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«Die Wahlen werden nicht im Internet gewonnen, noch nicht»

2007 konnte die Grünliberale Partei noch profitieren, weil sie damals neu war und als unverbraucht galt. Keystone

Wie lautet das Rezept für einen erfolgreichen Wahlkampf? Ein Gespräch mit dem Politologen und Kommunikationsexperten Mark Balsiger, der in seinem kürzlich publizierten Ratgeber die Kandidaten vor einem "Blindflug“ bewahren will.

Der Titel des Buches heisst “Wahlkampf statt BlindflugExterner Link“ und richtet sich nicht nur an jene, die sich in der politischen Arena profilieren wollen, sondern auch an alle, die sich für das Gemeinwesen interessieren. In seinem Buch illustriert Balsiger 26 Faktoren und 85 Ratschläge, was in einem Wahlkampf zu tun und zu lassen ist.

swissinfo.ch: Sie haben 2002 ihre Kommunikationsagentur gegründet. Welche Faktoren im Wahlkampf haben sich seither geändert?

Mark Balsiger: 2002 spielte das Internet noch überhaupt keine Rolle. In der Zwischenzeit wurde dieses Instrument entdeckt, kompetent eingesetzt und mit unterschiedlichen Ergebnissen genutzt .Es gibt Leute, die das Internet richtig nutzen, andere setzen es widerwillig ein und ein paar lehnen es ganz ab.

Eines ist sicher, in der Schweiz wird der Wahlkampf nicht im Internet gewonnen. 2007 behaupteten einige «Geeks“, dass in jenem Wahljahr der grosse Durchbruch des Internets stattfinden würde. Dasselbe hörte man 2011 und auch in diesem Jahr ist es nicht anders. Der Durchbruch jedoch stellt sich nicht ein. Stattdessen geht die Entwicklung nur schleichend voran.

Ich denke, dass zwischen 2020 und 2025, wenn die so genannten “Digital Natives“ die Mehrheit ausmachen, sich die Veränderung viel stärker bemerkbar machen wird. Wenn dann jemand Wahlkampf macht, ohne im Internet präsent zu sein, wird das im Fiasko enden.

Mark Balsiger. border-crossing.ch/remo-eisner.ch

swissinfo.ch: Gibt es auch Faktoren, die in den letzten Jahren verschwunden sind?

M.B.: Nein. Auch die Behauptung, dass das Internet etwas Bestehendes ersetzen würde, ist falsch. Das Internet wurde lediglich zu einem Portfolio, das schon seit Jahrzehnten existierte, hinzugefügt.

swissinfo.ch: In ihrem Buch nennen Sie 26 Faktoren für einen erfolgreichen Wahlkampf. Können Sie eine Hitparade erstellen?

M.B.: Sicher. Ich habe all diese Faktoren in einer Pyramide dargestellt. Jene auf der ersten Ebene der Pyramide sind die wichtigsten. Es sind die Elemente, die wahrscheinlich alle kennen: Die Wahl einer etablierten Partei und deren Image, politische Erfahrung, Netzwerk, Listenplatz.

Vor vier Jahren beispielsweise konnten die BDP (Bürgerlich-Demokratische Partei) und die Grünliberale Partei (GLP) von einem solchen Faktor profitieren, nämlich vom Image einer neuen, unverbrauchten Partei. Beide waren erst gegründet worden und viele Wähler sagten sich: «Ok, probieren wir’s mal, wir geben den zwei Parteien unsere Stimme.»

swissinfo.ch: Denken Sie, dass diese zwei Parteien von diesem Faktor bei den bevorstehenden Wahlen noch einmal profitieren können?

M.B.: Ich glaube nicht. Die BDP hat vermutlich den Höhepunkt bereits erreicht. Die Partei kann nicht auf eine Nischen-Wählerschaft zählen. Bei den kantonalen Wahlen vor einem Jahr in Bern, wo sie über das grösste Wählerpotenzial verfügt, hat die BDP ein Drittel der Stimmen verloren. Und im Kanton Basel-Landschaft erlitt sie Anfang 2015 ebenfalls Verluste.

Für die Grünliberalen sieht die Situation etwas anders aus. Gegenüber der BDP ist diese Partei praktisch in allen Kantonen präsent, und sie verfügt in den urbanen Regionen über ein grosses Potenzial. Bis jetzt ist es ihr gelungen, Stimmen sowohl von links wie auch von Mitte-rechts anzuziehen und eine wichtige Nische in der Wählerschaft zu besetzen. Sie ist jene Partei, die in den kantonalen Wahlen der letzten Jahre die grössten Erfolge feiern konnte.

