Die WM und die Beziehungen Schweiz-Katar
Die internationale Kritik an der Menschenrechtslage in Katar wirft einen Schatten auf die Fussballweltmeisterschaft 2022. Für die wirtschaftliche und politische Führung in der Schweiz hat die katarische Wirtschaftsmacht jedoch kaum an Ausstrahlung eingebüsst.
Sollten die Machthaber:innen in der Schweiz ein gewisses Unbehagen angesichts der Kontroverse um das bevorstehende Fussballturnier verspüren, äussern sie dieses meist hinter verschlossenen Türen. Die Regierung vertritt den StandpunktExterner Link, dass Dialog und Unterstützung der Reformen in Katar prinzipiell wirksamer sind als eine Brüskierung des WM-Gastgebers. Ein Boykott der Veranstaltung kommt daher nicht in Frage.
In der Öffentlichkeit mögen Schweizer Führungspersönlichkeiten beim Thema Menschenrechte eine vorsichtige Haltung einnehmen, doch sie machen keinen Hehl daraus, dass sie mit dem energiereichen Staat lukrative Geschäfte machen und einen Anteil an dessen Flüssiggas erhalten möchten. Finanzminister Ueli Maurer, der Ende des Jahres zurücktritt, ist ein häufiger Gast in Katar. Er wird seine letzte offizielle Reise nutzen, um sich mit seinem Amtskollegen Ali bin Ahmed Al Kuwari auszutauschen – und dem Spiel Schweiz-Brasilien am 28. November beizuwohnen.
Im Jahr 2023 feiern Katar und die Schweiz das 50-jährige Bestehen ihrer diplomatischen Beziehungen. Kulturell liegen Welten zwischen den beiden Ländern, doch beide spielen laut demExterner Link Schweizer Botschafter in Doha, Edgar Dörig, im Verhältnis zu ihrer Grösse in der internationalen Politik und Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Die Beziehungen zwischen den beiden Ländern bezeichnet er als «ausgezeichnet».
Was sind die wirtschaftlichen Interessen der Schweiz in Katar?
Mit einem HandelsvolumenExterner Link von 708 Millionen Franken im Jahr 2021 ist Katar nur der fünftwichtigste Handelspartner der Schweiz im Nahen Osten (die Vereinigten Arabischen Emirate führen die Liste an). Die meisten Exporte in das Emirat entfallen auf Uhren und Schmuck, Edelmetalle und Pharmazeutika. Im Jahr 2021 ging der Handel im Vergleich zum Vorjahr um 52% zurück.
Diese Zahlen erzählen jedoch nicht die ganze Geschichte. Katar – das von seinen Nachbarländern am Golf beschuldigt wird, extremistische Gruppen zu finanzieren – ist zum wichtigsten Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial geworden. Im Jahr 2021 kaufte es für die Sicherheit seiner WM-Stadien Schweizer Flugabwehrsysteme im Wert von fast 210 Millionen Franken. Im Herbst dieses Jahres genehmigte Bern zudem den Verkauf von 6000 Munitionsladungen für den europäischen Kampfjet Eurofighter an Katar für einen nicht genannten Betrag.
Der Swiss Business Hub, der Schweizer Unternehmen bei der Erschliessung ausländischer Märkte unterstützt, hat sein Büro für den Nahen Osten in der katarischen Hauptstadt eröffnet, was die Bedeutung von Doha unterstreicht. Die rund 30 Schweizer Firmen in Katar beschäftigen circa 1000 Personen im Land.
Aber es besteht Appetit auf mehr. Anlässlich des ersten Treffens der Gemischten Wirtschaftskommission Schweiz-Katar im September traf sich Maurer in Zürich mit Al Kuwari, um über wirtschaftliche Chancen zu sprechen, berichtetExterner Link der Wirtschaftsdachverband economiesuisse. Inmitten der Energiekrise und des Krieges in der Ukraine stand der Kauf von verflüssigtem Erdgas beim weltgrössten Exporteur im Vordergrund. Katar sei offen für die Belieferung des Schweizer Marktes, heisst es.
Auch die Schweizer Banken sind in Katar auf Expansionskurs. Die UBS kündigte Anfang des Jahres Pläne zur Einrichtung eines Dienstleistungszentrums an. Die Credit Suisse erklärte, sie werde in Zusammenarbeit mit der Investment Promotion Agency Qatar ein neues Technologiezentrum eröffnen.
Weitere Branchen wollen ebenfalls von der Kaufkraft im Emirat profitieren. Schweizer Spitäler und Hotels suchen nach Partnerschaften in Katar, wie Dörig den Delegierten einer Gastgewerbeveranstaltung im Juli mitteilte. Neben der Ankurbelung des Medizintourismus in der Schweiz wollen Schweizer Kliniken reiche katarische Patient:innen auch nach ihrer Rückkehr weiterhin behandeln.
Was sind die Interessen Katars in der Schweiz?
