzende der OSZE die Schaffung einer internationalen Kontaktgruppe vor.

Diese solle die Ukraine in der Übergangsphase unterstützen. Die Gruppe solle die Koordination und den Informationsaustausch für die internationalen Hilfeleistungen und die Umsetzung von Projekten gewährleisten.

Bei der zur Zeit laufenden OSZE-Dringlichkeitssitzung in Wien werde ausserdem die Schaffung einer Beobachtermission für die Ukraine diskutiert, die sich vor allem mit der Situation der Minderheiten und der Menschenrechte in der Ukraine beschäftigen soll.

Der Schweizer Aussenminister rief die ukrainische Übergangsregierung in Kiew auf, das OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODIHR) zu beauftragen, eine Delegation einzuladen, welche die Menschenrechtslage evaluieren und die Vorfälle der letzten Tage untersuchen soll.

Der OSZE-Sondergesandte Tim Guldimann glaubt an die Möglichkeit der Schaffung einer internationalen Kontaktgruppe zur Ukraine. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Wlaidimir Putin hätten sich nach einem Telefongespräch am 2. März positiv dazu geäussert, sagte der Schweizer Diplomat.

Quelle: SDA

«Zündelnder Feuerwehrmann»

Der Blick geizt nicht mit Wortspielen und Vergleichen: «Der Kalte Krieg ist zurück» und «Putins Kriminelles Spiel», titelt das Boulevardblatt. «Der Westen ist fassungslos. Während Uno und Nato Krisensitzungen abhalten, lässt Russlands Präsident Wladimir Putin (61) seelenruhig die Krim besetzen.»

«Wenn es eine Rolle gibt, in welcher es die Chefs des Kremls zur Meisterschaft gebracht haben, ist es jene des zündelnden Feuerwehrmanns», kommentiert die Westschweizer Zeitung Le Temps. «Unruhen schüren, um danach als Retter aufzutreten: Diese Taktik mag überholt wirken. Sie ist oft unfehlbar. Die Tumulte in der Ukraine sind eine Möglichkeit, sie wieder einmal anzuwenden.»

Mit der Entsendung einer unbekannten Anzahl von Soldaten gehe es dem Kremlchef darum, der Ukraine «die Flügel zu stutzen und sie in eine ewige Vasallin umzuwandeln».

Ohne überhaupt über die Zerwürfnisse innerhalb der Ukraine zu sprechen, konfrontiere diese Krise den Westen mit seinen eigenen Widersprüchen. «Bisher haben sich die USA von Barack Obama Mühe gegeben, anderswo hinzuschauen.»

Seit dem Sturz von Präsident Viktor Janukowitsch «tobte der russische Präsident», schreiben die Westschweizer Zeitungen Tribune de Genève und 24 heures. «Mit der autonomen Republik Krim verfügte Wladimir Putin über eine schöne Karte, um die Macht in Kiew zu destabilisieren. Indem es mit der mutmasslichen Angst der dortigen Bevölkerung spielte, hatte Moskau seine Revanche und entschied sich, die Armee einzusetzen.»

«Nur Verlierer»

Mit dem Truppeneinsatz auf der Krim verteidige Russland seinen Einfluss auf die Ukraine mit allen Mitteln, schreibt die Neue Zürcher Zeitung. «Was die wenigsten für möglich gehalten hatten, ist nun eingetreten. Moskau schafft mit militärischer Macht Fakten in der Ukraine und entzieht zumindest Teile des Landes direkt dem Einfluss der neuen Regierung in Kiew.»

In diesem Spiel stehe – bei aller Ungewissheit – bereits heute eines fest: «Putins Säbelrasseln wird nur Verlierer hervorbringen», ist der Kommentator überzeugt. «Die grösste Verliererin dieser Entwicklung ist die Ukraine. Auf absehbare Zeit wird es keine landesweit akzeptierte Regierung mehr geben.»

Der «machtbewusste, aber kompromissbereite Verhandler Putin» zeige nun sein wahres Gesicht: «Er missachtet skrupellos internationale Normen. Dies verheisst auch für die Bewältigung sicherheitspolitischer Herausforderungen abseits des ukrainischen Schauplatzes nichts Gutes. Pragmatische Verständigungen zwischen Russland und dem Westen in Syrien oder der iranischen Atomfrage wird es vorerst keine mehr geben.»

