Dionys Lehners kritischer Blick aus Österreich
Der Luzerner Dionys Lehner hat in Linz ein Textilunternehmen zum Erfolg geführt. Obschon seit 30 Jahren in Österreich zuhause, verfolgt der Auslandschweizer im Gespräch mit swissinfo.ch das Wirtschaftsgeschehen in seiner alten Heimat kritisch und vergleicht es mit jenem in Österreich.
Nur durch einen Zufall kam Dionys Lehner nach Österreich. In Luzern aufgewachsen, in Zürich studiert, verbrachte er zwei Jahre in den USA, arbeitete als Journalist, wurde Berater bei McKinsey, machte sich selbständig und arbeitete in den siebziger Jahren zwei Jahre als Consultant in Wien.
Bereits wieder auf dem Heimweg in die Schweiz, nahm er einen weiteren Auftrag in Linz an. Dort sanierte er die Linz Textil Holding AG. Heute setzt sie rund 150 Mio. Euro um, beschäftigt 650 Mitarbeitende und ist an der Wiener Börse kotiert. «Ich war damals 34 Jahre jung, und wollte es wissen. Und so blieb ich in Linz hängen, und alles kam anders als geplant.»
Erst kürzlich ist er als CEO der Linz Textil GmbH in Pension gegangen, arbeitet aber als Vorstand in der Holding dieses Unternehmens und als Schweizer Honoralkonsul für Oberösterreich weiter an den guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern.
Als Beobachter des Wirtschaftsgeschehens kommt ihm auch die Erfahrung zugute, dass er für ein neues Standardwerk zur 300-jährigen österreichischen Wirtschaftsgeschichte die Inititative ergriffen und als Autor mitgearbeit hat.
Kein Too-big-to-fail-Risiko in Österreich
Im Zusammenhang mit der Diskussion in der Schweiz, das Eigenkapital der Banken zu erhöhen, um deren Krisenanfälligkeit zu mindern, erklärt Lehner stolz seine eigene Politik: «Die Eigenkapitalquote von Linz Textil haben wir konstant erhöht, bis sie zuletzt 80% der Bilanzsumme betrug.»
Im Wissen, dass Banken an sich mit niedrigeren Quoten arbeiten als die Industrie, aber mit trockenem Austro-Humor fügt er hinzu: «Mit diesem hohen Eigenkapitalanteil konnten wir die Linz Textil aus der Abhängigkeit von den Banken befreien – und haben uns damit eines grossen Risikos entledigt!»
Österreich, das vor 25 Jahren noch erheblich schwächer da gestanden sei, verdanke die heutige Stärke seiner innovativen Industrie. In Österreich macht der Bank- und Finanzsektor einen deutlich geringeren Anteil an der gesamten Volkswirtschaft aus, als in der Schweiz. Die beiden Grossbanken allein haben auch nach der Reduktion immer noch eine Bilanzsumme von über dem 5-fachen des Schweizer Bruttosozialprodukts.
«Heilige Wut im Bauch»
Der vor allem von den USA geprägte Sektor der Investmentbanken habe eine massive Finanz- und Wirtschaftskrise ausgelöst und grosses Leid über den Nichtfinanzsektor der Volkswirtschaft gebracht, sagt Lehner: Millionen von Menschen hätten den Arbeitsplatz verloren, was in einem Industriellen «eine heilige Wut im Bauch» auslöse.
Auch der Schweizer Bankensektor, so Lehner, habe sich wegen eigener Fehler der Krisenentwicklung nicht entziehen können. Ohne ein «mea culpa» flössen Boni und Topgehälter, und die Risikobereitschaft steige wieder. «Die Zügel sind, beeinflusst vom amerikanischen Investment-Banking, locker geworden. Die Geduld der Bevölkerung erstaunt!»
Besser Geschichtslektionen statt neue Derivate
Es war im Frühsommer dieses Jahres in Wien, als es dem Schweizer Josef Ackermann, Chef der Deutschen Bank, gelungen sei, das geplante Regulierungspaket für Banken zu entschärfen. «Aus der Sicht der Industrie bin ich jedoch dafür, die Bankengesetze deutlich zu verschärfen und das klassische von Investment-Banking zu trennen.»