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt startete der katarische Staatsfonds Qatar Investment Authority (QIA) seine Einkaufstour in der Schweiz. Er kaufte Luxushotels wie den Schweizerhof in Bern und das Bürgenstock Resort am Vierwaldstättersee für insgesamt fast eine Milliarde Schweizer Franken. Auf dem Höhepunkt der Finanzkrise half der Fonds, die Credit Suisse zu stützen, indem er Wandelanleihen kaufte und einen Anteil von 5% an der Bank übernahm.
Es wird erwartet, dass die QIA ihren Anteil an der angeschlagenen Bank erhöht, die nach wiederholten Quartalsverlusten gerade einen Stellenabbau und eine Umstrukturierung angekündigt hat.
Eine andere Organisation mit ungewisser Zukunft, der Internationale Automobil-Salon Genf, hat mit Qatar Tourism ein Abkommen geschlossen, um die beliebte Veranstaltung nach Doha zu bringen. Nachdem der Autosalon in Genf drei Jahre in Folge aufgrund der Pandemie abgesagt wurde, wird er ab 2023 ausschliesslich in Katar stattfinden.
Die Interessen Katars in der Schweiz beschränken sich jedoch nicht auf die Wirtschaft. Laut einem Buch zweier französischer Journalisten aus dem Jahr 2019 hat das Emirat Moscheen und islamische Zentren in der Schweiz und in anderen europäischen Ländern finanziert – über ein Beziehungsnetz, das der Muslimbruderschaft nahesteht.
Die Schweiz war zudem Schauplatz anderer potenziell dubioser Aktivitäten. Recherchen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens SRF zeigen, dass Katar ehemalige CIA-Agenten angeheuert hat, um FIFA-Offizielle in der Schweiz auszuspionieren. Ziel war es, zu verhindern, dass Katar die von Korruptionsvorwürfen belastete WM-Zusage verliert.
swissinfo.ch hat auch über die Bemühungen Katars der letzten Jahre berichtet, von Genf aus Diplomatie zu betreiben, um sein Image als Verfechter der Transparenz im Sport zu verbessern:
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Hilft die Schweiz Katar, seine Menschenrechtsbilanz zu verbessern?
Die Menschenrechte gehören zu den Prioritäten der Schweizer Aussenpolitik gegenüber Katar. Im Rahmen des bilateralen Austauschs spreche die Schweiz auch auf hoher Ebene regelmässig Menschenrechtsfragen an, so das Aussenministerium. Diese «offenen» Gespräche seien gerade wegen der guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern möglich, heisst es weiter.
Dörig nahm kürzlich an einem «vertraulichen» Dialog über Menschenrechte im Sport teil. Dieser wurde in Doha vom Genfer Zentrum für Sport und Menschenrechte organisiert, das vom Schweizer Aussenministerium mit 180’000 Schweizer Franken jährlich unterstützt wird.
Was die Notlage der Gastarbeiter:innen angeht, so engagiert sich das Ministerium nach eigenen Angaben «seit mehr als zehn Jahren für die Verbesserung [ihrer] Arbeits- und Lebensbedingungen» in der Region. Eine von Bern und Doha unterzeichnete Absichtserklärung zur Arbeitsmigration, die 2022 erneuert wird, soll «den katarischen Reformprozess durch konkrete Schweizer Erfahrungen inspirieren». Deren Umsetzung – ein Schwerpunkt der Absichtserklärung – hat sich für Katar als problematisch erwiesen. Selbst nach Inkrafttreten der neuen Gesetze reichten Arbeiter:innen Tausende von Beschwerden über nicht gezahlte Löhne und unhygienische Lebensbedingungen ein.
Wie denkt die Schweizer Bevölkerung über die bevorstehende Weltmeisterschaft?
Der Stolz, dass sich die Nationalmannschaft für das Turnier qualifiziert hat, mischt sich mit der Sorge um das Wohlergehen der Gastarbeiter:innen, die 95% der Arbeitskräfte in Katar stellen. Viele Schweizer Städte haben sich entschieden, keine Fanzonen oder Public Viewings zu organisieren. Sie begründen diese Entscheidung mit der Rechtslage in Katar.
Eine überwältigende Mehrheit der Schweizer Bevölkerung fordert gar, dass die FIFA die Arbeiter in Katar für Menschenrechtsverletzungen entschädigt. Der Schweizerische Fussballverband war einer von zehn nationalen Verbänden in Europa, die diesen Monat einen Brief unterzeichneten, in dem die die FIFA um «konkrete Antworten» auf die Situation der Wanderarbeiter im Gastgeberland gebeten wird.
Gewählte Vertreter:innen in Bern haben sich von der bevorstehenden Veranstaltung distanziert. Das öffentliche Radio RTS berichtet, dass von 246 Parlamentarier:innen lediglich fünf – allesamt Mitglieder der Schweizerischen Volkspartei SVP – eine Einladung der katarischen Botschaft zu einem WM-Empfang im September angenommen hatten.
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Übertragung aus dem Englischen: Michael Heger
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