TV-Beitrag SRF, Tagesschau vom 2.3.2014: Droht ein Krieg in der Ukraine?

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Nato-Beitritt verhindern

«Was treibt Wladimir Putin da? Will er etwa einen Krieg riskieren oder ist das alles nur ein Muskelspiel?», fragt sich der Kommentator der Südostschweiz. Die Konfliktlinien seien klar: «Die neue Macht in Kiew hat durch die Abschaffung von Russisch als zweiter Amtssprache im Süden und Osten der Ukraine den Konflikt im Land angeheizt. Moskau seinerseits will die neue ukrainische Regierung, welche das Land in die EU und die Nato führen will, schwächen, wo es nur geht.»

Putin gehe es hauptsächlich darum, den Weg der Ukraine in das westliche Militärbündnis Nato zu verhindern. «Das für den 30. März angesetzte Referendum über eine weitgehende Autonomie der Halbinsel soll ohne Störungen durch ukrainische Sicherheitskräfte abgehalten werden. Wenn die Bewohner der Krim für die Autonomie stimmen, die Halbinsel aber Teil der Ukraine bleibt, hätte Putin sein wichtigstes Ziel erreicht.»

Gemäss Recherchen der Sonntagszeitung spielen Schweizer Waffen «eine tragische Rolle» in der innerukrainischen Auseinandersetzung.

Filmaufnahmen würden beweisen, dass Scharfschützen der ukrainischen Behörden während der Proteste mit lizenzierten Nachbauten von Schweizer Gewehren auf Demonstranten geschossen hätten.

Die Lizenzen seinen im Zusammenhang mit einem «Know-how-Transfer» in die Ukraine gelangt, bestätigte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco).

Die Sonntagszeitung schätzt, die Bilder der Schweizer Scharfschützen-Gewehre auf dem Maidan-Platz in Kiew könnten einen Einfluss auf die Schweizer Politik haben, denn am 6. März will der Nationalrat über eine Lockerung der Kriegsmaterial-Verordnung abstimmen.

Ukraine als Pfand

«Um die Halbinsel Krim tobt vorerst ein Informationskrieg», schreibt die Aargauer Zeitung. Der ukrainische Übergangspremier Arseni Jazenjuk sprach am Wochenende von «Rotem Alarm», während russische Staatsmedien von angeblichen ukrainischen Provokateuren und von Überläufern berichteten.

«Ob es nach dem Informationskrieg zum heissen Krieg kommt, hängt auch vom Geschick der neuen ukrainischen Führung ab. Einen Krieg gegen die Zivilbevölkerung auf der Krim kann sie sich ebenso wenig leisten wie den Verlust der strategisch wichtigen Halbinsel, wenn sie bei den nächsten Wahlen im Amt bleiben will. Beide Seiten haben dabei bisher den Einsatz eher hochgetrieben als die Beruhigung gesucht.»

In diesem Spiel sei Russland taktisch in der besseren Ausgangslage: «Es kann, ohne einen Schuss abzugeben, alles beim Status quo belassen. Die Ukraine versucht unterdessen, internationalen Druck aufzubauen.» Russland müsse sich die Krim gar nicht einverleiben, so der AZ-Kommentator. «Als Pfand in den Verhandlungen mit der Ukraine könnte sich die Halbinsel als wesentlich nützlicher erweisen.»

Eine wichtige Rolle könnte dabei der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko zukommen. «Timoschenko könnte Putin wohl zusagen, sich weder militärisch (Nato-Beitritt) noch wirtschaftlich (Assoziation mit der EU ohne die Berücksichtigung russischer Interessen) völlig von Russland abzukoppeln, zumal das für die ukrainischen Oligarchen ohnehin nicht sinnvoll ist.»

Für die internationale Diplomatie gehe es nun darum, um jeden Preis einen Krieg in der Ukraine zu verhindern, schreibt das St. Galler Tagblatt. «Auch wenn die Deeskalation auf der Krim nicht aus den Augen gelassen werden darf. Die Lage ist explosiv. Eine beabsichtigte oder auch nur eine vermeintliche Provokation, ein einziger Schuss kann genügen, eine blutige militärische Konfrontation auszulösen.»

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