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«Dieses Klimaschutzgesetz bringt nichts ausser exorbitante Kosten»

Michael Graber
Michael Graber ist Mitglied der Schweizerischen Volkspartei und gehört seit 2021 dem Nationalrat an. © Keystone / Alessandro Della Valle

SVP-Nationalrat Michael Graber lehnt das neue Klimaschutzgesetz ab. Seiner Meinung nach wird es kaum Folgen auf globaler Ebene haben, dafür aber enorme Kosten verursachen. swissinfo.ch hat den Leiter der Kampagne gegen das Klimaschutz-Gesetz interviewt.

Am 18. Juni stimmt das Schweizer Stimmvolk über das Bundesgesetz über den Klimaschutz, die Innovation und die Energieversorgungssicherheit (Klimaschutzgesetz) ab. Es handelt sich um den indirekten Gegenvorschlag zur sogenannten «Gletscher-Initiative».

Mit der Vorlage beabsichtigt die Schweiz, schrittweise den Verbrauch von Erdöl und Erdgas zu senken. Ziel ist, dass die Schweiz bis 2050 ihre Netto-Treibhausgasemissionen auf Null reduziert und somit klimaneutral wird. Damit soll auch die Abhängigkeit der Energieversorgung vom Ausland verringert werden.

>> Lesen Sie: Das Schweizer Klimaschutzgesetz erklärt

Der Walliser Michael Graber ist Nationalrat für die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei (SVP). Er ist Kampagnenleiter des «Stromfresser-Gesetzes», wie die SVP das Klimagesetz nennt, über das nun abgestimmt wird.

Das neue KlimaschutzgesetzExterner Link

Bundesamt für Umwelt: Erklärungen zum KlimaschutzExterner Link

Ja zum KlimaschutzgesetzExterner Link: Webseite des Befürworter-Komitees

Stromfresser-Gesetz-Nein:Externer Link Webseite des gegnerischen Komitees

swissinfo.ch: Die Schweiz ist vom Klimawandel besonders betroffen – die Temperaturen steigen doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Warum bekämpfen Sie ein Gesetz, das den Verzicht auf fossile Brennstoffe fordert, die zu den Ursachen der Klimaerwärmung gehören?

Michael Graber: Zunächst möchte ich daran erinnern, dass das Gesetz ein Gegenentwurf zur Gletscher-Initiative ist, die von radikalen Umweltschützern und Klimaaktivistinnen vorangetrieben wurde. Dieses Gesetz ist nicht das Ergebnis eines breiten gesellschaftlichen Konsenses.

Der Klimawandel existiert und wird auch durch den Menschen beeinflusst. Das neue Klimaschutzgesetz wird die Klimaerwärmung aber überhaupt nicht beeinflussen, da die Schweiz nur für 0,1 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich ist.

China zum Beispiel stösst an einem halben Tag so viel Kohlendioxid aus wie die Schweiz in einem Jahr. Ich frage mich, welchen Sinn ein Gesetz hat, das uns viel Geld kostet, aber global praktisch keine Wirkung entfaltet.

Wenn wir auf fossile Brennstoffe verzichten wollen, dann müssen wir Benzin und Diesel durch Strom ersetzen. Davon gibt es aber schon heute zu wenig, deshalb hat der Bund eine Kampagne zur Reduzierung des Stromverbrauchs gestartet.

Die Schweiz gibt pro Jahr im Mittel acht Milliarden Franken für den Import von fossilen Energieträgern aus, die oft aus fragwürdigen Ländern wie Libyen stammen. Warum wird dieses Geld nicht auf andere Weise eingesetzt, etwa für die Förderung erneuerbarer Energien?

In erster Linie geht es doch einfach um Handel: Importieren oder Exportieren ist völlig normal. Zweitens gibt es viele Staaten, auch sehr demokratische, von denen wir Erdölprodukte kaufen können. Ich denke zum Beispiel an die Vereinigten Staaten.

Ich habe nichts gegen erneuerbare Energien, aber sie werden nicht ausreichen, um fossile Brennstoffe zu ersetzen.

Wir werden nicht in der Lage sein, bei Bedarf den notwendigen Strom zu erzeugen. Im Winter und in der Nacht scheint die Sonne nicht. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass wir den Durchbruch so einfach schaffen könnten.

Ihre Partei kämpft für die Unabhängigkeit und den Schutz des direktdemokratischen Modells in der Schweiz. Läuft die Schweiz durch die Einfuhr grosser Mengen an Gas und Öl nicht Gefahr, von autoritären Staaten abhängig zu sein, die kaum Rücksicht auf die Menschenrechte nehmen?

Beim Gas sind wir teilweise von Russland abhängig. Das ist unbestreitbar, und die Situation hat sich durch die Sanktionen gegen Moskau verschärft. Aber das Problem bestand schon vor dem Krieg.

Die Ursache für unsere Abhängigkeit liegt in der Energiestrategie 2050 des Bundes, die den Ausstieg aus der Kernenergie und einen Teil der Stromerzeugung durch Gaskraftwerke vorsieht.

