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Was kann man von Joe Biden in der Klimafrage erwarten?

Augustin Fragnière

Der am Mittwoch eingeschworene US-Präsident Joe Biden machte das Klima zu einem zentralen Element seiner Kampagne. Doch gibt es allen Grund zur Annahme, dass der Demokrat vor einer schwierigen Aufgabe steht. Das sagt Augustin Fragnière vom Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine der vier Prioritäten auf Joe Bidens Agenda, neben der Bewältigung der Covid-19-Pandemie, der wirtschaftlichen Erholung und dem Kampf gegen Rassismus und Ungleichheit in der Bevölkerung. Aber was können wir von der neuen US-Regierung wirklich erwarten? Wird Joe Biden die Mittel haben, um seine Versprechen und Ambitionen einzulösen?

Ein beispiellos ehrgeiziges Programm

Nach vier Jahren unerbittlicher Angriffe auf die Klimawissenschaft, der Destabilisierung internationaler Abkommen und der Deregulierung von Treibhausgasemissionen hat die gesamte Klimagemeinschaft nach der Wahl von Joe Biden kräftig aufgeatmet.

«Die gesamte Klimagemeinschaft hat nach der Wahl von Joe Biden kräftig aufgeatmet.»

Biden ernannte John Kerry zum «Sondergesandten des Präsidenten für das Klima». Mit dieser Ernennung holte Joe Biden nicht nur einen hervorragenden und erfahrenen Verhandlungsführer ins Boot, er schuf auch eine neue Position auf höchster Ebene der US-Regierung. Und John Kerry gehört damit in die Reihen des Nationalen Sicherheitsrats, neben dem Aussenminister, dem Minister für Inlandsicherheit und dem Direktor des Geheimdienstes.

Das allein sagt viel über die Bedeutung, die Joe Biden der Bedrohung durch den Klimawandel für die Interessen der Vereinigten Staaten und den Rest der Welt beimisst. John Kerry, ehemaliger Aussenminister unter Obama, befasst sich seit den 1990er-Jahren mit dem Thema Klima.

Als Senator war er Autor mehrerer (erfolgloser) Versuche, Gesetze zum Klimawandel zu erlassen. Später hatte er eine zentrale Rolle bei der Aushandlung des Pariser Abkommens gespielt. Man könnte sich kaum eine bessere Wahl vorstellen, um dieses Thema auf der internationalen Bühne voranzubringen.

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Andererseits wurde Joe Biden auf der Grundlage des ehrgeizigsten KlimaprogrammsExterner Link gewählt, das ein amerikanischer Präsident je vorgelegt hat (nicht sehr schwierig, dürften einige sagen).

Es beinhaltet das Versprechen, dem Pariser Abkommen am ersten Tag seiner Amtszeit wieder beizutreten, 2000 Milliarden Dollar in Energiewende und Umweltgerechtigkeit zu investieren (40% davon müssen an die am stärksten gefährdeten Minderheiten gehen) und die Subventionen für fossile Brennstoffe zu beenden. Zudem verspricht Joe Biden, das Land auf den richtigen Weg zu bringen, um bis 2035 eine vollständig saubere Stromerzeugung und bis 2050 CO2-Neutralität zu erreichen.

Augustin Fragnière arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Nachhaltigkeit an der Universität Lausanne.

Der promovierte Umweltwissenschafter und Philosoph hat in der Schweiz, in Frankreich und in den USA zu den ethischen und politischen Aspekten globaler Umweltprobleme geforscht.

Seine Überlegungen konzentrieren sich vor allem auf Fragen der Klima- und Umweltgerechtigkeit und auf Theorien der Nachhaltigkeit.

Die klimapolitische Analyse-Seite Climate Action TrackerExterner Link schätzt, dass Bidens Programm, falls es umgesetzt wird, den CO2-Ausstoss bis 2050 um 75 Milliarden Tonnen verringern wird; das entspricht der Menge von etwa 15 Jahren beim derzeitigen Ausstoss.

Climate Action Tracker ist der Ansicht, das würde – in Verbindung mit der jüngsten Ankündigung Chinas, bis 2060 CO2-Neutralität zu erreichen – eine Wende im Kampf gegen den Klimawandel bedeuten, die die Welt wieder auf den richtigen Weg bringen könnte, um die Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.

Schwierigkeiten in Sicht

Die Architektur des Pariser Abkommens basiert fast vollständig auf der Idee eines Wetteiferns zwischen den Ländern, um die Ambitionen schrittweise zu erhöhen und voranzutreiben. Der Vertrag enthältkeine verbindlichen Massnahmen, ausser dass jedes Land verpflichtet ist, ein Reduktionsziel festzulegen und alle fünf Jahre über seine Fortschritte zu berichten.

Unter diesen Bedingungen ist es für den Erfolg dieses Abkommens von entscheidender Bedeutung, dass die grössten Emittenten mitspielen und die anderen in eine tugendhafte Spirale immer weiter sinkender Emissionen führen.

Dass der zweitgrösste Emittent der Welt dem Abkommen wieder beitritt, kann unter diesem Gesichtspunkt nur eine gute Nachricht sein. Und wird sicherlich eine neue Welle von Ambitionen auslösen. Joe Biden steht allerdings zweifellos vor vielen Herausforderungen, um seine historische Agenda durchzusetzen, und zwar sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Landes.

Eine Reihe der Massnahmen, die Biden angekündigt hat (z.B. massive Investitionen in die Energiewende), erfordern die Zustimmung des Kongresses. Und obschon die Demokraten die Kontrolle über den Senat knapp wieder erlangt haben, bleibt ihre Mehrheit extrem dünn und sie werden es mit einer Republikanischen Partei zu tun bekommen, die entschlossen ist, Obstruktionspolitik zu betreiben (vor allem durch die berühmt-berüchtigte «Filibuster»-Taktik, die nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit umgangen werden kann).