Nach der grossen Depression in den 30-iger Jahren war dieser Schritt gemacht worden, wurde aber inzwischen wieder aufgehoben. «Vielleicht wäre der Blick zurück in die Geschichte für die Banken von grösstem Nutzen, statt der Konzentration auf die Herausgabe neuer Finanzderivate», meint Lehner dazu.
Eurozone halb so schlecht
Allgemein findet Lehner, der sich als österreichischer Unternehmer auf den Euro abstützt, dass die Eurozone an sich immer noch viel weniger schlecht dastehe als die USA, was die Verschuldung des Staates in Relation zur Wertschöpfung der Wirtschaft betreffe.
Dass während der Finanzkrise das Augenmerk derart auf Griechenland gerichtet gewesen sei, während der eigentliche Krisenauslöser, die USA, praktisch ausgeblendet blieb, findet Lehner unschön: «Es wäre ehrlicher gewesen, Griechenland kurz aus der Eurozone herauszunehmen, die Drachme um 40% abzuwerten, und dann wieder in die Eurozone aufzunehmen – unter der Bedingung, in zehn Jahren Ordnung in die Staatsfinanzen zu bringen.»
Aufgaben (noch nicht) gemacht
Die Staatsschulden machen Lehner ganz allgemein grosse Sorgen: «Zwar hat die Schweiz die erste Schuldenkrisen-Runde erstaunlich gut überstanden.»
Nur scheint ihm, dass die Industrie ihre Aufgabe deutlich besser gemacht habe als der Finanzplatz. «Dieser ist in eine Grössendimension hineingerutscht, die vielleicht nicht mehr als gesund zu bezeichnen ist.»
Zweite Krisenrunde nicht auszuschliessen
Lehner schliesst wegen den «unheimlich hohen Verschuldungskosten» nicht nur der EU, sondern auch der USA eine mögliche zweite Krisenrunde nicht aus. «Wobei die Schweiz als kleines Land dann keine Möglichkeiten mehr hat, dem Krisenverlauf auszuweichen, ausser dass sie im Gegensatz zu den vielen bereits geschwächten Ländern aus einer stärkeren Position heraus in die Krise geraten würde.»
Für sein Textilunternehmen rechnet Liener mit weiteren 6 bis 8 Jahren Krisenfolgen, wobei 2010, eventuell 2011, ein Zwischenhoch zeigen. Als Industrieller fürchtet er sich vor inflationären Tendenzen in der Euro-Zone. Denn heute werde, nach der falschen Wirtschafts- und Sparpolitik der 30er-Jahre, einfach genau das Gegenteil gemacht, nämlich die Geldhähne geöffnet.
Beides sei exzessiv, es fehle ein gesundes Mittelmass.»So wie wir heute, 2010, die Sparpolitik der Politiker während der 30er-Jahre als völlig falsch einschätzen, so könnte in 60 Jahren die Politik von 2009 und 2010, die Krise mit lockerer Geldpolitik zu entschärfen, als völlig falsch erachtet werden. Ein Mittelweg wäre besser.»
Dionys Lehner ist in Luzern aufgewachsen, studierte in Zürich Volkswirtschaft und in Harward, Boston, USA.
Er war einige Jahre Journalist und ist Mitbegründer des Clubs der Zürcher Wirtschaftsjournalisten, ging zwei Jahre nach Amerika, beriet zuerst für das Zürcher Büro von McKinsey und nachher als auf selbständiger Basis.
In den 70er-Jahren kam er über ein Mandat nach Wien. Nachher, mit 34 Jahren, übernahm er in Linz als Sanierungsmanager die 1838 gegründete Linz-Textil.
Diese beschäftigt zur Zeit rund 620 Mitarbeitende. 2010 weist sie einen Umsatz zwischen 145 und 150 Mio. Euro aus.
Der Eigenkapital-Anteil macht 80% der Bilanzsumme (nicht nur der Kernbilanz!) aus.
Linz-Textil produziert textile Halbfabrikate im Spinnen und Weben. Im Spinnbereich ist Linz-Textil auf Viscose spezialisiert und unterhält das grösste Viscose-Garnwerk Europas.
Inzwischen ist Lehner Linzer, hat Frau und vier Kinder, und will in Österreich bleiben, ohne aber auf sein Büro in Zürich zu verzichten.
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