Die einzige unabhängige Energiequelle in unserem Land ist die Wasserkraft. Bei der Kernenergie könnten wir unsere Abhängigkeit von autoritären Staaten verringern, indem wir zum Beispiel Uran aus Kanada kaufen.

Sollten wir dagegen auf Solarenergie setzen, müssten wir uns an den Hauptproduzenten China wenden, ein Land, das nicht gerade für seine Demokratie bekannt ist.

Schauen Sie hier unser Video zum Klimagesetz:

Wie wird sich das Klimaschutzgesetz auf die Energieunabhängigkeit der Schweiz auswirken?

Das Gesetz sagt nichts über die Energieunabhängigkeit aus. Es ist in dieser Hinsicht arglistig, weil es nur Ziele definiert, aber nicht sagt, wie diese erreicht werden sollen. Wir wissen nur, dass es exorbitant teuer wird, diese Ziele mit den bestehenden Technologien zu erreichen.

Gemäss einer Studie der Strategieberatungsgruppe Boston Consulting müssten fast 400 Milliarden Franken investiert werden, damit die Schweiz bis 2050 klimaneutral wird.

Und laut einer Studie der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne könnten die Energiekosten pro Einwohnerin und Einwohner von heute 3000 auf 9600 Franken pro Jahr steigen.

Mehr als 130 Länder weltweit, darunter die EU-Staaten und die USA, haben angekündigt, dass sie bis 2050 oder 2060 klimaneutral werden wollen. Warum sollte die Schweiz nicht ebenfalls dieses Ziel anstreben, auch angesichts des Wissens, dass Netto-Null-Emissionen unerlässlich sind, um die international vereinbarten Vorgaben zu erreichen?

Im Pariser Klimaabkommen, über das nie abgestimmt wurde, ist nicht von Klimaneutralität die Rede. Es sieht nur vor, dass der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur bis 2100 unter zwei Grad Celsius gehalten werden muss.

Es versteht sich von selbst, dass die heutigen Technologien verbessert werden müssen, um die Emissionen zu reduzieren. Ich verstehe aber nicht, warum die Schweiz das erste Land sein soll, das die Klimaneutralität in einem Gesetz festschreibt, mit dem Risiko, dass in Zukunft weitere Gesetze mit Verboten folgen werden, vielleicht für den Fleischkonsum.

Ich wiederhole: Das Gesetz ist ein Gegenentwurf zu einer Volksinitiative, nicht eine internationale Verpflichtung.

Berücksichtigt man auch die importbedingten Emissionen, die Investitionen des Finanzplatzes in fossile Energien und die Klimaauswirkungen der in der Schweiz ansässigen internationalen Unternehmen, gehört die Schweiz laut einer Studie des Beratungsunternehmens McKinseyExterner Link neben Ländern wie Japan oder Brasilien zu den «Schwergewichten» der Klimasünder. Lässt es sich rechtfertigen, nichts zu tun?

Die indirekten Emissionen der Schweiz sind hoch, weil wir ein Land sind, das durch seinen Finanz- und Bankensektor mit der ganzen Welt vernetzt ist. Die Alternative wäre, wie ein Land der Dritten Welt zu werden, das zwar einige direkte Emissionen, aber keine indirekten Emissionen verursacht.

Aber ist es das, was wir wollen? Ich möchte nicht den Wohlstand der Schweiz opfern, nur um ein reineres Gewissen zu haben.

Die Schweiz hat auf freiwilliger Basis schon viel getan. Seit den 1990er-Jahren haben wir die CO2-Emissionen pro Kopf um mehr als 30 Prozent gesenkt. Bei der ganzen Klimadiskussion, dem Pariser Abkommen oder den Klimazielen geht es aber um das Land und nicht um die Einzelperson.

Letztes Jahr ist die Schweizer Bevölkerung um 200’000 Personen gewachsen, inklusive Asylsuchender. Was nützt es, die Emissionen pro Kopf zu reduzieren, wenn die Bevölkerung so stark zunimmt.

Wir müssen eine realistische Politik machen, mit mehr Gelassenheit, ohne in eine Klimahysterie zu verfallen, so wie es im Moment gerade geschieht.

Das Schweizer Stimmvolk hat sich für den Atomausstieg entschieden. Doch viele Stimmen im Ausland und in der Schweiz argumentieren, dass die Kernenergie als emissionsarme oder emissionsfreie Stromquelle im Kampf gegen die Klimaerwärmung nicht vernachlässigt werden darf. Kann die Kernenergie in der Klimakrise noch eine Rolle spielen?

Wenn wir genügend Strom erzeugen wollen, ohne CO2-Emissionen zu verursachen, und gleichzeitig eine gewisse Energieunabhängigkeit bewahren wollen, ist die Kernenergie definitiv eine Option, die wir in Betracht ziehen sollten.

Jacqueline de Quattro, Nationalrätin der FDP, erklärt, warum sie für das neue Klimagesetz ist:

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Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob

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