«Joe Biden sich mit einem bedeutenden Teil der Bevölkerung auseinandersetzen müssen, der sich nach wie vor gegen jegliche Klimapolitik sträubt.»

Andere Massnahmen, wie die Wiedereinführung bestimmter Standards für Treibhausgasemissionen, die Donald Trump ausser Kraft gesetzt hatte, können zwar per Exekutivanordnung ohne Zustimmung des Kongresses durchgesetzt werden. Exekutivanordnungen können aber vor dem Obersten Gerichtshof angefochten werden, und in diesem bestimmt heute eine konservative Mehrheit.

Schliesslich wird Joe Biden sich auch mit einem bedeutenden Teil der Bevölkerung auseinandersetzen müssen, der sich nach wie vor gegen jegliche Klimapolitik sträubt, und zwar so sehr, dass dieses Thema zu einer Frage der politischen Identität in dieser Nation geworden ist, die gespaltener ist denn je.

Die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen deuten zudem darauf hin, dass ein Grossteil der Aufmerksamkeit Bidens – und des neuen Kongresses – zu Beginn der neuen Legislaturperiode dem Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump und der Bewältigung der Folgen des Angriffs auf das Kapitol gewidmet sein wird. Ganz zu schweigen vom Kampf gegen die Covid-19-Pandemie, was das Handeln in anderen Dossiers verlangsamen wird.

Unterstützung der Autohersteller

Gleichzeitig kann Joe Biden aber auch auf Verbündete zählen, um seine Klimapolitik durchzusetzen: Dazu gehören die grossen Autohersteller, die ihre Unterstützung für strengere Emissionsstandards für Autos bereits angekündigt haben, und die KoalitionExterner Link aus Bundesstaaten, Städten, Organisationen und Institutionen, die versprochen hatten, den Kampf gegen den Klimawandel auch ohne Pariser Abkommen fortzusetzen.

Es sei auch darauf hingewiesen, dass der neue Präsident zwar langfristig den Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen versprochen hat, von der Linken aber kritisiert wird für seine Unterstützung von Erdgas als Übergangslösung.

Im Ausland werden der neue Präsident und sein Sondergesandter Kerry viel Arbeit haben, um bei anderen Ländern wieder einen gewissen Anschein von Glaubwürdigkeit und Vertrauen herzustellen. Die USA haben den Ruf, in den Klimaverhandlungen ein relativ unzuverlässiger Akteur zu sein, weil sie sich lange geweigert haben, sich auf verbindliche Beschlüsse in Klimafragen festzulegen.

In den 1990er-Jahren hatte das Land eine zentrale Rolle gespielt beim Aushandeln des Kyoto-Protokolls (dem Vorläufer des Pariser Abkommens), war dann aber am Ende das einzige grosse Land, das dieses Abkommen nie ratifizierte. Nun schien sich die Geschichte mit dem Pariser Abkommen zu wiederholen, so dass andere Länder sich zu Recht fragen könnten, was aus den neuen amerikanischen Versprechen wird, wenn die Amtszeit von Joe Biden in vier Jahren zu Ende geht.

«Eine Klimastrategie erstreckt sich über Jahrzehnte, und ein vierjähriges Mandat erscheint zu kurz, um eine so umfassende Agenda umzusetzen.»

Auch Barack Obamas Versprechen, den Green Climate FundExterner Link mit 3 Milliarden Dollar zu speisen, die Entwicklungsländern bei der Finanzierung ihrer Klimapolitik helfen sollen, wurde bisher nicht eingelöst. Überwiesen wurde erst eine Milliarde, da Donald Trump die ZahlungenExterner Link im Jahr 2017 stoppte.

Während der Verhandlungen zum Pariser Abkommen hatten sich die USA, und John Kerry selbst, beharrlich geweigert, auf das Thema eines finanziellen Ausgleichs für die von Entwicklungsländern erlittenen Schäden einzutreten. Das ist jedoch eine zentrale Forderung jener Länder, die vom Klimawandel am stärksten betroffen sind. Die USA werden ihre Position unbedingt überdenken müssen, wenn Joe Biden und John Kerry in den internationalen Klimaverhandlungen Fortschritte erzielen wollen. 

Es braucht langfristige Kohärenz

Auch wenn es an der internationalen Klimaschutzfront Grund für Optimismus gibt, werden die tatsächlichen Fortschritte zu einem grossen Teil davon abhängen, wie gut der neue Präsident die verschiedenen Hindernisse meistern kann, auf die er bei der Umsetzung seines Projekts stossen wird.

Zudem erstreckt sich eine Klimastrategie über Jahrzehnte, und eine vierjährige Amtszeit erscheint zu kurz, um eine so umfassende Agenda umzusetzen. Das Schicksal des Planeten wird daher mehr denn je zu einem grossen Teil von der Entwicklung des politischen Kräfteverhältnisses zwischen Demokraten und Republikanern im kommenden Jahrzehnt abhängen.

(Übertragen aus dem Französischen: Rita Emch)

Eine erste Version dieses Artikels wurde am 28. November 2020 auf dem Blog ‹Une seule Terre›Externer Link von Augustin Fragnière veröffentlicht, der seinen Text später auf Wunsch von swissinfo.ch aktualisierte. 

Der Artikel gibt die Meinung des Autors wieder, die sich nicht unbedingt mit der Meinung der Redaktion von swissinfo.ch decken muss.

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