Trotzdem wäre es für die Grünliberalen sehr wichtig gewesen, ihre starke Position im Kanton Zürich, der Wiege der Partei, zu halten. Doch bei den kantonalen Wahlen vom 12. April schafften sie das nicht. Tatsächlich handelte es sich um die erste Niederlage bei Parlamentswahlen für die Grünliberalen seit 2004, dem Jahr ihrer Gründung.

Der Grund ist wohl im schlechten Abschneiden ihrer Initiative zu finden, mit der sie in der Schweiz die Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer ersetzen wollten, und die im März an der Urne von den Stimmbürgern haushoch abgeschmettert wurde. Seither steht die Partei mit dem Rücken zur Wand.

Der Zauber ist verflogen, und jetzt müssen sie alle ihre Kräfte mobilisieren, um bei den Eidgenössischen Wahlen im Oktober nicht Schiffbruch zu erleiden. Vergessen wir nicht, dass sechs ihrer zwölf Abgeordneten im Nationalrat dank Restmandaten bei der Berechnung der Sitzverteilung ins Parlament kamen. Sollte das Pendel in die andere Richtung schwingen, könnte die GLP-Gruppe halbiert werden.

Das Image ist aber auch für die historischen, alteingesessenen Parteien wichtig. Seit 25 Jahren nimmt die Wählerschaft der Christlichdemokratischen Volkspartei und der Freisinnigen Partei (FDP.Die Liberalen) stetig ab. Folglich überlegt sich der Wähler, warum er eine chronische Verliererpartei wählen sollte.

swissinfo.ch: Und die anderen Faktoren?

M.B.: Die zweite Ebene der Pyramide habe ich anhand eines Fragebogens erstellt, den ich an 1500 Kandidaten geschickt habe. Diese Faktoren sind persönlichkeitsbezogen. Zum Beispiel die Unterstützung des Kandidaten durch verschiedene Organisationen, seine Ambitionen und seine Persönlichkeit, die Zeit, die er für den Wahlkampf einsetzen will oder das Geld, das er zur Verfügung hat. Das sind Faktoren, die schwer zu beeinflussen sind.

Die dritte Ebene der Pyramide betrifft die «Faktoren der Verpackung“, hier findet der Wahlkampf in der Schweiz statt. Hier kümmern sich die Kandidaten um Imagepflege und Medienpräsenz, suchen die Nähe zur Wählerschaft und erstellen ein Online-Profil.

swissinfo.ch: Wie beurteilen sie die Online-Präsenz der Kandidaten? Was raten Sie jemandem, der in den sozialen Medien präsent sein möchte?

M.B.: Einige Kandidaten nutzen diese Kanäle professionell, doch dies ist eine kleine Minderheit. Viele nutzen sie bloss als weiteres Schaufenster für ein Wahlplakat und lassen die interaktiven Möglichkeiten ausser Acht. Zudem glauben sie, mit einem minimalen Zeitaufwand eine Wirkung zu erzielen. Das Gegenteil ist wahr, das Engagement in sozialen Medien ist zeitintensiv. 

Wer in den sozialen Medien Erfolg haben will, muss fünf wichtige Punkte beachten: Man muss interaktiv, geistreich, authentisch, beharrlich und interessant sein.

Dazu gebe ich zwei weitere Ratschläge: Alles, was man sagt, sollte man auch am Tag danach im Bahnhof Zürich per Megaphon verkünden können, und man sollte nie etwas publizieren, wenn man mehr als 0,5 Promille Alkohol im Blut hat.

swissinfo.ch: Im letzten Frühling haben im Kanton Zürich zwei Regierungsratskandidaten, darunter der Bisherige, Martin Graf, für die Finanzierung ihres Wahlkampfes auf Crowdfunding zurückgegriffen. Was halten Sie davon?

M.B.: Für Bisherige ist Crowdfunding meiner Ansicht nach nicht kompatibel. Martin Graf verdient mehr als 300’000 Franken im Jahr und lancierte einen Spendenaufruf. Ich persönliche würde keinen Rappen einzahlen.

swissinfo.ch: Wie wichtig ist der Faktor Geld?

M.B.: Sicher wichtig. Ich denke jedoch nicht, dass es in der Schweiz möglich ist, einen Sitz zu kaufen, so wie das in den Vereinigten Staaten geschieht, wo die Schlüsselpositionen nur von Millionären besetzt sind.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christine Fuhrer)

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